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Langenscheidtsche Bibliothek --


Herodot I.


Inhalt; Einleitung. — Buch 1-4. -

Einleitung.

Herodotus[1] ), den die spätere Zeit mit Recht als den Vater der Geschichtsschreibung unter den Hellenen bezeichnet hat, ward in der von dorischen Griechen an der südwestlichen Spitze Kleinasiens, in der Landschaft Karien, gegründeten Stadt Halikarnassus (jetzt Budrun) geboren, und zwar nach der gewöhnlichen Annahme, die sich auf eine Notiz des Gellius[2] ) stützt, im Jahre 484 v. Chr., während die Angabe des Chronisten Eusebius, welcher den Herodotus um die Olympiade LXXVIII (also 468 — 464) bekannt werden läßt, neuere Forscher veranlaßt hat, noch um einige Jahre zurückzugehen und das Geburt jahr des Herodotus auf das Jahr 489 v. Chr. zu verlegen. Er entstammte jedenfalls einem angesehenen und, wie es scheint, auch wohlhabenden Geschlechte, welchem auch geistige Bildung nicht fremd war: sein Oheim (es sei mütterlicher- oder väterlicherseits) Panyasis ist als ein gefeierter Dichter in dem Homerischen Epos bekannt, und auf den jungen Herodotus gewiß nicht ohne Einfluß geblieben, um so mehr, als er selbst dem historischen Epos der Hellenen sich zugewendet hatte; sein Vater Lyxas und seine Mutter Dryo (nach andern Rhöo), sowie ein Bruder Theodorus sind uns nur dem Namen nach bekannt; alle näheren Nachrichten über die Erziehung und Bildung des Sohnes fehlen gänzlich. Die feindselige Stellung der Familie zu dem in Halikarnassus gebietenden Lygdamis, durch welchen Panyasis seinen Tod fand, mag dem noch jungen Herodotus die äußere Veranlassung gegeben haben, seine Vaterstadt schon in frühen Jahren zu verlassen. In diesen Eindrücken der frühesten Jugend mag auch der Grund der politischen Gesinnung zu suchen sein, wie sie bei dem herangereiften Manne in seinem Werke sich ausspricht: der Haß gegen alles Tyrannentum, gegen jede unumschränkte, durch Gewalt errungene Einzelherrschaft und die unauslöschliche Liebe für eine freie Verfassung, wie sie in den weiteren Formen der Demokratie unter den Griechen seiner Zeit zur Geltung gelangt war. So verließ der für die Freiheit glühende; strebsame Jüngling früh seine Heimat und wendete sich nach Samus, dieser durch Handel und Industrie blühenden und reichen Insel, die aber auch schon früher, seit den Zeiten des Polykrates, als ein Sitz geistiger Bestrebungen glänzte, und zu der Zeit, als Herodotus dahin seine Schritte richtete, wieder die volle Freiheit von inländischer wie fremdherrlicher Tyrannei erlangt hatte. Wohl mag er dort einige Zeit verweilt und zu den großen Reisen sich vorbereitet haben, welche die nächste Zeit des jugendlichkräftigen Mannesalters ausfüllen: daß er; wie Suidas angibt, von Samus nach Halikarnassus zurückgekehrt, an der Vertreibung des dortigen Tyrannen Lygdamis Anteil genommen, und dann, als er von dem Neide seiner Mitbürger sich verfolgt gesehen, nach Thurium gewandert, erscheint in dieser Weise kaum glaublich. Wohl aber wird schon damals, als er seine Heimat verließ (was ohne gewichtige Gründe gewiß nicht geschehen ist) und nach Samus sich wendete, der Gedanke in ihm rege geworden sein, der ihn bestimmte, sein ganzes Leben der Ausführung eines größeren geschichtlichen Werkes zu widmen, das auf der einen Seite an die damals schon in Umlauf befindlichen Sagengeschichten und Länderbeschreibungen, wie sie bereits andere, namentlich Hekatäus von Milet, geliefert hatten, sich anschließend, den Hellenen eine sichere Kunde ferner Gegenden der damals bekannten Welt zuführen, andererseits aber auch durch Zurückführung aller dieser Angaben auf einen gemeinsamen Mittelpunkt, eine höhere Tendenz verfolgen, und in der Darstellung der im Kampfe mit asiatischer Übermacht wunderbar geretteten hellenischen Freiheit, diesen Mittelpunkt erhalten sollte.

Zur Ausführung eines solchen Unternehmens war Herodotus genötigt, gleich seinen Vorgängern, insbesondere dem eben genannten Hekatäus, Reisen in die Gegenden und Länder, die er zu schildern gedachte, und nach den Orten, die der Schauplatz der von ihm darzustellenden Ereignisse und Thaten waren, zu unternehmen, da auf anderem Wege der zu einem solchen Werke nötige Stoff nicht zu gewinnen war. Von Samus also, wo er einige Zeit verweilt und ohne Zweifel sich zu diesem Vorhaben vorbereitet hatte, unternahm der junge Herodotus, der die Größe seiner Aufgabe gewiß schon damals erkannt hatte, seine Reisen, ohne durch die großen und ungemeinen Schwierigkeiten, die mit der Ausführung verknüpft waren, bei der mangelhaften Kommunikation und dem strengen Abschluß der einzelnen Völkerschaften von einander; sich zurückschrecken zu lassen. Er selbst hat sich aus anerkennenswerter Bescheidenheit nirgends über diese Schwierigkeiten ausgesprochen, er hat sich nirgends näher erklärt über die Art und Weise, in der er diese Reisen ausgeführt, über die ihm dabei zu Gebote stehenden Mittel: nur gelegentlich erfahren wir etwas über die Länder und Orte; die er berührt und aus eigener Anschauung schildert. Eben darum sind wir auch nicht im Stande, genau die Ordnung und Reihenfolge anzugeben, in welcher diese Reisen stattfanden, die fast über den ganzen damals bekannten und zugänglichen Erdkreis sich erstreckten und durch ihre Größe und Ausdehnung uns in ein gerechtes Staunen versetzen, wohl aber mit Bewunderung für den erfüllen müssen, der bald zur See auf den Schiffen der nach allen Richtungen des damals allein zugänglichen Mittelmeeres und Schwarzen Meeres Handel treibenden Jonier, bald zu Lande im Anschluß an die das binnenländische Asien durchziehenden Karawanen bis zu den ferneren Gegenden Asiens zu wandern vermochte.

Die Samus nahe gelegenen Inseln des Griechischen Archipels, die West- und Nordküste Kleinasiens mit den zahlreichen und blühenden griechischen Städten längs der Meeresküste, lassen sich wohl als das erste Ziel der Reise denken, die dann auch auf ionischen Handelsschiffen zu den Nordgestaden des Schwarzen Meeres und den hier blühenden griechischen Handelsstädten, in welche die aus dem Innern Rußlands wie des nördlichen Asiens führenden Karawanenstraßen mündeten, sich erstreckte und jedenfalls einigen Aufenthalt in diesen griechischen Kolonieen herbeiführte. Wanderungen in das Innere Kleinasiens und von hier aus auf der großen von Darius angelegten, mit den nötigen Karawanserais versehenen Straße, die von da aus bis in das Innere Asiens, zu den Hauptsitzen der persischen Monarchie bis Susa führte, und von Herodotus selbst (V, 52 ff.) näher beschrieben ist, bis nach Babylon, also in die Binnenländer Asiens, Armenien, Medien. Assyrien u. s. w. unternommen, mögen sich daran angeschlossen haben, da wir über die Hauptstädte des Landes (Ekbatana, Babylon) eine Beschreibung erhalten, die, wie der Schriftsteller versichert, aus eigener Anschauung gestossen ist.

Auch die größeren Inseln des Hellenischen Mittelmeeres, wie Kreta und Cypern, blieben nicht unbesucht, ebenso die phönizische Küstenstrecke, ohne daß jedoch Herodotus von der Küste aus tiefer eingedrungen; in das Innere Palästinas ist er ebensowenig gekommen, als nach Jerusalem, wiewohl ihm von der Größe dieser Stadt, die er als die heilige bezeichnet (Kadytis-Kadosch), eine dunkle Kunde zugekommen sein mag (s. II 159. III, 5).

Einen Hauptpunkt in diesen Reisen bildet das Wunderland Ägypten, das er von seinem nördlichsten Punkte aus bis zu der südlichsten Grenze bei Syene durchwandert, und zum Gegenstande einer Land und Volk wie selbst dessen Geschichte berücksichtigenden, ausführlichen Darstellung gemacht hat; von Ägypten aus ward auch das westwärts an der Nordküste Afrikas gelegene und blühende Cyrene besucht, um in dieser griechischen Stadt, die mit dem Innern Afrikas in lebhaftem Handelsverkehr stand, auch über diese Teile der Erde nähere Erkundigung einzuziehen. Weiter westwärts an der nordafrikanischen Küste bis nach Karthago ist er jedoch nicht gekommen, wenn er auch gleich mit karthagischen Kaufleuten mehrfach zusammengetroffen ist.

Ob der Besuch Ägyptens und der nordafrikanischen Küste in die letzte Zeit seiner Reisen fällt oder schon früher vorgenommen ward, läßt sich nicht mit einiger Sicherheit angeben: nur soviel läßt sich behaupten, daß dieser Besuch Ägyptens nicht vor das Jahr 454 v. Chr. verlegt werden kann. Ist er um diese Zeit oder doch gleich nachher erfolgt, so entsteht die weitere Frage über den Aufenthalt des Herodotus von dieser Zeit an, die vielleicht nicht einmal die letzte Periode seiner Reisen ausfüllt, bis zu der, in dem Jahre 444 v. Chr. erfolgten Auswanderung nach Thurii in Süditalien, indem sich Herodotus an die von Athen aus dorthin abgehende Kolonie anschloß, an welcher auch der Redner Lysias Anteil nahm. Innerhalb dieses fast zehnjährigen Zeitraums würde dann die Rückkehr von den Reisen nach Samus, vielleicht auch nach Halikarnassus, und ein zeitweiser Aufenthalt daselbst erfolgt sein, an den sich bald neue Wanderungen nach den verschiedenen Teilen des hellenischen Mutterlandes anschlossen, sowie ein längerer Aufenthalt in Athen, das, wie es scheint, den Herodotus besonders anzog: wir werden dann in diese Periode auch den Anfang der Aufzeichnung des Werkes, das den Namen des Herodotus verewigt hat, aus dem auf diesen Reisen gesammelten Material zu verlegen haben, ebenso auch die verschiedenen Vorlesungen seines Werkes, d. h. einzelner, bereits ausgearbeiteter Partieen desselben, wie sie nach unbestreitbaren Zeugnissen des Altertums, und nach einer im Altertum mehrfach beglaubigten Sitte, allerdings zu Theben und Korinth, wie namentlich zu Athen, an dem Feste der Panathenäen, und zwar; wie man annimmt, im Jahre 446 v. Chr., also kurz vor der Abreise nach Thurium stattgefunden haben. Zweifelhaft, schon aus chronologischen Rücksichten, erscheint die Nachricht des Lucianus von einer solchen Vorlesung, welche Herodotus bei den olympischen Festspielen gehalten, in Anwesenheit des noch ganz jungen Thukydides, der, dadurch begeistert, zur Abfassung eines ähnlichen geschichtlichen Werkes angeregt worden.

Welche Gründe den Herodotus bewogen, sich der Kolonie anzuschließen, die in dem bemerkten Jahre 444 von Athen aus abging, um an der Stelle der von den Krotoniaten zerstörten Stadt Sybaris, in Verbindung mit den Resten der Sybariten, die neue Stadt Thurii oder Thurium zu gründen, wissen wir nicht: ein Aufenthalt zu Athen wird aber doch jedenfalls vorausgegangen sein. Von den weiteren Lebensschicksalen des Mannes, seit dieser seiner Ansiedelung zu Thurii in Italien, ist uns weiter keine Nachricht zugekommen: daß er von dort aus auch andere Punkte des südlichen Italiens, namentlich die dort gelegenen blühenden griechischen Handelsstädte, sowie selbst Sizilien besucht; geht aus einzelnen Äußerungen des hinterlassenen Werkes hervor, die sich als Einschaltungen späterer Zeit, zu Thurii in Italien gemacht, bald erkennen lassen. Hingegen scheint Herodotus nach dem mittleren und nördlichen Italien nicht gekommen zu sein, und wenn ihm auch über Umbrien und Etrurien einige Notizen zugekommen, so scheint doch die um diese Zeit schon sich ausbreitende Herrschaft Roms (310 I. von Erbauung d. St.) ihm unbekannt geblieben zu sein, da in dem hinterlassenen Werke sich keine Spur davon findet. Neben diesen einzelnen, von Thurii aus gemachten Ausflügen nach anderen griechischen Städten des südlichen Italiens werden wir aber auch wohl einen nochmaligen Besuch des hellenischen Mutterlandes, zunächst der Stadt Athen, annehmen dürfen, da er an einer Stelle seines Werkes (V, 77) von einem Weihegeschenk auf der attischen Burg, in der Nähe der Propyläen spricht, die erst nach der Abreise des Herodotus von Athen, innerhalb der Jahre 437 — 431 durch Perikles erbaut wurden, und die ganze Angabe als eine auf Autopsie beruhende sich darstellt: und da er an anderen Stellen (IX, 73; vgl. VII, 137. VI, 98) von den Schrecknissen des peloponnesischen Krieges spricht, so mag auch diese Angabe aus eigener Anschauung bei einem solchen Besuche entstanden sein, der, wenn man die damals so innigen Handelsverbindungen und den lebendigen Verkehr bedenkt, welcher damals zwischen den handeltreibenden Städten des südlichen Italiens mit dem durch Industrie und Handel zur See mächtigen Athen stattfand, gewiß nichts Auffallendes oder Befremdliches an sich hat.

Jedenfalls hat Herodotus, seit der Niederlassung zu Thurii, diesen seinen bleibenden Wohnsitz nicht verlassen bis zu seinem Tode, und darum wird er sogar von manchem im Altertum geradezu als Thurier bezeichnet: in Thurii hat jedenfalls die weitere Ausarbeitung des Werkes stattgefunden, an dem er ununterbrochen fortgearbeitet, und das er kaum gänzlich vollendet hat, verhindert durch den eingetretenen Tod, der ihm nicht erlaubte, das Werk, an dem er bis an sein Lebensende rüstig fortgearbeitet hat; nachbessernd, berichtigend und vervollständigend, bis zu seinem völligen Abschluß zu führen: es kann dies im allgemeinen schon der Unterschied zeigen, der in bezug auf die Ausarbeitung des Einzelnen zwischen den ersteren Teilen des Werkes und den letzteren, namentlich den beiden letzten Büchern, und ihrem mangelnden Schluß hervortritt und teilweise selbst in der Sprache wie in der ganzen Behandlung des Gegenstandes sich erkennen läßt; im besonderen aber ergibt sich dieser Mangel an gänzlicher Vollendung und völligem Abschluß des Werkes aus einigen Verweisungen auf Gegenstände, die im weiteren Verlaufe des Werkes noch ausgeführt werden sollen, aber in dem Werke, wie es uns jetzt vorliegt, sich nirgends finden. Wir rechnen dahin die I 184 (vgl. 106) gegebene Verweisung auf die Assyrischen Geschichten, die als eine Episode dem Ganzen des Werkes eingeschaltet werden sollten, so gut wie die Libyschen Geschichten (II, 161 und IV, 159), jetzt aber zu unserem nicht geringen Bedauern nirgends vorkommen; wir rechnen eben dahin die VII, 213 versprochene Ausführung über Ephialtes, die ebensowenig im weiteren Verlaufe des Werkes vorkommt. Nicht Nachlässigkeit ist es, die den so gewissenhaften und sorgsamen Geschichtsschreiber veranlaßt hat, das Versprochene nicht zu liefern, sondern der frühe Tod, vor der gänzlichen Vollendung des Werkes. Wann dieser Tod erfolgt ist, wird sich kaum mit Bestimmtheit angeben lassen, da jede Nachricht darüber fehlt: nur einzelne der in dem Werke gelegentlich erwähnten Ereignisse können uns insoweit einen Anhaltspunkt gehen, als der Tod des Herodotus jedenfalls nach denselben eingetreten sein muß. Und wenn wir in dieser Beziehung nicht bis zu dem Jahre 408 v. Chr. herabgehen dürfen, indem die dafür früher angeführten Stellen[1] ) dies nach einer richtigen Auslegung nicht zu erweisen vermögen; wenn wir selbst glauben, daß um 413 Herodotus nicht mehr unter den Lebenden war, also den unglücklichen Ausgang der athenischen Expedition nach Sizilien nicht mehr erlebte, weil er selbst VII, 170 nicht so hätte schreiben können, wie er geschrieben hat, so glauben wir, gestützt auf des Schriftstellers Äußerungen über das Unglück, das der peloponnesische Krieg über Hellas gebracht[2] ), jedenfalls seine Lebenszeit bis in die ersten Jahre des peloponnesischen Krieges verlängern zu müssen, so daß sein Tod nicht vor 424 oder 425 v. Chr. erfolgt sein kann, vielleicht auch erst einige Jahre später, und zwar zu Thurii in in Italien, wo, nach der Angabe des Suidas, er auf dem Markte beerdigt ward, was wir wohl als eine besondere Auszeichnung ansehen dürfen. Auch eine ihm gesetzte Grabschrift, die uns noch erhalten ist[3] ), bezeugt seinen Tod zu Thurii, während in der unter des Marcellinus Namen auf uns gekommenen Kompilation über das Leben des Thukydides (§ 18) ein Grab des Herodotus und Thukydides zu Athen erwähnt wird, wenn anders die Lesart, was sehr zu bezweifeln steht, richtig ist, und hier nicht an ein Grab des Olorus oder Herodes zu denken ist. Andere geben Pella in Macedonien als Todesort an, was einen Aufenthalt des Herodotus an dem Hofe des Archelaus voraussetzen würde, wovon jedoch keine Spur anzutreffen ist; vielmehr scheint die ganze Angabe aus einer Verwechslung mit Thukydides und den über dessen Tod verbreiteten Sagen hervorgegangen zu sein.

Das Werk des Herodotus, wie es uns jetzt in seiner nicht gänzlich vollendeten und abgeschlossenen Fassung vorliegt, erhalten der Nachwelt durch die Fürsorge der Alexandrinischen Grammatiker; die dasselbe in neun Bücher abgeteilt und diese mit den Namen der neun Musen bezeichnet haben, hat sich zur Aufgabe gestellt eine Darstellung des Kampfes der. asiatisch-persischen Welt mit dem europäischen Hellas, wie er in der dem Geschichtsschreiber zunächst vorausgegangenen Zeit stattgefunden: sein Gegenstand, und noch mehr die Durchführung desselben ist rein national: denn es gilt die Verherrlichung des an Zahl und Macht geringen, aber durch der Götter Unterstützung starken und thatkräftigen Hellas, das mit der persischen Übermacht den Kampf aufnahm und siegreich durchführte, zur Erhaltung und Bewachung des edelsten Gutes, der nationalen Selbständigkeit und Unabhängigkeit von fremder Knechtschaft. Diesen hellenischen Befreiungskampf darzustellen, und die durch der Götter Beistand gerettete Freiheit zu verherrlichen, ist mithin die Aufgabe des Werkes, das aber auch zugleich in der Durchführung dieser Aufgabe das Wicken der göttlichen Gerechtigkeit in den Begebnissen und Handlungen der Menschen nachweisen, ja aus dieser Grundlage die Ereignisse selbst bis in das einzelste ableiten und erklären soll. So tritt in dem Werke des Herodotus zuerst eine bestimmte Einheit des Planes hervor; die das Ganze durchdringt und einen Mittelpunkt bildet, mitten unter den zahlreichen und umfassenden Episoden und Digressionen, meist geographischer oder geschichtlicher Art, die bald näher, bald ferner mit dem zusammenhängen, was den eigentlichen Gegenstand des Werkes ausmacht, und den Hellenen die Kunde aller der Länder und Gegenden zuführen, die der Geschichtsschreiber durchwandert hat, auf diese Weise als unsere älteste Quelle der Ländern und Völkerkunde des Altertums erscheinen, welche, aus der unmittelbarsten Anschauung hervorgegangen, für uns um so wichtiger wird, als über die Treue und Wahrheitsliebe des Geschichtsforschers auch nicht der geringste Zweifel herrschen kann.

Indem der Verfasser diesen Kampf der Hellenen mit den auf ihre Unterwerfung ausgehenden Persern als einen Kampf der asiatischen und der europäischen Welt betrachtet hat; der bis zu den frühesten Zeiten von Hellas, bis zu dem trojanischen Kriege hinaufreicht und von da an gewissennaßen fortgedauert hat bis zu dem letzten entscheidenden Befreiungskampfe, der, indem er Hellas auf immer frei von asiatischer Despotie gemacht hat, den nächsten Gegenstand des Werkes bildet, beginnt er auch seine Darstellung mit diesen ersten Anlässen der Feindseligkeiten Asiens und Europas, wie sie in den (mythischen) Traditionen der Jo und Europa, sowie in den (faktischen) Wirren des trojanischen Krieges ihm vorlagen, und es kann dann nicht befremden, wenn seine Darstellung mit Asien selbst zunächst beginnt, und zwar mit demjenigen Lande und mit demjenigen Herrscher mit welchem die Hellenen zuerst in nähere Berührung kamen, mit Lydien und mit Krösus, dem Könige dieses Landes, welcher zuerst die an der Westküste Kleinasiens angesiedelten Hellenen sich unterwarf. Aber die Darstellung begnügt sich nicht mit der Erwähnung dieses Herrschers, sondern sie nimmt davon Veranlassung, auch die frühere Geschichte des lydischen Reiches daran zu knüpfen und die Schicksale dieses Reiches bis zum Untergange desselben darzustellen, nicht ohne manche, die hellenischen Verhältnisse, sowohl die politischen der beiden Hauptstaaten, Athen und Sparta, als selbst die kulturhistorischen, wie z. B. die Sage von Arion u. dgl. berührende Erörterungen dieser Darstellung bei eintretender Gelegenheit einzuschalten. Der Sturz des Lydischen Reiches und die Gefangennehmung des Krösus durch Cyrus und die Perser führt den Geschichtsschreiber unwillkürlich auf die Darstellung der persischen Macht, und, da diese aus der medischen hervorgegangen, auf die medische Monarchie, wie sie von Dejokes gegründet; unter Astyages auf Cyrus und die Perser überging, mit deren Sitten und Gebräuchen wir durch eine eingehende Schilderung näher bekannt gemacht werden. Es schließen sich daran die weiteren Eroberungszüge des Cyrus, westwärts zur Unterwerfung der in Kleinasien angesiedelten Hellenen, mit denen wir hier näher bekannt werden, ost- und südwärts zur Unterwerfung von Assyrien und Babylon, dessen ganze Anlage bei dieser Gelegenheit näher beschrieben wird. Der darauf unternommene Zug des Cyrus wider die im Norden seiner Monarchie in den Steppen Mittelasiens lebenden Völker, die Massageten, und sein unglückliches Ende auf diesem Feldzuge bildet den Schluß der im ersten Buche gelieferten Darstellung, die im zweiten Buche auf den Nachfolger des Cyrus, seinen Sohn Kambyses, übergeht, der das große Eroberungswerk des Vaters fortsetzt mit der Eroberung Agyptens, welche am Anfange des dritten Buches berichtet wird, nachdem das ganze zweite Buch, als eine größere und umfangreiche Einschaltung, eine aus dieser Veranlassung des persischen Zuges hervorgegangene Schilderung Ägyptens bringt, seiner Lage, seiner Natur, seiner Bewohner, seiner merkwürdigen Tierwelt, dann aber auch seiner gewaltigen Bauwerke in Verbindung mit den dazu erforderlichen geschichtlichen Notizen, wie sie dem Herodotus bei seiner Wanderung und Besichtigung dieses Landes durch die Priester mitgeteilt worden waren: eine dem eigentlichen Zweck und der Bestimmung des Werkes, wie wir sie eben angegeben, zwar nicht näher zusammenhängende Schilderung, die uns aber zugleich zeigen kann, wie in dem Werke des Herodotus, neben der bemerkten höheren Tendenz desselben, doch auch ein ähnliches Bestreben hervortritt, wie es bei seinem nächsten Vorgänger Hekatäus von Milet, dem Logographen, schon sich geltend gemacht hatte, den Hellenen die Kunde ferner besonders merkwürdiger Länder und Gegenden zuzuführen, und mit dem geschichtlichen Zwecke auch den einer belehrenden Ländern und Völkerkunde zu verbinden. Welche Wichtigkeit und Bedeutung für uns aber diese ganze Schilderung der ägyptischen Welt mit all den Wundern der Natur und ihren ebenso wundervollen Baudenkmalen hat, bedarf, zumal bei dem Mangel sonstiger Nachrichten, kaum einer besonderen Bemerkung. An die, mit dem dritten Buche beginnende Erzählung der Eroberung Ägyptens durch Kambyses knüpft sich dann die weitere Erzählung seines Todes, und, da Kambyses ohne Nachkommenschaft zu hinterlassen, gestorben war, der Usurpation der Herrschaft durch einen Magier; den falschen Smerdis, der aber alsbald durch eine Verschwörung der sieben persischen Stammhäupter wieder gestürzt wird, von welchen einer Darius, des Hystaspis Sohn, ein Anverwandter des regierenden Hauses, auf den Thron erhoben wird. Das Wirken dieses ausgezeichneten Fürsten wird uns dann vorgeführt, die neue administrative und finanzielle Einteilung des gesamten Reiches, die Niederschlagung der verschiedenen Empörungen, wie sie alsbald nach seiner Erhebung auf den Thron in verschiedenen Teilen des Reiches ausgebrochen waren, dann (mit dem vierten Buche) sein Zug wider die Skythen, d. h. die im Norden und Osten des Persischen Reiches bis tief nach Europa hinein (in den südlichen Teilen des heutigen Rußlands) wohnenden, größtenteils nomadischen Völkerschaften; was ebenso wie früher bei Ägypten die Veranlassung gibt zu einer näheren Beschreibung und Schilderung dieser Völker im einzelnen, sowie der ganzen nördlichen Küste des Schwarzen Meeres und der dahin mündenden Flüsse, samt der Donau und der thracischen Landschaft, ebenso wie in der anderen Hälfte dieses vierten Buches (von Kap. 145 an) ein von dem bereits durch den Vorgänger des Darius unterjochten Ägypten aus westwärts nach Barke unternommener Kriegszug eine ähnliche Veranlassung gibt zu einer Schilderung der die nördlichen Küstenstriche Afrikas landeinwärts bewohnenden Völker, sowie der Eigentümlichkeiten dieses Landes.

So hat also die eine Hälfte des Ganzen kaum eine nähere Beziehung zu dem, was wir als den eigentlichen Gegenstand und als die Aufgabe des Herodotischen Werkes oben angegeben haben: und doch erscheint sie, wenn wir den oben bemerkten Umfang der Aufgabe des Geschichtschreibers, der den Konflikt asiatischer Barbarei und hellenischer Kultur überhaupt darstellen wollte, in Betracht ziehen, notwendig als Einleitung und Vorbereitung, die uns zweckmäßig einführen soll in die nun erst beginnende Darstellung der Kämpfe der Hellenen und Perser, die ihren Anfang mit Darius nehmen, dann aber von seinem Nachfolger Xerxes in noch ausgedehnterer Weise fortgesetzt worden sind. Dieser; der eigentlichen Aufgabe des Werkes, rückt der Verfasser mit dem fünften Buche näher das uns (nach dem vergeblichen Zuge wider die Skythen) die weitere Ausbreitung der persischen Macht in Europa, in den Asien zunächst gelegenen Teilen des Festlandes, in Thracien und Macedonien vorführt, dann den Aufstand der asiatischen Griechen schildert; der, durch Waffengewalt unterdrückt, bei der Unterstützung, welche die Aufständischen von Athen erhalten hatten, dem Darius Veranlassung gab, seine Heere und Flotten wider Athen selbst zu senden, womit es zugleich auf eine Unterwerfung des ganzen europäischen Hellas überhaupt abgesehen war (vgl. VI, 43. 44). Die Darstellung dieser Verhältnisse, sowie des für die Perser ungünstigen Ausganges dieses ersten Feldzuges, der durch den Sieg der Athener bei Marathon sein Ende erreichte, bildet den Inhalt des sechsten Buches, das, gleich dem fünften, nicht ohne einzelne, auf die griechischen Verhältnisse sich beziehende Episoden ist, welche der eigentlichen Erzählung gelegentlich eingeschaltet sind. Mit dem siebenten Buche treten wir in den von Xerxes, nach dem Tode des Darius, wider die Hellenen, zu deren Bewältigung, unternommenen Rachezug ein, zu welchem die gesamte Land- und Seemacht des über das ganze damals bekannte Asien sich erstreckenden Persischen Reiches aufgeboten war. In diesem Buche wie in den beiden folgenden wird nun die eigentliche Darstellung des Heldenkampfes geliefert, den das an Zahl und Macht schwache, aber an Willens und That-Kraft starke Volk der Hellenen, das die Götter sich zum Werkzeug ersehen, asiatischen Übermut zu bestrafen, zur Erhaltung seiner Selbständigkeit und zur Bewahrung seiner Freiheit, als der edelsten Güter dieses irdischen Lebens, gegen die persische Übermacht unternahm; und wenn uns der Geschichtsschreiber mit den umfassenden, beiderseits getroffenen Vorbereitungen und Zurüstungen bekannt macht, wenn er uns insbesondere mit allen einzelnen Bestandteilen der persischen, Millionen zählenden Armada bekannt macht, zu welcher alle die einzelnen, dem Scepter des persischen Königs unterworfenen Länder ihr Kontingent gestellt hatten, so verfehlt er auch auf der andern Seite nicht, in der Schilderung der einzelnen Kämpfe und Schlachten das heldenmütige Auftreten der Hellenen, den Beistand, den die Götter ihm verliehen, und die gänzliche Niederlage der Perser auf eine Weise uns vorzuführen, welche das, was wir oben als die Hauptaufgabe des Ganzen betrachtet haben, in volles Licht zu setzen vermag, und die Glorie der mit göttlichem Beistand durch die Tapferkeit der Hellenen erkämpften Freiheit als letztes und höchstes Ziel der gesamten Darstellung bezeichnet.

Wenn in dieser Beziehung das Werk des Herodotus als ein wahrhaft nationales erscheint und zugleich die innere Einheit desselben hervortritt, so tritt in der ganzen Auffassung und Durchführung dieses Gegenstandes nicht minder die religiöse Grundlage hervor, durch welche Herodotus von allen andern Geschichtsschreibern der hellenischen Welt sich ebenso sehr unterscheidet, als er damit derjenigen Auffassungsweise sich nähert, die bei einem Äschylus wie selbst bei Sophokles die vorherrschende ist, und ebenso die Grundlage ihrer Dramen ausmacht. Hatte doch Äschylus in seinen Persern ein ganz ähnliches Werk den Athenern vorgeführt, das, auf einer ähnlichen religiösen Grundlage ruhend, dieselbe Tendenz verfolgt und demselben Ziele zusteuert, wie Herodotus. Sophokles aber soll auf den Herodotus ein Epigramm gedichtet haben, dessen Abfassung, wenn sie wirklich in das Jahr 441 v. Chr. fällt, auf einen Aufenthalt des Herodotus zu Athen um diese Zeit, und eine nähere Bekanntschaft beider Männer schließen läßt, auf welche auch andere Spuren uns führen, die bei der gleichen Gesinnung und religiösen Richtung, die sich in den Schriften beider Männer ausspricht, um so mehr zu beachten sind. Diese religiöse Grundlage ist aber keine andere, als der Glaube an eine übersinnliche, im Hintergrunde aller sinnlichen Dinge stehende ewige Ordnung, an eine über der gesamten Natur und Welt, also auch über der Menschenwelt stehende göttliche Macht, die ebenso gut in der physischen wie in der moralischen Welt gebietet, von welcher alles zuletzt abhängig und durch welche alles bedingt ist, die alles auf dieser Welt leitet und regiert, und durch ein gewisses Gleichgewicht alle Dinge in ihrem Bestand zu erhalten sucht, darum alles in seinen gehörigen, durch die ewige Ordnung einmal festgestellten Schranken zu wahren weiß, darum jedes Überschreiten dieser Schranken als eine unerlaubte Üerhebung, gleichsam als einen Eingriff in ihre Sphäre und in das, was ihr allein zuständig ist, betrachtet, und sofort mit Zurückweisung, mit Niederschlagen, mit Not und Unglück mit Verderben und Untergang denjenigen straft, der sich eines solchen Eingriffes schuldig gemacht hat, ohne daß es demselben möglich wäre, den Wirkungen und Folgen dieser göttlichen Strafgewalt sich zu entziehen. Darum ist es niemand möglich, dem zu entfliehen oder das von sich abzuwenden, was diese Macht verfügt und beschlossen hat, selbst wenn er ein Gott wäre (s. I, 91. IX, 16), So wird also jene im Hintergrunde aller Dinge stehende göttliche Macht, indem sie die Welt erhält, auch zur strafenden Gerechtigkeitsmacht, zur Nemesis, die, einem jeden das zuteilend, was ihm gebührt, als Verwalterin der göttlichen Weltordnung erscheint, deren Bestand sie dadurch sichert, daß sie den übermütigen, aber starken und auf seine eigene Kraft vertrauenden Frevler zu Boden wirft, dagegen den Gerechten, wenn auch Schwachen, schirmt und schützt. So fällt also bei dieser göttlichen Macht, von der alles ausgeht, was im Leben der Natur und im Leben der Menschen im großen wie im kleinen vorkommt, der Begriff der göttlichen Welterhaltung und Fürsehung mit dem der Gerechtigkeit zusammen. Und diese Gottesmacht, die sich ebenso in dem Leben des einzelnen, wie der Völker und Staaten kundgibt, hat sich aufs glänzendste bewährt in dem großen Befreiungs- und Errettungskampfe der Hellenen wider die übermächtigen Perser, welcher auf diese Weise wie ein Gottesgericht erscheint, und ist die Darstellung dieses Kampfes darum zugleich anzusehen als der Nachweis dieser Gottesmacht, ihrer Manifestation und ihres Eingreifens in die Geschicke der Sterblichen, eben dadurch aber auch geeignet; jeden einzelnen, wie jedes Volk in Hellas zu mahnen vor jeder Überhebung und jeder Überschreitung der ewigen Ordnung, vor jedem Übermut, der die Quelle jeder Sünde und damit auch jedes Unheils ist, das daraus für den Frevler hervorgeht. Daß dieser Begriff der göttlichen, die Welt erhaltenden Fürsehung und Gerechtigkeit noch nicht in seiner vollen Reinheit und Klarheit hervortritt, daß er vielmehr noch mehrfach in anthropomorphistische oder anthropopathische Formen eingekleidet erscheint; wird uns schon darum weniger auffallen dürfen, als seit Homer und Hesiod, wie Herodotus selbst angibt (II, 53), die anthropomorphistische Auffassung des göttlichen Wesens bei den Griechen vorherrschend geworden ist, und von diesem Standpunkte aus werden wir dann auch die Angaben von dem Neide der Gottheit, die mit mißgünstigen Augen auf das allzuhohe Glück des Sterblichen blickt, und ihn, weil sie darin eine Überhebung desselben, also einen Eingriff in ihre Sphäre zu erkennen glaubt, dann zu Boden wirft und vernichtet[1] ), aufzufassen und zu würdigen haben: wir werden dann auch keinen Anstoß nehmen an den aller Orten in die geschichtliche Erzählung eingestreuten Nachrichten von Weissagungen und Orakelsprüchen, von Wunderzeichen u. dgl., die dem gewöhnlichen Laufe der natürlichen Dinge entgegen erscheinen, hier aber als Manifestationen jener göttlichen, wenn auch nur dunkel geahnten und nicht klar begriffenen Macht zu betrachten sind, welche auf diese Weise und durch solche Mittel ihren Willen dem Menschen kundgibt und auch dadurch die enge Verbindung erkennen läßt, in welcher der Mensch mit seinen Geschicken zu jener höheren Macht steht, von welcher alles, wie im ganzen der Natur, so im Leben der einzelnen Menschen und Völker abgeleitet und geregelt wird. Auch wird man zur richtigen Würdigung aller derartigen Angaben die große Bedeutung nicht übersehen dürfen, welche im hellenischen Staatsleben auf alle solche Dinge gelegt ward, und der daraus hervorgehende Einfluß auf das ganze öffentliche Leben der Hellenen, auf alle Entschließungen des Staatsmannes, der Volksgemeinde wie des einzelnen Bürgers: wodurch allein schon der Geschichtsschreiber pflichtmäßig gebunden war, allen derartigen Angaben die gebührende Beachtung nicht zu entziehen, sondern ihnen vielmehr alle und jede Aufmerksamkeit zuzuwenden. Daß dies Herodotus stets gethan hat, daß er darum mit aller Sorgfalt die von dem pythischen Orakel zu Delphi wie von anderen Orakeln erteilten Sprüche, ebenso gut wie die Weissagungen einzelner Seher, sich zu verschaffen und in sein Werk aufzunehmen bemüht war, wird ihm schon darum nicht zum Vorwurf angerechnet werden können, noch weniger aber wird daraus der Vorwurf der Leichtgläubigkeit, des blinden Aberglaubens oder gar der absichtlichen Täuschung und des Betruges wider ihn erhoben werden können, da Herodotus in der Berichterstattung aller solcher Dinge mit großer Vorsicht zu Werke zu gehen pflegt, und hier schon eine gewisse Kritik in Anwendung bringt, welche selbst leise Zweifel hier und dort zu erheben nicht unterläßt[1)] . Diese Art von Kritik, wie wir sie in dem Werke des Herodotus geübt finden, hängt freilich zusammen mit dem durch das ganze Werk hindus ziehenden Bestreben, überall die Wahrheit und nichts als Wahrheit zu berichten, und in der Erforschung des Wahren sich durch keine Rücksicht irre leiten oder von dem rechten Pfade abführen zu lassen. Von diesem Streben nach Wahrheit geleitet, unterscheidet er darum sorgfältig das, was er bloß von anderen, vom Hörensagen vernommen, von demjenigen, was aus eigener unmittelbarer Anschauung und sinnlicher Wahrnehmung, oder aus der an Ort und Stelle eingezogenen Erkundigung und aus dem eigenen Urteil und der eigenen, auf Thatsachen begründeten Überzeugung hervorgegangen ist[2] ). In dieser sorgfältigen und strengen Unterscheidung, welche durchweg geübt wird, vermögen wir allerdings die Spuren einer historischen Kritik zu erkennen, die mit Unrecht früher dem Herodotus abgesprochen worden, aber mit seiner Wahrheitsliebe in allem unzertrennlich verknüpft ist. Diese Wahrheitsliebe des Geschichtsforschers und die daraus hervorgehende Glaubwürdigkeit dessen, was von ihm berichtet wird, ist in unsern Tagen durchweg auf das glänzendste bestätigt und in ihr wahres Licht gesetzt worden, so daß der Vorwurf einer irrtümlichen Auffassung oder einer Leichtgläubigkeit dem Geschichtsschreiber nicht mehr gemacht werden kann. Nachdem bereits in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts Ägypten mit seinen Wunderwerken zuerst uns näher bekannt geworden und in den folgenden Decennien nicht bloß dieses Land dem europäischen Verkehr immer zugänglicher ward, sondern der ganze Orient sich immer mehr der gelehrten Forschung öffnete, nach allen Richtungen durchstreift und erforscht ward, auch die Entzifferung der Hieroglyphen wie der Keilschrift uns in die geschichtliche Kunde der von Herodotus besprochenen Reiche des Orients eingeführt hat, andererseits aber auch gleichmäßig der Boden des alten Hellas, zumal seit der wieder erlangten Selbständigkeit dieses Landes, uns erschlossen und im einzelnen genauer bekannt ward, haben die Berichte und Angaben des Vaters der Geschichte eine Bestätigung gefunden, welche uns nicht bloß die Wahrheitsliebe desselben, sowie die Treue aller Schilderungen, Beschreibungen u. dgl. anerkennen, sondern selbst die Schärfe der Beobachtung und Wahrnehmung wahrhaft bewundern läßt. Und diesen Vorzügen wird dadurch kein Eintrag geschehen, wenn wir bald wahrnehmen, wie Herodotus, als Grieche und für Griechen zunächst schreibend — sein Werk sollte ein Nationalwerk für die gesamte Nation sein — in griechischen Anschauungen befangen hier und dort sich ausläßt, und wenn er dieser Anschauungsweise noch darin einen weiteren Raum gibt, daß er selbst Fremde; oder, nach hellenischer Ausdrucksweise; Barbaren, wie z. B. die Lydier oder die Perser, in dieser Anschauungsweise uns vorführt und ihnen Worte und selbst Reden in den Mund legt, welche bei aller Wahrheit der Grundlage doch in der Ausführung eine griechische Färbung erkennen lassen: wir erinnern hier nur an die dem Krösus in den Mund gelegten Reden (I, 30 ff. 207), oder an die Beratungen der persischen Großen über die dem Perserreiche zu gebende Verfassung (III, 80 ff.) und so vieles andere, was namentlich in dem ersten Buche vorkommt, und nur im Hinblick auf griechische Sitte und griechische Anschauungsweise zu verstehen ist. Wenn dies bei einem Griechen kaum befremdlich erscheinen kann, so mag man auf der andern Seite in derartiger Einführung von Beratungen und Reden, welche den auftretenden und handelnden Personen in den Mund gelegt werden, wohl die Spuren jenes sophistisch-rhetorischen Elements erkennen, das bei den Griechen schon früh zur Geltung kam und die auf Herodotus folgenden Geschichtsschreiber noch viel mehr durchdrungen hat. Diese griechische Anschauungsweise tritt aber auch noch weiter in den eigenen politischen Ansichten des Schriftstellers hervor, so wenig sie auch sonst auf die Darstellung selbst einen Einfluß geübt und die Treue und Wahrhaftigkeit seiner Augen getrübt haben.

Herodotus, als Hellene, ist vor allem begeistert für die Freiheit und Unabhängigkeit der hellenischen Nation von aller fremdherrlichen Herrschaft, von allem dem, was die hellenische Ausdrucksweise als "Barbarentum" bezeichnet: in diesem Gedanken, von dem sein Innerstes durchdrungen ist, wurzelt sein Werk, das diesem Zwecke der Erhaltung und Förderung hellenischer Freiheit gewidmet und bestimmt ist; als Hellene ist er ebenso ein entschiedener Anhänger eines freistaatlichen Gemeinwesens, als Gegner jeder Einzelherrschaft, insbesondere einer solchen, welche in vorher freien Staaten sich auf längere oder kürzere Dauer aufgeworfen und die Freiheit der Bürger unterdrückt hat; eine solche Herrschaft (Tyrannis) erscheint ihm, infolge seiner religiösen Anschauungsweise, als eine verderbliche und darum sträfliche Überhebung eines einzelnen Menschen, der dadurch nur sich und seinem Geschlecht Unheil und Verderben zuzieht: nur eine solche Verfassung, in der allen einzelnen Gliedern gleiche Rechte zustehen, keiner über den andern sich überheben darf, findet seinen Beifall und entspricht seiner innersten überzeugung, die ihn darum weniger zu einem Anhänger der Geschlechterherrschaft, wie sie bei den dorischen Griechen vorkommt, als zu einem Anhänger der mehr demokratischen Verfassung gemacht hat, die er bei den ionischen Griechen, insbesondere zu Athen vorfand. Der längere Aufenthalt, den Herodotus jedenfalls zu Athen genommen hat, sowie die in seine Jugendzeit fallenden Ereignisse seiner unter dem Druck eines Tyrannen schmachtenden Vaterstadt, mögen auf diese Überzeugung nicht ohne Einfluß gewesen sein.

Daß Herodotus noch andere Schriften abgefaßt habe, ist durchaus nicht glaublich oder annehmbar. Daß die angeblich von ihm verfaßten Assyrischen Geschichten nur auf einer von ihm beabsichtigten, aber nicht ausgeführten Episode des noch vorhandenen Werkes beruhen, ist schon oben bemerkt worden; eine andere, unter des Herodotus Namen auf uns gekommene und auch in demselben ionischen Dialekt abgefaßte Schrift über das Leben des Homerus ist die Kompilation eines viel später lebenden griechischen Grammatikers, der jedenfalls nicht vor die Zeit der römischen Kaiser zu setzen ist. Wohl aber läßt sich nicht zweifeln, daß das noch vorhandene Geschichtswerk bald nach dem Tode des Herodotus, ebensowohl um seines Inhaltes willen und seiner Tendenz, wie wegen seiner gefälligen und anmutigen Darstellung weite Verbreitung in den gebildeten Kreisen der hellenischen Welt gefunden hat: daß es aber dem Thukydides, welcher bald nach dem Jahre 403 v. Chr., als er nach Athen zurückgekehrt war, gestorben ist, bekannt geworden, glauben wir durchaus bezweifeln zu müssen, ebenso wie wir auch eine nähere Bekanntschaft dieser beiden größesten Geschichtschreiber der hellenischen Welt, oder gar einen Verkehr derselben mit einander bezweifeln, indem dazu jeder sichere Anhaltspunkt fehlt, wenn auch gleich beide der Zeit nach nicht allzu sehr von einander entfernt liegen. Für die Verbreitung des Herodotischen Werkes, für sein Ansehen und seine Bedeutung in den nachfolgenden Zeiten mag aber auch der Umstand sprechen, daß Ktesias, der gelehrte Arzt aus Knidus, welcher nach einem siebzehnjährigen Aufenthalt in Persien von da im Jahre 399 v. Chr. nach Griechenland zurückkehrte und dann seine nur im Auszuge noch bekannten Persischen Geschichten niederschrieb, in diesem Werke vielfach wider Herodotus auftrat und dessen vielfach durch griechische Anschauungsweise gefärbte Darstellung des Kampfes der Hellenen mit den Persern im einzelnen zu widerlegen suchte. Andere Gegner, welche wider Herodotus aufgetreten, werden auch noch aus späterer Zeit angeführt; ihre Schriften aber sind untergegangen, und überhaupt, wie es scheint, wenig beachtet worden. Unter die Schriften der Art kann auch die noch vorhandene Abhandlung über den schlechten Charakter und das bösartige Wesen des Herodotus gezählt werden, welche unter den sogenannten moralischen Schriften des Plutarchus sich aufgenommen findet, aber den edlen Chäroneer schwerlich zu ihrem Verfasser hat, sondern vielmehr als das rhetorische Übungsstück irgend eines jungen böotischen Sophisten oder Grammatikers erscheint, welcher auf eine oft ganz täppische und plumpe Weise dem Herodotus Entstellung der Wahrheit, feindselige und parteiische Gesinnung in bezug auf einzelne hellenische Staaten u. dgl. m. vorzuwerfen unternimmt, aber mit wenig Glück und Erfolg.

Auch ist dadurch das allgemeine Urteil des Altertums in keiner Weise geändert, und dem Vater der Geschichte diejenige Anerkennung entzogen worden, die ebensowohl dem Inhalt, wie insbesondere der Darstellung von den Kunstrichtern des Altertums fast einstimmig gezollt worden ist, welche in dem Werke des Herodotus sowohl nach seiner ganzen, auf eine innere Einheit zurückgeführten Anlage, als in bezug auf die Darstellung, die Sprache und den Ausdruck im einzelnen, Nachbildung des Homerischen Epos erkannten, und den Vater der hellenischen Geschichtsschreibung als einen Jünger des Homer darstellten. Der treuherzige, naive Sinn des Forschers, mit ebenso großer Wahrheitsliebe als wahrer Religiosität gepaart, die Lebensfrische der ganzen Auffassung und Darstellung, die Klarheit und Einfachheit des Vortrages, der nicht in schwerfälligen oder verschlungenen Perioden sich bewegt, die durch eine glückliche Mischung ionischer Formen mit den Formen des epischen Dialekts wie des dorischen und attischen gefällige Sprache und die ganze Ausdrucksweise bilden Vorzüge; die bereits von den Alten anerkannt und hervorgehoben worden sind; daher schon damals die Bestrebungen der gelehrten Grammatiker auf die Anlage von erklärenden Wörterbüchern gerichtet waren, die den gesamten Sprachschatz des Geschichtsschreibers zur Nachahmung und Nachbildung für andere verzeichnen sollten. Daher es auch nicht an solchen Schriftstellern fehlte, welche in der Sprache des Herodotus zu schreiben und dessen Ausdrucksweise sich anzubequemen bemüht waren. Vor allen, und am würdigsten tritt dies bei Pausanias hervor, diesem griechischen Schriftsteller des Zeitalters der Antonine, der durch eine gleich ernste Gesinnung und religiöse Anschauung dem Herodotus sich nähert. Auch schon früher, bei Theopompus, soll ein solcher Einfluß der Sprache des Herodotus bemerkbar gewesen sein, worüber wir uns kaum wundern können, da Theopompus sogar einen Auszug aus dem Werke des Herodotus gefertigt hatte. In späterer Zeit finden wir noch den Byzantiner Procopius als einen eifrigen Nachahmer Herodotischer Redeweise, und selbst bei Eusebius, dem kirchlichen Geschichtsschreiber; läßt sich eine solche Nachahmung wahrnehmen. Unter den Chronisten neuerer Zeit ist es besonders der Franzose Froissart, der in seiner treuherzigen und naiven Denk- und Schreibweise eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Vater der hellenischen Geschichtsschreibung beurkundet.

Was die bildlichen Darstellungen des Herodotus betrifft, welche bis auf unsere Zeit gelangt sind, so werden mehrere Büsten, unter andern zu Rom, für Darstellungen des Herodotus ausgegeben: eine zu Neapel jetzt befindliche Büste soll den Vorzug unter denselben verdienen; vergl. Visconti, Iconographie Grecq. I. pl. 27. p. 315 ff. der Mailänder Ausgabe.

Schließlich bemerken wir, daß die Übersetzung sich an denjenigen Text anschließt, den meine Ausgabe des Herodotus in der zweiten Auflage (Leizig 1850 ff) liefert.


Chr. Bähr.
Inhalt des ersten Buches.

Eingang. Erste Veranlassung des Streites zwischen Europa (Hellas) und Asien: der Raub der Jo, Medea, Helena: verschiedene Angaben darüber{(1—5).}


Beginn der Erzählung mit Krösus, dem Könige von Lydien, der zuerst die vordem freien Hellenen in Kleinasien unterwarf (6);


die Vorfahren desselben, das Königsgeschlecht der Herakliden von Agron bis Kandaules{(7),} der das Reich verliert an Gyges, den Gründer einer neuen Dynastie, der Mermnaden{(8—14)} seine Nachfolger Ardys, Sadyattes{(15—17),}

Adyattes, dessen Kampf mit Milet{(18—22}

Arions Fahrt und wunderbare Errettung 23.24), sein Tod und seine Weihegeschenke (25);

Krösus: dessen Unterwerfung der Hellenen in Kteinasien, und sein Bund mit den Inselgriechen{(26.27)} ;

Unterwerfung der übrigen Völkerschaften Kleinasiens bis zum Halys{(28);} Verkehr mit griechischen Weisen zunächst mit Solon{(29—33);} Tod seines Sohnes Atys{(34—45).}

Sendung an die verschiedenen Orakel wegen der von seiten des Cyrus und der Perser drohenden Gefahr, Antworten der Orakel und Geschenke des Krösus an dieselben{(46—55)} Absicht des Krösus, die beiden Hauptstaaten von Griechenland, Athen und Lakedämon, mit sich zu verbinden{(56);} Erörterungen über die beiden Hauptstämme Griechenlands{(57.58),} über den Zustand Athens unter Pisistratus{(59—64),} und über Lakedämon, dessen Gesetzgeber Lycurgus und Kämpfe mit Tegea{(65—68);} Abschluß eines Bündnisses mit Lakedämon{(69.70).} Zug des Krösus über den Halys wider die Perser zunächst gegen Kappadocien infolge der Verwandtschaft mit Astyages{(71—74.)} Sonnenfinsternis, von Thales vorher gesagt); Kampf mit den Persern und Flucht der Lydier nach Sardes Belagerung der Stadt{(75—80),} Sendung des belagerten Krösus nach Sparta mit der Bitte um Hilfe, Streitigkeiten der Spartaner und Argiver wegen Thyrea{(81—83).} Eroberung von Sardes und Gefangennehmung des Krösus, wunderbare Errettung desselben von dem Verbrennungstode{(84—89);} Krösus' Beziehungen zu den Orakeln und die denselben gemachten Geschenke{(90} — 92); Grabmal des Alyattes, lydische Sitten, lydische Kolonie nach Etrurien{(93.94).}

Übergang zur persischen Monarchie des Cyrus: ihr Hervorgehen aus der medischen{(95);} Gründung der letzteren durch Dejokes{(96—101);} dessen Nachfolger Phraortes{(102)} Cyaxares{(103—106.} Einfall der Skythen) und Astyages{(107);} Geburt, Erhaltung und Erziehung des Cyrus{(108—122),} Erhebung desselben und Sturz der medischen Monarchie durch die Perser{(123-130);} Sitten und Gebräuche der Perser{(131—140).}

Unterwerfung der kleinasiatischen Griechen durch Cyrus (141); Beschreibung der ionischen{(141ff)} dorischen{(144)} und äolischen{(149ff.)} Niederlassung in Kleinasien; Rebelion des Paktyas ind der Lyder{(154ff.);} Angriff des Harpagus auf Phocäa, und Auswanderung Seiner Bewohner, Flucht derselben nach Korsika und Kämpfe mit den Tyrrhenern und Karthagern, Gründung von Velia{(162ff.);} Eroberung von Teos{(168)} und Unterwerfung der übrigen Jonier{(169);} der früher diesen erteilte Rat des Bias und des Thales{(170).} Zug des Harpagus wider die Karer{(171),} Kaunier{(172)} und Lycier{(173),} deren Unterwerfung nach tapferer Gegenwehr{(174—176)}

Zug des Cyrus zur Unterwerfung des Assyrisch-Babylonischen Reiches{(177);} Beschreibung von Babylon{(178} ff.; der Tempel des Belus{181ff.);} die Werke der Semiramis{(184)} und Nitokris{(185ff.);} der Heereszug des Cyrus gegen den letzten König von Babylonien, Labynetus{(188ff.),} übergang über den Gyndes{(189),} Besiegung der Babylonier, Belagerung und Eroberung der Stadt Babylon{(190—191).} Reichtum und Fruchtbarkeit der Landschaft Babylon{1192.193),} Sitten und Gebräuche seiner Bewohner{(194—200).}

Zug des Cyrus wieder die Massageten{(201);} der Fluß Araxes{(202),} das Kaspische Meer und der Kaukasus{(203);} Veranlassung des Zuges{(204)} und Berhandlungen mit Tomyris, der Königin der Massageten{(205.206),} der Rat des Krösus{(207);} der Übergang über den Araxes, und die weitere Kriegführung bis zu dem Tode des Cyrus{(208—214);} Sitten und Lebensweise der Massageten{1215.216).}


Erstes Buch. --Klio.--



1.-5

Was Herodotus von Halikarnassus erforscht, das hat er hier dargelegt, auf daß weder das, was durch Menschen geschehen, mit der Zeit verlösche; noch große und bewundernswürdige Thaten, teils von Griechen, teils von Barbaren[1)] vollbracht, ruhmlos bleiben: das alles hat er dargelegt, sowie auch, aus welcher Ursache sie einander bekriegt haben.

Es versichern die Geschichtskundigen unter den Persern, die Phönizier seien die Urheber des Zwistes gewesen; denn diese wären von dem sogenannten Roten Meere[2)] zu diesem, unserem, Meere gekommen, und nachdem sie in dem Landstrich, den sie auch jetzt noch bewohnen, sich niedergelassen, hätten sie alsbald auf weite Seefahrten sich verlegt; mit ägyptischen und assyrischen Waren, die sie verführten, wären sie nicht nur nach andern Landen gekommen, sondern auch nach Argos; Argos aber ragte während dieser Zeit in allem hervor unter den Städten in dem jetzt Hellas genannten Lande. Nach diesem Argos also wären die Phönizier gekommen und hätten ihre Ware ausgelegt zum Verkauf; am fünften oder sechsten Tage aber nach ihrer Ankunft, als sie fast alles verkauft hatten, seien an das Meer viele andere Frauen gekommen, darunter auch des Königs Tochter, deren Name Jo gewesen, des Inachus Tochter, wie auch die Hellenen diesen Namen angeben. Dieselben nahmen ihren Platz bei dem Hinterteil des Schiffes und kauften von den Waren, wonach sie am meisten Lust hatten; da wären die Phönizier; nachdem sie sich einander dazu ermutigt; über die Frauen hergefallen, von welchen die meisten entflohen, die Jo aber zugleich mit andern geraubt worden; die Phönizier hätten sie in ihr Schiff gebracht und wären dann eilends abgesegelt nach Ägypten zu[1)] .


***
2.

Auf diese Weise, geben die Perser an, wäre die Jo nach Ägypten gekommen, nicht wie die Phönizier behaupten; und dieses wäre der Anfang der Beleidigungen gewesen; darauf, erzählen sie weiter; wären einige von den Hellenen (denn sie wissen nicht den Namen anzugeben) nach Tyrus in Phönizien gesteuert und hätten die Tochter des Königs, Europa, geraubt. Das könnten aber wohl Kreter gewesen sein[2)] . Damit nun sei ihnen Gleiches mit Gleichem vergolten worden. Nach diesem Vorfall aber wären Hellenen Ursache einer zweiten Unbill geworden: sie wären nämlich auf einem langen Schiffe[1)] nach dem kolchischen Aea und zu dem Flusse Phasis gefahren[2)] und hätten dann, nachdem sie das übrige, weswegen sie gekommen, vollbracht; des Königs Tochter Medea geraubt. Darauf habe der Kolcher König einen Herold nach Hellas entsendet und um Genugthuung wegen des Raubes gebeten, sowie um Zurückgabe der Tochter. Die in Hellas aber hätten geantwortet, daß auch jene ihnen keine Genugthuung gegeben wegen des Raubes der Jo, sie daher auch jenen keine Genugthuung geben würden.



***
3.

Nachher aber, erzählen sie weiter, im zweiten Geschlechte[3)] , habe Alexander, des Priamus Sohn, als er dieses vernommen, gewünscht, ein Weib aus Hellas durch Raub zu erhalten, weil er wohl wußte, daß er keine Genugthuung geben würde, da auch jene keine gegeben hätten. Also hätte er die Helena geraubt, und die Hellenen hätten darauf beschlossen, zuerst Boten zu senden und die Helena zurückzufordern, sowie Genugthuung für den Raub zu verlangen. Diese aber[4)] hielten ihnen auf diesen Antrag den Raub der Medea vor; wie sie selbst keine Genugthuung gegeben, noch die Medea auf die diesseitige Forderung zurückgegeben, nun aber doch verlangten, daß von andern ihnen Genugthuung zu Teil werde.



***
4.

Bis dahin nun habe bloß Raub gegenseitig stattgefunden; von nun an aber hätten die Hellenen völlig die Schuld (des Streites): denn sie wären eher nach Asien zu Felde gezogen, als die Perser nach Europa. Weiber zu rauben, meinten sie, sei zwar eine ungerechte Handlungsweise, aber eifrigst Rache zu suchen um der Geraubten willen, thöricht; sich aber gar nicht um die Geraubten zu kümmern, eine weise Handlungsweise: denn es sei doch offenbar, daß diese (Frauen), wenn sie nicht gewollt hätten, gar nicht geraubt worden wären. So nun, behaupten die Perser, hätten sie, die doch aus Asien wären, sich nicht weiter um die aus Asien geraubten Weiber bekümmert, die Hellenen aber hätten um eines lakedämonischen Weibes willen ein gewaltiges Heer gesammelt, seien darauf nach Asien gedrungen und hätten des Priamus Macht zerstört. Von da an sei es stets ihre Meinung gewesen, daß das hellenische Volk ihr Feind sei. Denn Asien und die dann wohnenden barbarischen Völker betrachten die Perser als zu ihnen gehörig[1)] , Europa aber und das hellenische Volk, glauben sie, sei davon getrennt.



***
5.

Also, sagen die Perser, sei es gekommen, und finden sie in der Eroberung Iliums den Anfang ihrer Feindschaft mit den Hellenen. Hinsichtlich der Jo aber stimmen die Phönizier nicht also mit den Persern überein: denn sie behaupten, daß sie nicht durch Raub, den sie angewendet, dieselbe Ägypten gebracht hätten, sondern Jo hätte zu Argos mit dem Schiffsherrn Umgang gepflogen, und wäre, als sie ihrer Schwangerschaft inne geworden, aus Scheu vor ihren Eltern, freiwillig mit den Phöniziern davon geschifft, damit es nicht offenkundig würde. Dieses nun erzählen Perser und Phönizier: ich aber gedenke mich darüber nicht auszulassen, daß es so oder auf irgend eine andere Weise sich zugetragen: denjenigen aber, von dem ich weiß, daß er zuerst Unrecht den Hellenen zugefügt, will ich angeben und dann weiter in der Erzählung fortschreiten, in der ich auf gleiche Weise von kleinen wie großen Städten der Menschen berichten werde; denn viele von ihnen, die vor Alters groß waren, sind klein geworden, die aber zu meiner Zeit groß waren, waren vorher klein; da ich nun weiß, daß menschliches Glück nie auf demselben Stande verbleibt, will ich beider auf gleiche Weise gedenken.




6.

Krösus war seiner Abkunft nach ein Lyder, Sohn des Alyattes und Herrscher über die Völker diesseits des Flusses Halys, welcher von Mittag her strömt zwischen den Syrern und Paphlagonen und nach Norden zu in den sogenannten Pontus Euxeinus[1)] sich ergießt. Dieser Krösus war unter den Barbaren, von denen ich weiß, der erste, welcher einige von den Hellenen sich unterwarf zur Entrichtung eines Tributs, andere aber sich zu Freunden gewann; unterworfen hatte er sich die Jonier, Äolier und die Dorier, die in Asien wohnten; die Lakedämonier aber hatte er sich zu Freunden gemacht. Vor der Herrschaft dieses Krösus waren alle Hellenen frei; denn der Heereszug der Cimmerier, welcher gegen Jonien sich erstreckte, und vor des Krösus Zeit fällt, bewirkte keine Unterwerfung der Städte, sondern war nur ein im Anlauf gemachter Raubzug.



7.

Es war aber die Herrschaft Lydiens, welche im Besitze der Herakliden war, auf das Geschlecht des Krösus, die sogenannten Mermnaden, also übergegangen. Kandaules, welchen die Hellenen Myrsilos nennen, war Herrscher von Sardes, ein Abkömmling des Alkäus, des Sohnes des Herkules; Agron nämlich, der Sohn des Ninus, des Sohnes des Belus, des Sohnes des Alkäus, war der erste König der Herakliden über Sardes, Kandaules aber, der Sohn des Myrsus, der letzte[2)] . Die früheren Könige dieses Landes vor Agron waren Abkömmlinge des Lydus, des Sohnes des Atys, nach welchem das ganze Volk, das früher das mäonische hieß, das lydische genannt ward. Von diesem wurden die Herakliden mit der Herrschaft betraut und hatten dieselbe gemäß eines Götterspruches als die Nachkommen des Herkules und einer Magd des Jardanus, während einer Dauer von zweiundzwanzig Menschenaltern[3)] , in welchen der Sohn dem Vater in der Herrschaft folgte, bis auf Kandaules, den Sohn des Myrsus.



8.-14

Dieser Kandaules war nun ungemein in sein eigenes Weib verliebt, und weil er so verliebt war, glaubte er auch das schönste Weib unter allen zu besitzen; in diesem Glauben nun rühmte er einem unter seinen Leibwächten[1)] , dem Gyges, dem Sohne des Daskylus, welcher bei ihm am meisten beliebt war; und dem er auch die wichtigsten Dinge anzuvertrauen pflegte, über die Maßen auch die Schönheit seines Weibes. Nach Verlauf von nicht langer Zeit — denn es sollte nun einmal dem Kandaules übel ergehen — sprach er zu diesem Gyges also: Gyges, es kommt mir vor, als wenn du mir nicht glaubst, wenn ich mit dir von der Schönheit meiner Frau rede, denn die Ohren der Menschen sind immerhin ungläubiger, als ihre Augen; darum mache, daß du sie nackt siehest. Dieser aber schrie laut auf und sprach: Herr, was für eine unvernünftige Rede führst du, indem du mich heißest, meine Gebieterin nackt zu sehen! ziehet doch mit dem Kleide, das ausgezogen wird, das Weib auch die Scham aus; längst schon haben die Menschen das erkannt, was sich ziemt, woraus man lernen soll: darunter ist auch das Eine, daß jeder bedacht nehme auf das Seine. Ich glaube dir gern, jene die schönste unter allen Frauen ist und bitte dich, nichts Ungebührliches von mir zu verlangen.


***
9.

Mit solchen Worten suchte Gyges den Antrag abzulehnen, weil er befürchtete, es möchte für ihn irgend etwas Schlimmes daraus hervorgehen. Kandaules aber erwiderte ihm in folgender Weise: Sei getrost, Gyges, und fürchte dich weder vor mir; als ob ich durch solche Rede dich auf die Probe stellen wollte, noch vor meinem Weibe, daß dir irgend ein Leid von ihrer Seite widerfahre. Denn ich werde es überhaupt so einzurichten suchen, daß sie es gar nicht merkt, von dir gesehen zu werden: ich will dich nämlich in das Gemach, in welchem wir schlafen, hinter die Thüre, welche offen ist, stellen; nach meinem Eintritt wird auch mein Weib erscheinen, um zu Bette zu gehen. Nahe an dem Eingange befindet sich ein Stuhl: auf diesen wird sie ihre Kleider, eins nach dem andern, so wie sie dieselben ausgezogen, legen, und so wird es dir möglich werden, sie mit aller Ruhe zu betrachten. Wenn sie aber von dem Stuhle zum Lager schreitet, und du in ihrem Rücken dich befindest, dann mußt du dir angelegen sein lassen, bei dem Hinausgehen durch die Thür von ihr nicht erblickt zu werden.



***
10.

Da Gyges nun nicht mehr ausweichen konnte, fand er sich dazu bereit; Kandaules aber, als er dachte, es sei Zeit zum Schlafengehen, führte den Gyges in das Gemach; sogleich nach ihm war auch das Weib da: und Gyges konnte die Frau nach ihrem Eintritt, wie sie die Kleider auf den Stuhl legte, betrachten, dann aber, als er der Frau, während sie zu Bette ging, in den Rücken gekommen war, schlüpfte er heimlich hinaus; die Frau aber bemerkte ihn beim Hinausgehen. Da sie indes merkte, daß dies von ihrem Manne so angelegt worden, schrie sie im Gefühl ihrer Scham nicht laut auf, sondern stellte sich, wie wenn sie es gar nicht bemerkt hätte, obwohl sie im Sinn hatte, dafür an Kandaules sich zu rächen. Denn bei den Lydern, wie überhaupt bei fast allen Barbaren, gilt es selbst bei einem Manne für eine große Schande, nackend gesehen zu werden[1)] .



***
11.

Damals nun ließ sie sofort sich nichts merken und verhielt sich ruhig; sowie es aber Tag geworden war; hielt sie diejenigen ihrer Diener, welche sie als ihre getreuesten kannte, in Bereitschaft und berief den Gyges zu sich. Dieser; in der Meinung, sie wisse nichts von dem, was vorgefallen, kam auf den Ruf; denn auch vorher war er gewohnt, so oft die Königin ihn zu sich rief, zu erscheinen. Als er aber gekommen war; sprach das Weib folgendes: Jetzt, Gyges, liegen zwei Wege vor dir; ich überlasse dir die Wahl, welchen von beiden du einschlagen willst; entweder du tötest den Kandaules, und empfängst dann mich und das Königtum der Lyder, oder du mußt selbst sofort auf der Stelle sterben, damit du nicht, dem Kandaules in allem folgend, fürderhin siehest, was du nicht sehen sollst. Entweder also muß jener sterben, der dieses dir geraten hat, oder du, der du mich nackt gesehen und gethan hast, was sich nicht gebührt. Gyges war eine Zeitlang voll Staunen über diese Rede, dann aber bat er flehentlich, ihn nicht in die Notwendigkeit zu versetzen, eine solche Wahl zu treffen; allein es half ihm nichts, und wie er nun sah, daß wirklich eine Notwendigkeit ihm vorliege, entweder seinen Herrn zu töten oder selbst von andern getötet zu werden, zog er es vor, sein eigenes Leben zu erhalten und wendete sich dann an seine Gebieterin mit folgenden Worten: "Da du mich nötigst, meinen Herrn umzubringen wider meinen Willen, wohlan, so laß hören, auf welche Weise wir denn an ihn Hand anlegen wollen." Sie aber nahm sogleich das Wort und sprach: von derselben Stelle aus wird der Angriff geschehen, von welcher aus auch jener mich nackt dir zeigte: sowie er aber in Schlaf gerät, soll man Hand an ihn legen.



***
12.

Nachdem sie nun den Anschlag vorbereitet hatten und es Nacht geworden war, folgte Gyges (denn er wurde während dieser Zeit nicht entlassen und hatte keinen andern Ausweg, sondern entweder mußte er oder Kandaules sterben) dem Weibe in das Gemach, wo sie ihn unter derselben Thür verbarg, nachdem sie ihm einen Dolch gegeben hatte. Darauf, als Kandaules sich zur Ruhe begeben, schlich Gyges heran, tötete den Kandaules und erhielt so das Weib und das Königreich; auch Archilochus[1)] von Parus, der um dieselbe Zeit lebte, hat dessen gedacht in einem jambischen Trimeter.



***
13.

Also gewann Gyges das Königtum und ward darin befestigt durch das delphische Orakel. Als nämlich die Lyder, aufgebracht über das, was dem Kandaules widerfahren war; unter die Waffen traten, kamen die Anhänger des Gyges und die übrigen Lyder dahin überein, daß Gyges König sein solle, wenn das Orakel ihn als König verkünde: wo aber nicht, so solle er die Herrschaft an die Herakliden wiederzurückgeben. Das Orakel aber verkündete ihn, und so ward Gyges König. Nur so viel fügte die Pythia hinzu, daß den Herakliden Rache kommen werde im fünften Nachkommen des Gyges[1)] . Dieses Wort beachteten aber die Lyder und ihre Könige nicht eher, als bis es in Erfüllung gegangen war.



***
14.

So kamen also die Mermnaden in den Besitz der Herrschaft, die sie den Herakliden entrissen hatten. Gyges aber, nachdem er König geworden, entsendete gen Delphi nicht wenige Weihgeschenke, sondern silberne Weihgeschenke befinden sich von ihm sehr viele zu Delphi; außer dem Silber aber weihete er dahin unermeßliches Gold, unter anderem auch, was am meisten erwähnt zu werden verdient, stehen dort von ihm geweiht goldene Mischkrüge[2)] , sechs an Zahl; diese befinden sich in dem Schatzhaus[3)] der Korinthier und haben ein Gewicht von dreißig Talenten[4)] ; der Wahrheit nach ist dies aber nicht das Schatzhaus des Staates der Korinthier, sondern des Kypselus, des Sohnes des Eetion. Dieser Gyges war der erste unter den Barbaren, so weit wir wissen, welcher nach Delphi Weihgeschenke stiftete, nach Midas, dem Sohne des Gordias, Königs von Phrygien. Denn auch Midas hatte den königlichen Stuhl, auf dem er saß, wenn er Recht sprach, ein sehenswertes Werk, dahin geweihet; es befindet sich aber dieser Stuhl da, wo die Mischkrüge des Gyges stehen. Dieses Gold und das Silber, welches Gyges weihete, wird von den Delphern das Gygadische genannt, nach dem Namen dessen, der es gestiftet. Auch Gyges führte, nachdem er zur Herrschaft gelangt war ein Heer gen Milet und Smyrna, und nahm die Stadt Kolophon ein; sonst aber geschah von ihm weiter nichts Bedeutendes während seiner Herrschaft von achtunddreißig Jahren[1)] ; daher wollen wir ihn nun verlassen, nachdem wir so viel von ihm erzählt haben.




15.-17

Dagegen will ich nun des Ardys, des Sohnes des Gyges, welcher nach Gyges König ward, gedenken; Derselbe nahm Priene ein und machte einen Einfall in Milet; während er König war zu Sardes, kamen auch die Cimmerier, die aus ihren Wohnsitzen von den nomadischen Skythen vertrieben worden waren, nach Asien[2)] und nahmen Sardes ein, außer der Burg.


***
16.

Nachdem Ardys neunundvierzig Jahre[3)] regiert hatte, folgte Sadyattes, des Ardys Sohn, welcher König war zwölf Jahre[4)] ; dem Sadyattes folgte Alyattes. Dieser führte Krieg mit dem Cyaxares, dem Nachkommen des Dejokes, und mit den Medern, vertrieb auch die Cimmerier aus Asien, eroberte das von Kolophon aus gegründete Smyrna und machte einen Einfall in Klazomenä. Davon jedoch zog er wieder ab, nachdem es ihm nicht nach Wunsch ergangen war, sondern er eine große Niederlage erlitten hatte. Andere Thaten, die der Erwähnung insbesondere würdig sind, hat er während seiner Herrschaft folgende vollbracht.



***
17.

Er führte mit den Milesiern einen Krieg, welchen er von seinem Vater überkommen hatte; er rückte nämlich heran und belagerte Milet auf folgende Weise: Wenn auf dem Felde die Frucht reif war, fiel er jedesmal mit seinem Heere ein, welches einher zog unter dem Klange von Pfeifen und Harfen, wie von weiblichen und männlichen Flöten[5)] . So oft er nun in das Gebiet von Milet kam, riß er weder die Wohnungen auf den Feldern nieder, noch verbrannte er sie, noch hob er die Thüren aus, sondern ließ alles auf seinem Platze stehen, dagegen die Bäume und die Frucht auf dem Felde zerstörte er jedesmal und zog dann wieder ab. Denn die Milesier waren Herren zur See, so daß eine Belagerung für das Heer nicht thunlich war; die Wohnungen aber zerstörte der Lyder deswegen nicht, damit von diesen aus die Milesier ihr Land besäen und bebauen könnten, er selbst aber, während jene ihr Land bestellten, etwas zum Zerstören vorfände, so oft er einfiele.




18.-22

In dieser Weise führte er den Krieg elf Jahre lang, während welcher die Milesier zweimal große Niederlagen erlitten, als sie bei dem Limeneion[1] ), in ihrem eigenen Gebiete, und in der Ebene des Mäander stritten. Sechs Jahre von diesen elf herrschte noch Sadyattes, des Ardys Sohn, über die Lyder, der auch damals in das milesische Gebiet mit seinem Heer eingefallen war (denn dieser Sadyattes war es auch, der den Krieg angefangen hatte); während der fünf anderen, auf diese sechs folgenden Jahre führte Alyattes, des Sadyattes Sohn, den Krieg, welchen er, wie schon vorher von mir bemerkt worden, von seinem Vater überkommen hatte, und mit allem Eifer betrieb. Den Milesiern aber standen in diesem Kriege keine von den Ioniern bei, außer die Chier[2)] allein; diese kamen ihnen zu Hilfe, Gleiches mit Gleichem vergeltend: denn schon vorher hatten die Milesier den Chiern beigestanden während der ganzen Dauer ihres Krieges mit den Erythräern.


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19.

Im zwölften Jahre aber, als die Saat von dem Heere in Brand gesteckt war, trug sich folgendes Ereignis zu. So wie die Saat angezündet war, ergriff die Flamme, durch des Windes Gewalt getrieben, den Tempel der Athene, mit dem Beinamen der Assessia, und der Tempel, von dem Feuer ergriffen, brannte ab. Damals nun beachtete man dies in keiner Weise; nachher aber, als das Heer nach Sardes zurückgekehrt war, erkrankte Alyattes. Als aber seine Krankheit sich in die Länge zog, schickte er Gesandte nach Delphi, sei es, daß ihm jemand diesen Rat erteilt hatte, oder daß er selber darauf verfallen war, nach Delphi zu schicken und den Gott über seine Krankheit zu befragen. Wie darauf die Gesandten nach Delhpi kamen, verweigerte die Pythia jeglichen Spruch, bevor sie den Tempel der Athene, den sie bei Assessos im milesischen Gebiet in Brand gesteckt, wieder aufgebaut hätten. 20. So erinnere ich mich von den Delphern den Vorfall vernommen zu haben; die Milesier aber setzen noch folgendes hinzu: Periander, der Sohn des Kypselus, welcher mit dem Thrasybulus, dem damaligen Herrscher von Milet, ganz besonders befreundet war, habe, als er von dem Orakel, das dem Alyattes zu Teil geworden, gehört, sogleich einen Boten an Thrasybulug entsendet und ihm dasselbe mitgeteilt, damit er vorher darum wisse und nach den Umständen seinen Entschluß fassen könne. Also, erzählen die Milesier, sei es geschehen. 1. Alyattes aber, als ihm das Orakel hinterbracht worden war, schickte alsbald einen Herold nach Milet, in der Absicht, mit Thrasybulus und den Milesiern auf so lange Zeit, als er den Tempel baue, einen Vertrag zu schließen. Der Abgesandte ging auch nach Milet; Thrasybulus aber, der vorher genau von der ganzen Sache unterrichtet war, und wohl wußte, was Alyattes thun würde, ersann folgendes: alles Getreide, das sich in der Stadt befand, sowohl sein eigenes, als das, was jedem einzelnen Bürger gehörte, ließ er zusammen auf den Markt bringen und den Milesiern verkünden, sie sollten, wenn er das Zeichen gegeben, dann alle trinken und mit einander Gelage halten.



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22.

Dieses that und befahl Thrasybulug deswegen, damit der sardische Herold, wenn er den großen Haufen Getreide aufgeschüttet und die Bevölkerung dem Wohlleben ergeben sähe, dem Alyattes davon Meldung mache. Und so geschah es auch wirklich. Denn wie der Herold dies gesehen, und dann, als er die Aufträge des Königs der Lyder an Thrasybulug ausgerichtet hatte, nach Sardes zurückgekehrt war, so kam, wie ich vernehme, aus keinem andern Grunde die Aussöhnung zu Stande. Alyattes nämlich dachte, es sei ein großer Mangel an Getreide in Milet und das Volk bis zur äußersten Not gedrängt; nun aber vernahm er von dem aus Milet zurückgekehrten Herolde gerade das Gegenteil von dem, was er erwartete. Sonach fand unter ihnen die Versöhnung statt und sie gelobten einander Freunde und Bundesgenossen zu sein. Und so baute Alyattes der Athene zu Assessos zwei Tempel statt eines und erstand selbst aus seiner Krankheit. Also erging es dem Alyattes in dem Kriege mit den Milesiern und mit Thrafybulus.




23.-24

Periander war des Kypselus Sohn, eben derjenige; welcher dem Thrasybulus von dem Orakel Kunde gegeben hatte; es war aber Periander Herrscher von Korinth. Diesem Periander begegnete, wie die Korinther erzählen, und es stimmen mit ihnen die Lesbier überein, in seinem Leben eines der größten Wunder mit Arion von Methymnä[1)] , welcher auf einem Delphin nach Tänarum ans Land getragen ward, einem Cytherspieler, der unter den damals lebenden keinem nachstand und zuerst unter allen, die wir kennen, einen Dithyrambus dichtete, auch benamte und zu Korinth aufführte[2)] .


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24.

Dieser Arion, erzählen sie, hatte längere Zeit bei Periander verweilt, und war dann, weil es ihn dazu gelüstet, nach Italien und Sizilien geschifft; nachdem er sich dort viel Geld gemacht hatte, wünschte er wieder nach Korinth zurückzukehren, und gedachte daher von Tarent aus sich auf den Weg zu machen; weil er aber keinen andern mehr vertraute, als den Korinthern, mietete er sich ein Schiff korinthischer Männer. Diese jedoch faßten auf der hohen See den Anschlag, den Arion aus dem Schiff zu werfen und seiner Schätze sich zu bemächtigen. Als er dies merkte, bat er flehentlich: er wolle ihnen seine Schätze hingeben, sie möchten ihm nur das Leben lassen; allein er fand kein Gehör; die Schiffer forderten ihn vielmehr auf, entweder sich selbst das Leben zu nehmen, damit er ein Grab auf der Erde gewinnen könne, oder sogleich aus dem Schiff in das Meer zu springen. Da bat sich Arion, auf das Äußerste gedrängt, von ihnen aus, sie möchten, weil sie es nun einmal so haben wollten, ihn in seinem vollen Schmuck[1)] auf die Ruderbänke treten und ein Lied singen lassen: wenn er das Lied gesungen, versprach er sich selbst das Leben zu nehmen. Die Schiffer aber wandelte die Lust an, den besten aller Sänger zu hören, und sie traten aus dem vorderen Schiffsraum mitten in das Schiff zurück; er aber legte seinen vollen Schmuck an, ergriff die Cyther, stellte sich auf die Ruderbänke und sang ihnen den orthischen Nomos[2)] ganz durch; und als er mit dem Liede zu Ende war, stürzte er sich selbst, wie er war, mit feinem ganzen Schmuck in das Meer. Und die Schiffer fuhren weiter nach Korinth; ihn aber nahm ein Delphin auf den Rücken und brachte ihn nach Tänarum[3] ) ans Land; als er dann an M Land getreten war, zog er weiter in seinem Schmucke nach Korinth, und erzählte nach seiner Ankunft alles, was ihm begegnet war. Periander; der es nicht glauben konnte, hielt darum den Arion in Verwahr und ließ ihn nicht los; die Schiffer aber nahm er sorgfältig in acht, und als sie erschienen, ließ er sie rufen und befragte sie, ob sie von Arion etwas sagen könnten. Als sie darauf versicherten, er sei wohlbehalten in Italien, und sie hätten ihn im besten Wohlsein zu Tarent verlassen, da trat Arion vor sie, so wie er war, als er aus dem Schiffe herausgesprungen war. Die Schiffer gerieten in Schrecken und konnten, da sie überführt waren, nicht mehr leugnen. Dieses erzählen die Korinther und Lesbier; auch befindet sich ein nicht großes, ehernes Weihgeschenk des Arion bei Tänarum, ein Mann, der auf einem Delphin sitzt.




25.

Alyattes aber, der Lyder; welcher dai Krieg mit den Milesiern big zu Ende geführt hatte, starb darauf nach einer Regierung von fünfundfünfzig Jahren[1)] ; als er der Krankheit entronnen war; hatte er, als der zweite aus diesem (Königs-Sause, nach Delphi einen großen silbernen Mischkrug geweiht, und ein Untergestell dazu von gelötetem Eisen, das sehenswert war vor allen andern delphischen Weihgeschenken, ein Werk des Glaukus von Chios, welcher allein unter allen Menschen die Lötung des Eisens erfunden hat.



26.-27

Nach des Alyattes Tod übernahm die Regierung dessen Sohn Krösus, der bereits in einem Alter von fünfunddreißig Jahren stand, und zuerst auf die Ephesier unter allen Hellenen einen Angriff machte; als nun die Ephesier von ihm belagert wurden, weiheten sie ihre Stadt der Artemis, nachdem sie von dem Tempel ein Seil gezogen[2)] bis zu der Stadtmauer; es sind aber zwischen der alten Stadt, welche damals belagert wurde, und dem Tempel sieben Stadien[3)] . Auf diese also zuerst machte Krösus einen Angriff, nachher aber griff er die übrigen Jonier und Äolier der Reihe nach an, indem er bei jeglicher Stadt einen andern Grund vorgab: einen erheblicheren bei solchen, bei welchen er einen solchen ausfindig machen konnte; bei einigen derselben nahm er auch einen ganz geringen Vorwand.


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27.

Als demnach die Hellenen in Asien zur Entrichtung eines Tributes von Krösus unterworfen worden waren, kam er weiter auf den Gedanken, Schiffe bauen zu lassen und damit die Inselbewohner[4)] anzugreifen. Wie nun alles zu dem Bau der Schiffe in Bereitschaft war; kam, wie die einen sagen, Vias von Priene, wie die andern aber sagen, Pittacus von Mytilene[1)] nach Sardes, und brachte den Krösus, als dieser an ihn die Frage richtete, was es Neues in Hellauf gebe, durch folgende Worte von dem Schiffbau ab: ,O König! die Inselbewohner bringen durch Kauf eine zahllose Reiterei zusammen, weil sie im Sinne haben, gen Sardes und wider dich zu Felde zu ziehen. " Krösus, in der Meinung, jener sage die Wahrheit, erwiderte darauf: "Wenn doch die Götter es den Inselbewohnern in den Sinn gäben, wider die Söhne der Lyder mit Rossen zu Felde zu ziehen! " Da fiel ihm jener ins Wort und sprach: ,O König! es scheint dein eifriger Wunsch zu sein, die Inselbewohner zu Roß auf dem festen Lande zu fassen, und deine Hoffnung ist eine natürliche; meinst du aber nicht, daß auch die Inselbewohner keinen andern Wunsch als den haben, nachdem sie von deinem Unternehmen, Schiffe gegen sie zu bauen, gehört haben, die Lyder auf dem Meere zu fassen[2)] , damit sie für die auf dem Festlande wohnenden Hellenen, die du in Sklaverei hältst, Rache an dir nehmen?" Über diese letzten Worte freute sich Krösus sehr, und da ihm die Sache ganz vernünftig vorkam, folgte er und stand von dem Schiffsbau ab. So kam es dahin, daß er mit den auf den Inseln wohnenden Ioniern einen Freundschaftsbund abschloß.




28.

Nach Verlauf einiger Zeit nachdem fast alle Völker, welche diesseits des Flusses Halys wohnen, unterworfen waren — denn außer den Ciliciern und Lyciern hatte Krösus alle anderen seiner ,Herrschaft unterworfen; es sind dies aber folgende: Lyder; Phrygier; Myser Mariandyner, Chalyber; Paphlagoner; Thracier, und zwar die thynischen wie die bithynischen, Karer, Jonier, Dorier; Äolier, Pamphiler —



29.-33

nachdem also Krösus diese unterworfen und seiner Lydischen Herrschaft hinzugefügt hatte, kamen nach dem durch Reichtum blühenden Sardes aus Hellas nicht nur andere Weise, die um diese Zeit gerade lebten, einer nach dem andern, sondern auch Solon, ein Athener; welcher den Athenern auf ihr Geheiß Gesetze gegeben hatte, und dann auf zehn Jahre in die Fremde gegangen war; um, wie er vorgab, sich in der Welt umzusehen, der Wirklichkeit nach aber, damit er nicht genötigt würde, irgend eines der Gesetze, welche er gegeben hatte, aufzuheben: denn die Athener selbst waren außer Stande, dies zu thun, weil sie durch große Eidschwure sich gebunden, zehn Jahre lang die Gesetze zu halten, die ihnen Solon gegeben.


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30.

Eben deswegen nun, und auch wohl, um sich umzusehen, war Solon außer Landes gereist und nach Ägypten zum Amasis, dann auch nach Sardes zu Krösus gekommen. Hier wurde er nach seiner Ankunft gastlich von Krösus in der königlichen Burg aufgenommen, und dann, am dritten oder vierten Tage, führten auf Geheiß des Krösus dessen Diener den Solon in den Schatzkammern herum und zeigten ihm alles, was Großes und Herrliches da war. Nachdem Solon dieses alles betrachtet und beschauet hatte, so wie es ihm gelegen war, richtete Krösus an ihn folgende Frage: Athenischer Gastfreund! vielfach hat man uns schon von dir erzählt, sowohl von deiner Weisheit, wie von deiner Wanderung, wie du aus Wissensbegierde viele Länder, um dich umzusehen, besucht hast; darum fühle ich jetzt ein Verlangen, dich zu fragen, ob du schon einen Menschen gesehen, der unter allen der glücklichste war." Krösus stellte diese Frage, weil er eben sich für den glücklichsten unter allen Menschen ansah. Solon aber, der keineswegs schmeichelte, sondern sich an die Wahrheit hielt, gab ihm zur Antwort: O König den Tellus von Athen." Da geriet Krösus in große Verwunderung über dieses Wort, und als er nun in seinem Eifer die Frage stellte: warum urteilest du also, daß Tellus der glücklichste sei? so sprach Solon: Einerseits lebte Tellus, als der Staat blühete, und hatte brave und tüchtige Söhne: er erlebte es auch, wie diesen allen Kinder geboren wurden und auch am Leben blieben; andererseits ward ihm, da er in glücklichen Lebensverhältnissen, so weit es bei uns angeht, gelebt, das glänzendste Ende des Lebens zu Teil. Denn als die Athener mit ihren Nachbarn bei Eleusis in Kampf geraten waren, eilte er herbei, schlug die Feinde in die Flucht und erlitt dabei den rühmlichsten Tod: die Athenienser bestatteten ihn auf öffentliche Kosten da, wo er gefallen war, und erwiesen ihm große Ehre."



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31.

Solon hatte durch diese Erzählung von Tellus, dessen großes Glück er gepriesen, den Krösus noch begieriger gemacht, und so Sagte er den Solon, wer denn der zweite sei, den er nach jenem so glücklich gesehen? er dachte nämlich, er würde doch wohl die zweite Stelle erhalten. Aber Solon nannte den Kleobis und Biton; diese nämlich, die von Geburt Argiver waren, hatten hinreichend zu leben und dabei eine solche Körperstärke, daß sie beide auf gleiche Weise den Sieg in den Kampfspielen davon getragen hatten; es wird aber auch von ihnen noch folgendes erzählt: bei einem Feste, das die Argiver der Here feierten, mußte ihre Mutter durchaus auf einem Wagen nach dem Heiligtum gebracht werden; als nun die Rinder nicht zur rechten Zeit vom Felde eintrafen, so spannten die Jünglinge, gedrängt von der Zeit sich selbst an die Deichsel und zogen den Wagen, auf welchem ihre Mutter fuhr. So brachten sie die Mutter eine Strecke von fünfundvierzig Stadien[1)] in dem Wagen zu dem Heiligtum: und nachdem sie dieses vollbracht und von der Festversammlung erblickt worden waren, ward ihnen das beste Ende des Lebens zu Teil und es zeigte an ihnen die Gottheit, daß es dem Menschen besser sei zu sterben als zu leben. Die umstehenden Argiver nämlich priesen die Stärke der Jünglinge, die Argiverinnen aber ihre Mutter, weil ihr solche Kinder zu Teil geworden; da trat die Mutter, voll von Freude über die That wie über diese Worte, vor das Götterbild und flehete, möchte die Göttin ihren Kindern Kleobis und Biton, die ihr so große Ehre erwiesen, dasjenige gewähren, was den Menschen zu erlangen das beste sei. Nach diesem Gebete, als man das Opfer dargebracht und den Festschmaus gehalten, schliefen die Jünglinge in dem Tempel ein und standen nicht mehr auf, sondern verblieben in diesem Ende ihres Lebens. Die Argiver aber ließen ihnen Bildsäulen fertigen und weiheten sie nach Delphi, weil sie so treffliche Männer gewesen.



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32.

Diesen nun erkannte Solon an zweiter Stelle den Preis irdischen Glückes zu; Krösus aber ward aufgebracht und sprach: O Gastfreund von Athen, ist denn unser Glück bei dir für gar nichts angesehen, so daß du uns nicht einmal gewöhnlichen Bürgern für gleich achtest?" Da erwiderte Solon: "O Krösus! mich, der ich wohl weiß, wie die Gottheit durchaus von Neid und Unruhe[1)] erfüllt ist, fragst du über menschliche Dinge? In der langen Zeit (des Lebens) gibt es vieles zu sehen, was man nicht will, vieles aber auch zu ertragen; ich setze nämlich die Grenze des Lebens auf siebenzig Jahre, diese siebenzig Jahre machen fünfundzwanzigtausend und zweihundert Tage[2),] wenn kein Schaltmonat eingerechnet wird. Insofern nun aber ein Jahr um einen Monat länger sein soll als das andere, damit die Jahreszeiten zur gehörigen Zeit eintreffen, so kommen zu den siebenzig Jahren noch fünfunddreißig Schaltmonate hinzu, und aus diesen Monaten ergeben sich tausendundfünfzig Tage. Von allen diesen Tagen, welche auf die siebenzig Jahre gehen, sechsundzwanzigtausendzweihundertundfünfzig[3)] , bringt kein Tag ein dem andern völlig gleiches Ereignis; so also, o Krösus, ist der Mensch ganz ein Spiel des Zufalls. Allerdings scheinst du mir im Besitze großen Reichtumes zu sein, und ein König über viele Menschen: das aber, wonach du mich fragst, kann ich dir nicht angeben, bevor ich erfahren, daß dein Leben glücklich geendet hat. Denn fürwahr derjenige, der in großem Reichtum steht, ist darum nicht glücklicher als derjenige, der nur sein tägliches Brot zu essen hat, wenn ihm nicht das Glück zu teil wird, im Besitze aller dieser Güter sein Leben wohl zu enden. Viele Menschen, die sehr reich sind, sind darum nicht glücklich; viele aber, die nur mäßig zu leben haben, sind glücklich. Derjenige nun, der sehr reich, aber unglücklich ist, hat vor dem Glücklichen nur zwei Dinge voraus, dieser aber vor dem Reichen und Unglücklichen gar vieles; jener nämlich ist eher im stande, sein Gelüste zu befriedigen und ein großes Unglück, das ihn trifft, zu ertragen; der andere aber hat das vor ihm voraus, daß er zwar nicht, wie jener, auf gleiche Weise ein Unglück ertragen und sein Gelüste befriedigen kann, aber auch durch sein Wohlbefinden davor bewahrt ist: er hat gesunde Glieder ist ohne Krankheit und kennt kein Leid; er hat schöne Kinder und selbst eine schöne Gestalt. Wenn er nun überdies noch sein Leben wohl endet, so ist er eben derjenige, den du suchest, und verdient den Namen eines Glücklichen. Bevor er aber gestorben, soll man sein Urteil zurückhalten und ihn nicht glücklich nennen, sondern nur von ihm sagen, es gehe ihm gut. Nun ist es zwar für einen Menschen nicht möglich, dies alles zusammen zu erlangen, gerade wie es ja auch kein Land gibt, das sich selbst in allem genügt, sondern es hat das Eine und bedarf des Anderen; dasjenige Land aber, welches das meiste besitzt, gilt für das beste; ebenso auch kann des Menschen Leib allein sich nicht genügen, das Eine hat er und des Anderen bedarf er. Wer nun aber dauernd das Meiste besitzt und dann guten Mutes sein Leben endet, der verdient, o König, nach meinem Ermessen billig den Namen des Glücklichen. Denn bei jedem Dinge muß man auf das Ende sehen, welchen Ausgang es nimmt; schon manchem hat die Gottheit das Glück nur gezeigt, um ihn dann von Grund aus zu vernichten. "



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33.

Diese Rede des Solon gefiel dem Krösus gar nicht, er nahm daher auch auf Solon weiter keine Rücksicht und entließ ihn, weil er ihn für einen völligen Thoren hielt, welcher die Güter der Gegenwart nicht beachte, sondern ihn auffordere, auf das Ende jeglichen Dinges zu sehen.




34.-45

Nach Solons Weggang aber verhängte die Gottheit über den Krösus eine schwere Rache, darum vermutlich, weil er sich selbst für den glücklichsten aller Menschen gehalten. Alsbald kam ihm im Schlafe ein Traum, der ihm in Wahrheit das Unglück verkündete, das ihn hinsichtlich seines Sohnes treffen sollte. Krösus hatte zwei Söhne, von welchen der eine untauglich war, denn er war taub, der andere aber unter seinen Altersgenossen bei weitem in allem der erste, sein Name war Atys; diesen Atys, so bedeutete der Traum dem Krösus, werde er verlieren durch den Wurf einer eisernen Lanzenspitze. Als Krösus aus dem Traume erwacht war und sich dann die Sache überlegte, ward er von Furcht erfüllt wegen des Traumes und entschloß sich, seinem Sohne ein Weib zuzuführen; auch ließ er ihn, da er gewohnt war, die Lyder im Felde anzuführen, nicht mehr zu einem solchen Geschäfte ausziehen; Wurfspieße, Lanzen und alle derartigen Dinge, deren die Menschen sich zum Kriege bedienen, ließ er aus den Räumen der Männer wegschaffen und in seinen Gemächern zusammenbringen, damit nicht etwas, was an der Wand hänge, auf seinen Sohn herabfalle.


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35.

Während der Sohn mit seiner Heirat beschäftigt war, kam nach Sardes ein Mann, gedrückt vom Unglück, unrein an seinen Händen, ein Phrygier von Geburt, aus königlichem Geschlecht. Dieser trat in den Palast des Krösus und bat ihn nach der Landessitte um Sühnung; Krösus aber vollzog die Sühne, die bei den Lydern auf ähnliche Weise geschieht wie bei den Hellenen. Als nun Krösus die dabei üblichen Bräuche vollendet hatte, fragte er ihn, woher er sei und wer er sei, in folgenden Worten: Wer bist du denn, Fremdling, und woher aus Phrygien bist du gekommen, um Schutz zu suchen an meinem Herd? Welchen Mann oder welches Weib hast du erschlagen? O König, erwiderte er, ich bin der Sohn des Gordias, eines Sohnes des Midas, und heiße Adrastus; ich habe meinen eigenen Bruder wider Willen erschlagen und erscheine nun vor dir, verstoßen von meinem Vater, und aller Habe beraubt. Da erwiderte ihm Krösus mit folgenden Worten: Du bist ein Abkomme von Männern, die meine Freunde sind, und bist zu Freunden gekommen; bleibe hier in meinem Hause, wo es dir an nichts fehlen wird, ertrage dein Unglück so gelassen als möglich, und es wird dir am meisten frommen. So nun lebte er in dem Hause des Krösus.



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36.

Um diese selbe Zeit befand sich auf dem Mysischen Olymp[1)] ein gewaltiger Eber, welcher von dem Gebirge herunter kam und die bebauten Felder der Myser verheerete. Öfters zogen die Myser gegen ihn aus, sie konnten ihm aber nichts anhaben, sondern litten vielmehr von ihm. Da kamen endlich Boten der Myser zum Krösus und sprachen zu ihm also: O König, ein gewaltiger Eber ist im Lande erschienen und verheert unsere Felder, wir können ihn nicht fangen, so sehr wir uns auch Mühe geben; wir bitten dich daher; deinen Sohn und auserwählte Jünglinge samt Hunden zugleich mit uns auszusenden, damit wir uns das Tier aus dem Lande schaffen. Diese nun baten also; Krösus aber, eingedenk des Traumes, sprach zu ihnen die folgenden Worte: Meines Sohnes gedenket nicht weiter, denn ich kann ihn nicht mit euch schicken, er ist ja ein Neuvermählter und muss jetzt dafür sorgen; indessen will ich auserwählte Lyder mit der ganzen Hundekoppel euch mitgeben und ihnen beim Weggehen austragen, alle Mühe anzuwenden um mit euch das Tier aus dem Lande zu schaffen. Das war seine Antwort, und während die Myser auch mit derselben zufrieden waren, trat der Sohn des Krösus, der von der Bitte der Myser gehört hatte, herein. Wie nun Krösus sich weigerte, den Sohn mit den Mysern abzusenden, wendete sich der junge Mann an ihn mit folgenden Worten: O Vater, früher wohl war es meine schönste und edelste Beschäftigung, in den Krieg und auf die Jagd zu ziehen und mir Ruhm zu erwerben: jetzt aber hast du mich von beidem ausgeschlossen, ohne an mir irgend eine Feigheit wahrzunehmen; mit welchen Augen soll ich mich blicken lassen, wenn ich auf den Markt, und von dem Markt heimgehen was werden meine Mitbürger von mir denken, was mein neuvermähltes Weib? was wird sie von dem Manne halten, mit dem sie verbunden ist? Laß mich also entweder auf die Jagd gehen, oder überzeuge mich durch Gründe, daß es für mich besser ist, wenn es also geschieht.



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38.

Darauf erwiderte Krösus folgendes: O Sohn, ich thue dies nicht, weil ich Feigheit oder sonst etwas Schlechtes an dir bemerke; sondern ein Traumgesicht, das im Schlafe zu mir trat, erklärte mir, dein Leben werde von kurzer Dauer sein; durch eine eiserne Lanzenspitze würdest du umkommen. Wegen dieses Traumgesichtes habe ich deine Heirat beschleunigt und lasse dich nicht mehr zu Unternehmungen ausziehen, aus Wachsamkeit, um dich womöglich während meines Lebens durchzubringen. Denn du bist nun einmal mein einziger Sohn; den andern, der am Gehör leidet, kann ich doch nicht anschlagen.



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39.

Darauf gab der junge Mann zur Antwort: wohl ist es dir, o Vater, zu verzeihen, wenn du, nachdem du ein solches Traumgesicht gesehen, ein wachsames Auge um mich hast: was du aber nicht begreifst, und worin der Traum dich getäuscht hat, das bin ich verpflichtet, dir anzugeben. Du sagst, der Traum habe dir verkündet, ich würde durch eine eiserne Lanzenspitze umkommen; hat denn aber ein Eber Hände? oder eine eiserne Lanzenspitze, vor der du dich fürchtest? Hätte der Traum dir gesagt, ich würde an einem Zahn, oder etwas anderem, was ihm ähnlich ist, sterben, so hättest du allerdings das thun müssen, was du thuest, so aber hat er von einer Lanzenspitze gesprochen; da wir nun nicht mit Männern zu streiten haben, so laß mich ziehen.



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40.

Darauf erwiderte Krösus: wie du den Traum auslegst, hast du wohl recht, und so muß ich dir nachgeben und meinen Entschluß ändern: ich lasse dich fortziehen auf die Jagd.



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41.

Nach diesen Worten ließ Krösus den Phrygier Adrastus rufen und sprach zu ihm, als er gekommen war, folgendes: Adrastus, du warst von einem schweren Unglück, das ich dir jedoch nicht zum Vorwurf mache, getroffen, ich habe dich gesühnt und in mein Haus aufgenommen, wo ich dich mit allem versorge, dessen du bedarfst; jetzt aber solltest du wohl das Gute, das ich dir vorher erwiesen, mir mit Gutem erwidern, und darum bitte ich dich, der Wächter meines Sohnes zu werden, welcher auf die Jagd zu ziehen gedenkt, damit nicht auf dem Wege Räuber zu eurem Verderben erscheinen und euch Schlimmes anthun: überdem steht es dir selbst wohl an, dahin zu gehen, wo du durch Thaten dich auszeichnen kannst; denn dies ist dir angeboren von deinen Vätern, und zudem fehlt es dir selbst nicht an Stärke und Kraft.



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42.

O König, erwiderte darauf Adrastus, in keinem andern Falle wäre ich zu einem solchen Kampfe gezogen; denn für mich, der ich von solchem Unglück getroffen bin, ziemt es sich nicht; unter solche Jünglinge zu treten, die im Glück leben, auch habe ich gar nicht dazu den Willen; ich würde mich lieber auf alle Weise davon zurückgehalten haben. Jetzt aber, da du es so verlangest und ich mich dir gefällig erweisen muß (denn ich bin schuldig, dir Gutes zu erwidern), so bin ich bereit, dies zu thun; erwarte, daß dein Sohn, den du zur Obhut mir anvertrauest, unversehrt, so weit es an dem Wächter liegt, zu dir zurückkehren wird.



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43.

Also erwiderte dieser dem Krösus: und darauf zogen sie aus, wohl versehen mit ausgewählten Jünglingen und Hunden. Nach ihrer Ankunft auf dem Olympischen Gebirge suchten sie das Tier auf, und als sie es gefunden, stellten sie sich im Kreise herum auf und schossen danach ihre Wurfspeere. Hier nun war es, wo der fremde Gast, eben derjenige, welcher vom Morde gesühnt worden war und Adrastus hieß, den Eber, nach dem er zielte, verfehlte und dafür den Sohn des .Krösus traf Und so erfüllte dieser, getroffen von der Spitze des Speeres, das Wort des Traumes. Sogleich eilte ein Bote zu Krösus, ihm den Vorfall zu melden; und als er nach Sardes gekommen war, gab er ihm von dem Kampfe und von dem Tode seines Sohnes Nachricht.



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44.

Krösus war ganz außer sich über den Tod seines Sohnes, noch mehr aber nahm er es sich zu Herzen, daß ihn derjenige getötet, den er selbst vom Tode gesühnt hatte. In diesem heftigen Schmerz über sein großes Unglück rief er laut den Zeus an, den Gott der Sühne, als Zeugen dessen, was ihm von dem Gastfreund widerfahren, er rief ihn weiter an als den Gott des gastlichen Herdes und der Freundschaft; als den Gott des gastlichen Herdes weil er den fremden Gast in sein Haus aufgenommen und, ohne es zu ahnen, den Mörder seines Sohnes unterhalten, — als den Gott der Freundschaft aber, weil er in dem, den er seinem Sohne zum Wächter mitgegeben, den ärgsten Feind erfunden.



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45.

Darauf kamen die Lyder und brachten den Leichnam: hinter diesem folgte der Mörder, der sich dann vor den Leichnam stellte und dem Krösus überantwortete, mit ausgestreckten Händen bittend, ihn über dem Leichnam hinzuschlachten; er sprach von seinem früheren Unglück und wie er dazu der Mörder dessen geworden, der ihn gesühnt, und so nicht mehr zu leben habe. Als Krösus diese Worte vernommen, empfand er Mitleid mit Adrastus, wiewohl er selbst in einem so großen eigenen Unglück sich befand und sprach zu ihm: ich habe, o Gastfreund, von deiner Seite alle Genugthuung, da du dich selbst des Todes schuldig erklärst; auch trägst du nicht die Schuld an diesem meinem Unglück, außer insofern du wider deinen Willen gehandelt hast, sondern irgend ein Gott, der mir auch schon längst das, was kommen sollte, offenbaret hat. Krösus bestattete darauf nach üblicher Weise seinen Sohn; Adrastus aber, der Sohn des Gordias, des Sohnes des Midas, eben dieser; welcher der Mörder seines eigenen Bruders und dann der Mörder dessen, der ihn gesühnt, geworden war; wartete, bis es um das Grab stiller von Menschen geworden war, und machte darauf, weil er sich für den unglücklichsten Menschen auf der Welt hielt, seinem Leben auf dem Grabeshügel ein Ende; Krösus dagegen verlebte zwei Jahre in tiefer Trauer um den Sohn, den er verloren hatte.




46.-55

Darauf machte der Sturz der Herrschaft des Astyages, des Sohnes des Cyaxares, und die wachsende Macht der Perser der Trauer des Krösus ein Ende: es hatte nämlich Krösus in Überlegung genommen, ob er wohl im stande sei, die wachsende Macht der Perser, ehe sie noch zu mächtig geworden, zu brechen. Infolge dieses Gedankens suchte er alsbald die Orakel bei den Hellenen wie die in Lydien auf die Probe zu stellen, indem er aller Orten hin Boten entsendete, die einen nach Delphi, die andern nach Aba im Lande der Phokeer die andern nach Dodona: Etwelche wurden auch zum Amphiaraus und Trophonius entsendet, andere zu den Branchiden[1)] im Milesischen Gebiete: das sind nämlich die hellenischen Orakel, zu welchen Krösus schickte, um sich Rats zu erholen. Andere Boten schickte er zum Ammon in Libyen, um das Orakel zu befragen; er wollte nämlich durch diese aller Orten hingesendeten Boten die Orakel versuchen, was sie wüßten, damit er dann, wenn ihre Angaben wahr erfunden würden, noch einmal zu ihnen schicke und sie befrage, ob er einen Feldzug gegen die Perser unternehmen könne.


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47.

Den Lydern aber, die er zur Befragung der Orakel aussendete, gab er folgenden Auftrag: von dem Tage an, an welchem sie von Sardes aufgebrochen, sollten sie weiter fortzahlen, und am hundertsten Tage sich an das Orakel wenden mit der Frage, womit denn jetzt gerade der Lyderkönig Krösus, des Alyattes Sohn, beschäftigt sei; die Antwort, die ein jedes der Orakel erteilte, sollten sie aufschreiben und an ihn zurückbringen. Was nun die übrigen Orakel geantwortet, wird von niemand berichtet; zu Delphi aber redete die Pythia die Lyder, als sie eingetreten waren in das Innere, um den Gott zu befragen und im Begriff waren, sich ihres Auftrages zu entledigen, also in sechsfüssigen Versen an:

Ich wohl kenne des Sandes Zahl, wie die Masse des Meeres,
Und verstehe den Stummen und hör' auch den, der nicht jeder
In die Sinne um dringt ein Geruch der gewappneten Kröte,
Wie man in Erz sie kocht zugleich um dem Fleische des Lammes,
Erz in aber darunter gelegt und Erz ist darüber.


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48.

Diesen Spruch der Pythia schrieben sich die Lyder auf und eilten sofort nach Sardes. Und als auch die anderen Boten, die umhergesendet worden waren, erschienen und ihre Göttersprüche mitbrachten, da entfaltete Krösus dieselben und besah einen jeden der ausgeschriebenen Sprüche. Keiner jedoch von denselben sagte ihm zu: als er aber das Orakel von Delphi vernommen, nahm er es gleich mit Verehrung an, weil er glaubte, das Delphische Orakel sei das einzige, insofern es dasjenige herausgefunden, was er gethan hatte. Er hatte nämlich, als die Boten aller Orten hin zu den Orakeln entsendet, den bestimmten (hundertsten) Tag wohl beachtet und etwas ausgesonnen, was nach seiner Meinung herauszufinden und zu erdenken unmöglich wäre: er hatte eine Schildkröte und ein Lamm in Stücke schneiden und dann zusammen kochen lassen in einem ehernen Kessel, auf welchen er einen ehernen Deckel gelegt hatte.



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49.

Das also war das Orakel, das von Delphi dem Krösus zukam: in bezug auf die Antwort des Orakels des Amphiaraus weiß ich nicht anzugeben, wie die Antwort an die Lyder lautete; nachdem sie im Tempel die üblichen Gebräuche[1] ) verrichtet hatten. Denn es wird darüber nichts anderes angegeben, als daß Krösus auch dieses Orakel als ein untrügliches erfunden zu haben glaube.



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50.

Hernach aber suchte Krösus durch große Opfer den Gott zu Delphi sich gnädig zu machen: denn er brachte Schlachtopfer an Vieh dar; in allem dreitausend Stück, dann vergoldete und versilberte Ruhebetten, goldene Schalen, purpurne Gewänder und Leibröcke, und dies alles ließ er auf einen großen Haufen zusammenbringen und verbrennen, in der Hoffnung, den Gott dadurch noch mehr für sich zu gewinnen; dann gebot er allen Lydern, ein jeder von ihnen solle dasjenige als Opfer darbringen, was er wohl besäße. Als er nun mit dem Opfer zu Ende gekommen war, ließ er unermeßliches Gold einschmelzen und daraus Halbziegel fertigen, in der Länge von sechs, in der Breite von drei, und in der Höhe von einer Spanne, der Zahl nach hundertundsiebenzehn, darunter waren vier von lauterem Golde, von welchen jeder zwei und ein halbes Talent[2)] wog; die andern Halbziegel waren von weißem Golde[3)] , und hatten ein Gewicht von zwei Talenten ein jeder. Auch ließ er ein Bildnis eines Löwen von lauterem Golde fertigen, welches an Gewicht zehn Talente hatte. Dieser Löwe fiel, als der Delphische Tempel abbrannte, von den Halbziegeln herab, auf welche er gestellt war; jetzt liegt er in dem Schatzhaus der Korinthier und hat noch ein Gewicht von siebenthalb Talenten; denn vierthalb Talent ist davon geschmolzen[1] ).



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51.

Diese Weihegeschenke, sowie sie in der Arbeit fertig geworden, sendete Krösus nach Delphi und zugleich mit ihnen noch weiter folgende Gaben: zwei sehr große Mischkrüge, einen goldenen und einen silbernen, von welchen der goldene rechts bei dem Eingange in den Tempel lag, der silberne aber links; auch diese wurden bei dem Brande des Tempels von ihrer Stelle weggebracht: der goldene liegt nun in dem Schatzhause[2)] der Klazomenier, bei einem Gewichte von neunthalb Talent und von zwölf Minen; der silberne aber, welcher sechshundert Amphoren faßt, liegt in dem Winkel des Vorhauses: denn es wird dann der Wein von den Delphiern gemischt bei dem Feste der Göttererscheinung; die Delphier sagen, es sei ein Werk des Theodorus von Samus; und ich glaube es: denn es scheint mir kein gewöhnliches Werk zu sein. Auch vier silberne Fässer schickte Krösus dahin, welche in dem Schatzhause der Korinthier stehen, und zwei Weihekessel weihete er dahin, einen goldenen und einen silbernen, von welchen der goldene die Aufschrift der Lakedämonier trägt, welche denselben für ihr Weihegeschenk ausgeben, worin sie jedoch unrecht haben, denn auch er ist von Krösus dahin gestiftet; einer von den Delphiern, welcher den Lakedämoniern sich gefällig erweisen wollte, hat die Aufschrift darauf gesetzt, ich kenne auch den Namen desselben, will ihn aber hier nicht angeben; der Knabe jedoch, durch dessen Hand das Wasser fließt, ist ein Weihegeschenk der Lakedämonier, von den beiden Weihekesseln aber keiner. Zugleich damit schickte Krösus noch viele andere, minder bedeutende Weihegeschenke: silberne, rundförmige Schüsseln[3)] , dann auch ein goldenes Bild eines Weibes von drei Ellen, welches, wie die Delphier angeben, ein Bild der Bäckerin des Krösus ist[1)][:] und zu dem allem weihete Krösus noch den Halsschmuck und den Gürtel seiner eigenen Frau.



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52.

Das waren die Gaben, welche Krösus nach Delphi entsendete. Dem Amphiaraus aber weihete er, als er von dessen Tapferkeit und Schicksal gehört hatte, einen Schild ganz von Gold und ebenso einen Speer ganz von gediegenem Golde, an welchem der Schaft wie die Spitze gleichmäßig von Gold war: sie lagen noch bis zu meiner Zeit zu Theben, und zwar in dem Thebanischen Tempel des Ismenischen Apollo.



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53.

Den Lydern aber, welche diese Geschenke zu den Tempeln bringen sollten, erteilte Krösus den Auftrag, die Orakel zu befragen, ob er gegen die Perser zu Felde ziehen solle, und ob er wohl eine Heeresmacht von Freunden dazu nehmen könne. Als nun die Lyder an den Orten, zu denen sie entsendet waren, angekommen und die Weihegeschenke dargebracht hatten, wendeten sie sich an die Orakel mit den Worten: Krösus, der König der Lyder und anderer Völker, hat, weil er glaubt, daß diese Orakel die einzigen seien auf der Welt, euch Gaben gespendet, würdig eurer Offenbarungen, und nun stellt er an euch die Frage, ob er gegen die Perser zu Felde ziehen solle, und ob er irgend eine Heeresmacht von Verbündeten gewinnen könne. Also fragten sie: es liefen aber die Sprüche beider Orakel auf dasselbe hinaus, insofern sie dem Krösus voraussagten, er werde, wenn er gegen die Perser zu Felde ziehe, eine große Herrschaft stürzen; dann aber gaben sie ihm den Rat, die mächtigsten unter den Hellenen zu ermitteln und diese sich dann zu Freunden zu machen.



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54.

Als Krösus die von den Gesandten zurückgebrachten Göttersprüche erfahren hatte, empfand er über diese Orakel eine große Freude, weil er nun fest hoffte, er werde das Reich des Cyrus zerstören; er schickte daher abermals nach Pytho[2)] und de schenkte die Delphier, nachdem er die Zahl derselben in Erfahrung gebracht, Mann für Mann mit zwei Goldstateren[1)] . Dafür verliehen die Delphier dem Krösus und den Lydern den Vorrang in der Befragung des Orakels, Befreiung von der Steuer; und bei den öffentlichen Spielen einen Platz auf den ersten Reihen: auch solle es jedem von ihnen, der da wolle, frei stehen, Bürger zu Delphi zu werden auf alle Zeit[2).]



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55.

Nachdem Krösus die Delphier beschenkt hatte, ließ er zum drittenmal das Orakel befragen. Denn da er die Wahrheit des Orakels erkannt hatte, konnte er nicht satt werden an demselben. Er stellte aber nun an dasselbe die Anfrage, ob seine Alleinherrschaft von langer Dauer sein werde. Darauf gab ihm die Pythia folgende Antwort:

Aber wenn einst den Medern geboren als König ein Maultier[3)] ,
Dann, weichmütiger Lyder, entflieh zu dem steinigen Herums[4)] ,
Bleibe auch nicht und scheue dich nicht, als Weichling zu gelten.



56.

Als diese Worte an Krösus gelangten, empfand er darüber eine noch viel größere Freude, mehr wie über alles andere; weil er dachte, daß ein Maultier nimmermehr statt eines Menschen König der Meder werde, und daß weder er; noch seine Nachkommen die Herrschaft verlieren würden. Hernach aber ließ er es sich angelegen sein, zu erforschen, welche unter den Griechen wohl die mächtigsten wären, um deren Freundschaft zu gewinnen: bei dieser Forschung fand er, daß die Lakedämonier und Athener hervorragten (vor den andern), die einen von dorischem, die andern von ionischem Stamm: denn diese waren vor Alters die Hauptstämme, von welchen der eine ein pelasgisches, der andere ein hellenisches Volk war: jenes hat nie seine Wohnsitze verlassen, dieses aber ist viel umhergezogen[1)] . Denn zu den Zeiten des Königs Deukalion bewohnte es die Landschaft Phthiotis, unter dem Dorus, dem Sohne des Hellen aber das Land am Fuße des Ossa und Olympus, welches Histiäotis heißt. Wie es aber aus dem Lande Histiäotis vertrieben war durch die Kadmeer, wohnte es am Pindus und ward das Makedonische genannt: von hier aber wanderte es wiederum aus nach dem Lande Dryopis und aus diesem Lande kam es denn nach dem Peloponnes und wurde das Dorische genannt.



57.-58

Was eine Sprache die Pelasger redeten, kann ich nicht mit Bestimmtheit angeben. Wenn man aber einen Schluß ziehen darf nach den noch jetzt vorhandenen Pelasgern, welche über den Tyrsenern die Stadt Kreston[2)] bewohnen und einst Nachbarn derjenigen waren, welche jetzt Dorer heißen, damals aber das jetzt Thessaliotis genannte Land bewohnten, sowie nach denjenigen Pelasgern, welche in Placia und Scylace[3)] am Hellespont sich nieder gelassen hatten und mit den Athenern zusammengewohnt, ferner nach allen den andern Städten, so viele deren pelasgisch waren und ihren Namen verändert haben; wenn man, sage ich, danach einen Schluß ziehen und sich aussprechen soll, so waren die Pelasger ein Volk, das eine barbarische Sprache redete. War dies nun bei dem ganzen pelasgischen Stamme der Fall, so hat das attische Volk, da es pelasgisch ist, zugleich mit dem übergang zu den Hellenen auch eine andere Sprache angenommen. Denn die Krestoniaten reden durchaus nicht die gleiche Sprache mit irgend einem der um sie herum wohnenden Völker, ebenso die Placianer; unter sich aber reden sie dieselbe Sprache, und beweisen damit, daß sie die Mundart, die sie bei ihrer Einwanderung in diese Gegenden mitgebracht hatten, sorgsam bewahren.


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58.

Der hellenische Stamm aber bedient sich, wie es mir zu sein scheint, seit er aufgetreten ist, stets derselben Sprache; getrennt von dem pelasgischen, war er in der That schwach, und ist dann, von geringem Anfang ausgehend, zu einer Menge von zahlreichen Völkerschaften herangewachsen, nachdem auch noch viele andere barbarische Völker zu ihm hinzugetreten waren. überdem will es mich bedünken, daß überhaupt das pelasgische Volk, als ein barbarisches, nie einen bedeutenden Zuwachs erhalten hat.




59.-64

Von diesen Völkern nun war das attische, wie Krösus in Erfahrung brachte, unterdrückt und in Parteiung zerrissen durch Pisistratus, des Hippokrates Sohn, welcher zu dieser Zeit über Athen herrschte. Dem Hippokrates, welcher ein Privatmann war, widerfuhr, während er den olympischen Spielen anwohnte, ein großes Wunder. Als er nämlich sein Opfer geschlachtet hatte, fingen die dabei stehenden Kessel, welche voll von Fleisch und Wasser waren, ohne Feuer zu kochen an und liefen über. Da gab Chilon aus Lakedämon, welcher zugegen war und das Wunderzeichen angesehen hatte, dem Hippokrates den Rat, vorerst kein Weib, welches Kinder gebäre, in sein Haus zu nehmen; wenn er aber schon eines hätte, dann solle er das Weib entfernen, und wenn er schon einen Sohn hätte, sich von demselben lossagen. Hippokrates aber, sagt man, habe diesem Rate des Chilon nicht folgen wollen, und so sei ihm nachher dieser Pisistratus geboren worden, welcher; als die Athener, die an der Küste wohnten[1)] , mit denen, die von der Ebene waren, in Streit gerieten, und an die Spitze der einen Megakles, des Alkmäon Sohn, an die Spitze der andern von der Ebene aber Lykurgus, der Sohn des Aristolaides getreten war, eine dritte Partei stiftete, da ihn nach der Herrschaft gelüstete. Er sammelte Anhänger und indem er vorgab, an der Spitze der Leute vom Gebirge zu stehen, ersann er folgendes: er verwundete sich und seine Maultiere, fuhr darauf mit dem Gespann auf den Markt, wie wenn er seinen Feinden entronnen, welche ihn auf der Fahrt nach dem Felde hätten ermorden wollen, und wendete sich an das Volk mit der Bitte, ihm eine Schutzwache zu geben, da er schon früher in dem Feldzuge, der wider die Megarer stattgefunden, sich ausgezeichnet, Nisäa[2)] erobert und andere große Thaten vollbracht habe. Das athenische Volk, getäuscht auf diese Weise, gestattete ihm aus der Zahl der Bürger sich diejenigen auszuwählen, welche zwar nicht Lanzenträger[3)] des Pisistratus waren, sondern Keulenträger. Denn mit hölzernen Keulen folgten sie hinter ihm. Diese erhoben sich nun zugleich mit Pisistratus und besetzten die Burg. Von da an war Pisistratus Herr über die Athener: indessen schaffte er weder die bestehenden Ämter ab, noch nahm er mit den Gesetzen Änderungen vor; sondern er ließ die Verfassung[4)] bestehen und regierte die Stadt herrlich und gut.


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60.

Nach nicht langer Zeit aber wurden die Anhänger des Megakles und die des Lykurgus eines Sinnes und vertrieben ihn. Also hatte Pisistratus zum erstenmal Athen im Besitz, und also verlor er die Herrschaft wieder, welche noch nicht sehr feste Wurzeln gefaßt hatte. Die aber, welche den Pisistratus vertrieben hatten, gerieten alsbald aufs neue mit einander in Streit: da ließ Megakles, welcher durch diesen Aufruhr gedrängt war, durch einen Herold dem Pisistratus entbieten, ob er seine Tochter zum Weibe nehmen und unter dieser Bedingung die Herrschaft gewinnen wolle. Als darauf Pisistratus den Vorschlag angenommen hatte und auf diese Bedingung eingegangen war, so ersannen sie, um den Pisistratus wieder zurückzuführen, eine, wie ich finde, höchst einfältige Sache, insofern das hellenische Volk, das von dem barbarischen seit Alters her getrennt ist; weit gewandter und von einfältiger Thorheit weit mehr entfernt ist. Bei den Athenern also, welche doch unter allen Hellenen für die ersten an Verstand gelten, ersannen sie folgendes. In dem päanischen Gau befand sich ein Weib, mit Namen Phya, so groß, daß zu vier Ellen nur drei Finger fehlten[1)] , und auch sonst schön gestaltet. Diesem Weibe legten sie eine volle Rüstung an, setzten dann die Frau in einen Wagen, und gaben ihr die schönste Haltung, in der sie sich zeigen Sollte; so fuhren sie dieselbe in die Stadt, nachdem sie Herolde als Vorläufer vorausgesendet, welche, als sie in die Stadt gekommen waren, den gegebenen Auftrag in folgenden Worten verkündeten: O Athener; nehmt mit geneigtem Sinne den Pisistratus auf, welchen Athene selbst am meisten unter allen Menschen ehret und nun in ihre Burg zurückführt. Solches verkündeten nun die Herolde aller Orten, wohin sie zogen: alsbald aber drang unter das Landvolk ein Gerücht, daß Athene den Pisistratus zurückführe: und die; welche in der Stadt lebten, fingen an zu glauben, das Weib sei die Göttin selbst, bewiesen ihr Verehrung und nahmen den Pisistratus auf.



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61.

Als Pisistratus auf die bemerkte Weise die Herrschaft wieder errungen hatte, heiratete er, nach der mit Megakles eingegangenen Verabredung, die Tochter des Megakles. Da er aber schon erwachsene Söhne hatte und die Alkmäoniden mit einem Fluche belastet sein sollten[1)] , so pflegte er; weil er von seiner neu erwählten Frau keine Kinder haben wollte, mit ihr Umgang in ungebührlicher Weise. Die Frau verbarg es anfangs, nachher aber erzählte sie es ihrer Mutter, sei es auf Befragen derselben oder auch nicht, diese aber ihrem Manne, der es schwer aufnahm, von Pisistratus auf solche Weise gemißachtet zu werden, und im Jom darüber, wie er war, sich mit seinen Gegnern aussöhnte von der Feindschaft. Als aber Pisistratus merkte, was wider ihn geschah, machte er sich aus dem Lande ganz davon, ging nach Eretria und pflegte dort Rats mit seinen Söhnen: hier gewann des Hippias Ansicht, die Herrschaft wiederzugewinnen, die Oberhand; sie sammelten daher Gaben aus den Städten, die ihnen schon vorher irgendwie zu Dank verpflichtet waren: unter den vielen aber, welche bedeutende Summen ihnen beisteuerten, ragten die Thebaner am meisten hervor durch ihre Gabe. Darauf, um es kurz anzugeben, verstrich einige Zeit dazwischen, während welcher alles in Bereitschaft gebracht war zur Heimkehr; auch argivische Söldner waren aus dem Peloponnes angekommen, und aus Naxos war freiwillig zu ihnen gestoßen ein Mann, mit Namen Lygdamis, der sehr großen Eifer bewies und Geld und Mannschaft mitbrachte.



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62.

So brachen sie auf von Eretria und traten im elften Jahr die Heimkehr an; zuerst im attischen Gebiete besetzten sie Marathon; an diesem Orte schlugen sie ihr Lager auf, und dahin kamen aus der Stadt ihre Anhänger, auch andere aus der Landschaft strömten herzu, welchen die Herrschaft lieber war als die Freiheit. Diese also sammelten sich hier. Die Athener in der Stadt nahmen, so lange Pisistratus die Gelder einsammelte, und auch nachher; als er Marathon besetzt hielt, darauf gar keine Rücksicht; als sie aber die Kunde erhielten, erziehe von Marathon nach der Stadt, da rückten sie gegen ihn aus und zogen mit aller Heeresmacht wider die Heimkehrenden; Pisistratus aber und seine Leute, welche von Marathon aufgebrochen gegen die Stadt rückten, kamen mit jenen zusammen bei dem Tempel der Pallenischen Athene; und nahmen ihnen gegenüber ihre Stellung. Da kam durch göttliche Schickung Amphilytus aus Akarnanien, ein Seher; zu dem Pisistratus, und sprach, zu ihm herzutretend, den folgenden Götterspruch in sechsfüßigen Versen:

Schon ist geworfen das Garn und ausgebreitet das Netze:
Und es stürzet hinein der Thunfisch im Dunkel der Mondnacht,

Also sprach er begeistert zu ihm. Pisistratus aber; der das Orakel erfaßt und den Spruch anzunehmen erklärt hatte, führte darauf sein Heer heran. Es hatten aber damals die Athener aus der Stadt sich dem Frühstück zugewendet; und nach dem Frühstück waren etliche ans Würfeln, andere dagegen schlafen gegangen. Da fiel Pisistratus mit seinen Leuten über die Athener her und schlug sie in die Flucht. Und als sie auf der Flucht waren, da ersann Pisistratus eine recht kluge List, damit die Athener sich nicht mehr sammeln könnten, sondern zerstreut blieben. Er ließ seine Söhne zu Pferde steigen und schickte sie voraus; so holten sie die Fliehenden ein und meldeten ihnen die Aufträge des Pisistratus, sie sollten nur Mut fassen und ruhig heimgehen, jeder in sein Haus.



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64.

Die Athener leisteten Folge und so kam Pisistratus zum drittenmal in den Besitz von Athen, wo er seine Herrschaft befestigte durch zahlreiche Hilfsvölker und Zuflüsse von Geld, das teils aus dem Lande selbst, teils von dem Flusse Strymon her ihm zufiel; aber die Söhne der zurückgebliebenen Athener; die nicht sogleich (aus der Stadt) geflohen waren, ergriff er als Geiseln und brachte sie nach Naxos; denn diese Insel hatte Pisistratus durch Krieg sich unterworfen und dem Lygdamis anvertraut, ebenso auch nach Delos, das er den Göttersprüchen gemäß gereinigt hatte, und zwar auf folgende Weise: so weit der Anblick des Tempels reichte, ließ er aus diesem ganzen Raume die Toten herausgraben und nach einer andern Stelle auf der Insel verbringen. Also ward Pisistratus wieder Herr von Athen: von den Athenern war ein Teil in dem Kampfe gefallen, ein anderer Teil ergriff mit dem Alkmäoniden (Megakles) die Flucht aus dem heimatlichen Lande.




65.-68

Dies war; wie Krösus in Erfahrung brachte, die Lage der Athener zu dieser Seit; von den Lakedämoniern hieß es, sie wären großen Übeln entnommen und wären bereits den Tegeaten im Kriege überlegen. Denn zu der Zeit, als Leo und Hegesikles Könige zu Sparta waren, waren die Lakedämonier in allen andern Kriegen glücklich, allein im Kampfe mit den Tegeaten waren sie unglücklich; in früherer Zeit hatten sie sogar fast unter allen Hellenen die schlimmsten Gesetze, und hatten keinen Verkehr untereinander, und mit Fremden. Sie kamen aber wieder zu guten Gesetzen auf folgende Weise. Als Lykurgus, ein angesehener Mann unter den Spartanern, nach Delphi zu dem Orakel kam, sprach die Pythia, wie er in das Heiligtum eintrat, zu ihm alsbald die folgenden Worte:

O Lykurgus, du kommst zu meinem Tempel, dem reichen,
Teuer dem Zeus und allen, so viel den Olympos bewohnen;
Ob ich als Gott dich nenne oder als Menschen, bezweifl' ich,
Doch ich denke, noch eher nenn' ich dich Gott, o Lykurgus.

Auch behaupteten einige, Pythia habe überdies ihm die ganze Staatsverfassung, wie sie jetzt in Sparta besteht, angegeben; die Lakedämonier selbst aber sagen, Lykurgus habe, da er Vormund war über Leobotes, den Sohn seines Bruders und den eigentlichen König von Sparta, diese Verfassung aus Kreta mitgebracht[1)] . Kaum nämlich war Lykurgus Vormund geworden, so traf er in den Gesetzen die nötigen Änderungen, und überwachte dieselben, so daß sie nicht überschritten wurden; auch bestimmte er alles, was auf den Krieg sich bezieht: die Enomotien[2)] , die Triakaden[1)] und die gemeinsamen Mahle[2)] , zudem bestellte er die Ephoren[3)] und die Greise ).


***
66.

Infolge dieser Änderungen kamen die Lakedämonier wieder zu guten Gesetzen: dem Lykurgus aber errichteten sie nach seinem Tode einen Tempel und erwiesen ihm große Verehrung: weil nun ihr Land gut war und die Bevölkerung nicht gering an Zahl, so kamen sie bald wieder auf und blühten herrlich; und nun genügte es ihnen nicht mehr, ruhig zu bleiben, sondern in der Meinung, sie wären den Arkadern überlegen, wendeten sie sich an das Orakel zu Delphi mit einer Anfrage wegen des ganzen Landes Arkadien. Darauf gab die Pythia ihnen folgende Antwort:

Ganz Arkadien willst du von mir? viel; ich versag' es;
Viel' in Arkadien sind es der eicheln-essenden Männer,
Welche dich hindern daran doch ich mißgönn' es dir gar nicht:
Ich will dich laffen erheben den Sang auf Tegea und treten mit Füssen
Und dann messen die herrliche Flur mit dem Maße der Leine.

Als diesen Spruch die Lakedämonier vernommen hatten, standen sie von den übrigen Arkadern ab: dagegen wider die Tegeaten zogen sie ins Feld, und nahmen Fesseln mit, im Vertrauen auf den trügerischen Orakelspruch, und in der Erwartung, die Tegeaten zu Sklaven zu machen. Aber sie unterlagen bei dem Zusammenstoß und, so viele von ihnen gefangen wurden, die hatten jetzt in den Fesseln, die sie selbst mitgebracht hatten, das Feld der Tegeaten zu bebauen und mit der Leine zu niessen. Diese Fesseln, in denen sie gebunden waren, befanden sich noch bis auf meine Zeit wohlbehalten zu Tegea, wo sie um den Tempel der Athene Alea[1] herum aufgehängt waren.



***
67.

In diesem früheren Kriege waren sie also stets unglücklich im Kampfe mit den Tegeaten; zu der Zeit des Krösus aber und ;u der Zeit der Könige Anaxandridas und Aristo in Lakedämon hatten die Spartaner bereits im Kriege die Oberhand gewonnen, und zwar auf folgende Weise. Da sie in dein Kriege stets den Tegeaten unterlagen, schickten sie Gesandte nach Delphi und ließen anfragen, welchen Gott sie wohl zu versöhnen hätten, um im Kriege mit den Tegeaten die Oberhand zu gewinnen. Darauf antwortete ihnen die Pythia: dies würde geschehen, wenn sie die Gebeine des Orestes, des Sohnes des Agamemnon, zu sich gebracht hätten. Da sie aber den Sarg des Orestrs nicht aufzufinden vermochten, schickten sie wiederum an den Gott. um die Stelle zu erfragen, wo Orestes läge. Auf diese Frage der Gesandten gab die Pythia folgende Antwort:

"Tegea ist ein Ort in Arkadias weitem Gefilde,
Wo zwei Winde dir brausen, getrieben von mächtigem Drange,
Ein Schlag folget auf Schlag und Unheil kommet auf Unheil.
Dort bewahret die nährende Erde den Sohn Agamemnons;
Tegea wird dir dienen, sobald du heim ihn gebracht hast.

Als auch dieses die Lakedämonier vernommen, vermochten sie darum doch nicht den Ort aufzufinden, so sehr sie auch alles durchsuchten, bis endlich Liches, einer von den sogenannten Agathoergen Spartas, ihn auffand. Die Agathoergen [Wohlthäter] sind solche Bürger, die als die ältesten stets aus den Rittern austreten, fünf in jedem Jahre; in dem Jahre, in welchem sie aus den Rittern austreten, müssen sie für den Staat der Spartaner Botschaften thun, allerorten hin, und dürfen nirgends verweilen.



***
68.

Liches nun, einer von diesen Männern, fand den Ort auf, durch den Zufall unterstützt, wie durch eigene Einsicht. Da nämlich während dieser Zeit immer ein Verkehr mit den Tegeaten stattfand, so trat er in eine Schmiede und beobachtete das Eisen, wie es getrieben wurde; und er geriet in Verwunderung, als er die Arbeit erblickte. Wie der Schmied merkte, daß er so verwundert war, hielt er inne mit seiner Arbeit und sprach: "Mein Freund aus Lakedämon, fürwahr, du würdest dich, wenn du gesehen hättest, was ich gesehen, noch mehr verwundert haben, da du jetzt ein so großes Wunder aus der Bearbeitung des Eisens machst. Ich wollte mir nämlich hier in diesem Hofe einen Brunnen machen und stieß bei dem Graben auf einen Sarg von sieben Ellen Länge. Weil ich aber nicht glauben konnte, daß es je größere Menschen, als sie jetzt sind, gegeben hat, so öffnete ich den Sarg und sah den Leichnam, der von gleicher Länge wie der Sarg war; nachdem ich dann das Maß genommen, schüttete ich alles wieder zu."Dieser erzählte ihm also, was er gesehen; Liches aber dachte über diese Rede nach und kam auf die Vermutung, es sei, dem Götterspruch, Orestes; er schloß nämlich also: inden zwei Blasebälgen des Schmiedes, die er gesehen, erkannte er die zwei Winde, in dem Amboß und Hammer den Schlag und den Gegenschlag, in dem Eisen, das gehämmert wird, das Unheil, das auf Unheil liegt, weil nämlich, wie er meinte, das Eisen zum Unheil der Menschen aufgefunden worden. Also schloß er und kehrte dann heim nach Sparta, wo er den Lakedämoniern den ganzen Vorfall erzählte. Diese aber zogen ihn vor Gericht, indem sie aus einem erdichteten Vorwand Klage wider ihn erhoben. Da kam er nach Tegea und erzählte sein Unglück dem Schmied, der ihm jedoch den Hof, den er abmieten wollte, nicht überließ. Indessen nach einiger Zeit ließ sich der Schmied bewegen, und Liches nahm dann seine Wohnung. Da öffnete er das Grab, sammelte die Gebeine und brachte sie alsbald nach Sparta. Und von dieser Zeit an behielten die Lakedämonier im Kampfe mit den Tegeaten, so oft sie sich gegeneinander versuchten, bei weitem die Oberhand: es war ihnen aber auch bereits der größere Teil des Peloponues unterwürfig.




69.-70

Als Krösus dies alles vernahm, sendete er Boten, denen er aufgetragen hatte, was sie sagen sollten, nach Sparta mit Geschenken und mit der Bitte um Bundesgenossenschaft. Als diese ankamen, sprachen sie also: "Krösus, der König der Lyder und anderer Völker, hat uns entsendet und spricht zu euch also: O Lakedämonier, nachdem der Gott mir geboten, die Hellenen mir zu Freunden zu gewinnen, und ich erfahre, daß ihr an der Spitze von Hellas steht, so rufe ich euch, gemäß des Götterspruches, hiermit an, da ich euer Freund und Bundesgenosse werden will, ohne List und Trug." Dieses nun ließ Krösus durch die Boten ihnen melden; die Lakedämonier aber, die ebenfalls von dem Orakel gehört hatten, welches dem Krösus zuteil geworden war, freuten sich über die Ankunft der Lyder und schlossen feierlich einen Vertrag auf Gastfreundschaft und Bundesgenossenschaft: denn auch schon früher hatten sie von seiten des Krösus manche Wohlthaten empfangen. Als nämlich die Lakedämonier nach Sardes geschickt hatten, um Gold zu kaufen, welches sie zu dem Bilde des Apollo verwenden wollten, das jetzt zu Thornax im lakedämonischen Gebiete aufgerichtet ist, gab ihnen Krösus das Gold umsonst, das sie kaufen wollten.


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70.

Deswegen nun nahmen die Lakedämonier die Bundesgenossenschaft an, sowie auch deshalb, weil er sie vor allen anderen Hellenen zu Freunden ausersehen habe. Sie waren demnach gewärtig seiner Aufforderung zur Hilfeleistung; denn aber auch ließen sie einen ehernen Becher machen, der auswendig um den Rand voll von Figuren und an Grösse dreihundert Amphoren faßte. Mit diesem, den sie als Gegengeschenk dem Krösus überreichen wollten, fuhren sie ab. Dieser Becher gelangte jedoch nicht nach Sardes, wovon die Ursuche auf zweierlei Weise folgendermaßen angegeben wird: Die Lakedämonier behaupten, als der Becher, der nach Sardes gebracht wurde, sich in der Nähe von Samos befand, hätten die Samier, auf die Kunde davon, ihn weggenommen, indem sie mit Kriegsschiffen herbeikamen; die Samier selbst aber erzählen, die Lakedämonier, die den Becher zu überbringen hatten, wären zu spät gekommen und hätten auf die Nachricht von der Wegnahme von Sardes und der Gefangennehmung des Krösus den Becher zu Samos veräußert, Privatleute hätten ihn gekauft und ihn dem Tempel der Here geweiht. Vielleicht mögen auch die, welche den Becher veräußert, bei der Ankunft in Sparta angegeben haben, er sei ihnen von den Samiern weggenommen worden. So nun verhält es sich mit diesem Becher.




71.-74

Krösus aber, welcher den Sinn des Götterspruches verfehlt hatte, unternahm einen Feldzug nach Kappadocien, in der Erwartung, den Cyrus und die Macht der Perser zu stürzen. Während er sich nun rüstete zum Feldzuge wider die Perser, gab ihm einer der Lyder, der auch schon vorher für einen klugen Mann galt, durch diesen Rat aber noch mehr sich einen Namen machte unter den Lydern (sein Name war Sandanis), folgenden Rat: "O König, du rüstest dich, wider solche Männer zu Felde zu ziehen, welche lederne Hosen sowie die übrige Bekleidung von Leder tragen; sie essen nicht, was sie wollen, sondern was sie haben, weil sie ein rauhes Land bewohnen; außerdem nehmen sie keinen ein, sondern trinken Wasser; sie haben keine Feigen zu essen, noch sonst etwas Gutes. Einerseits nun, was willst du, wenn du sie besiegst, ihnen nehmen, da sie ja nichts haben? Anderseits, wenn du besiegt wirst, bedenke, welche Güter du verlieren wirst! Denn wenn sie von unseren Gütern gekostet haben, werden sie noch mehr daran hängen und nicht mehr davon abzubringen sein. Ich weiß es vielmehr den Göttern Dank, daß sie den Persern nicht in den Sinn geben, wider die Lyder zu Felde zu ziehen." Diese Rede machte jedoch keinen Eindruck auf Krösus. Die Perser nämlich kannten, ehe Lydien von ihnen unterworfen war, allerdings nichts, was fein und gut war.


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72.

Die Kappadoken werden von den Hellenen Syrer[1] genannt; diese Syrer waren aber, bevor sie unter die Herrschaft der Perser kamen, den Medern unterwürfig, danach aber dem Cyrus. Die Grenze der medischen und lydischen Herrschaft war nämlich der Fluß Halys[2] , welcher aus dem Armenischen Gebirge[3] durch das Land der Cilicier fließt, dann die Matiener[4] auf seiner rechten Seite läßt, auf der anderen die Phrygier; an diesen fließt er vorbei und wendet sich dann in seinem Laufe nordwärts, wo er von der einen Seite die Kappadoken-Syrer abgrenzt, von der linken aber die Paphlagonier. So scheidet der Fluß Halys fast das ganze untere Asien[1] von dem Meere an, welches gegenüber von Cypern ist, bis zu dem Pontus Euxinus; es ist dies ein schmaler Rücken dieses ganzen Landes; die Länge des Weges aber beträgt für einen rüstigen Mann fünf Tagereisen.[2]



***
73.

Gegen dieses Kappadocien zog Krösus zu Felde, deswegen, weil ihn gelüstete nach Land, das er zu dem seinigen noch hinzufügen wollte, insbesondere aber auch im Vertrauen auf den Orakelspruch und weil er an Cyrus um des Astyages willen sich rächen wollte. Denn den Astyages, des Cyaxares Sohn, welcher des Krösus Schwager war und König der Meder, hatte Cyrus, des Cambyses Sohn, sich unterworfen. Des Krösus Schwager aber war jener auf folgende Weise geworden: eine Schar der wandernden Scythen war infolge eines Aufruhrs in das medische Gebiet entwichen; in dieser Zeit herrschte über die Meder Cyaxares, der Sohn des Phraortes, des Sohnes des Dejoces. Er behandelte diese Scythen anfangs recht gut, weil er sie für Flüchtlinge ansah; und weil er sie so hoch hielt, übergab er ihnen Knaben, um die Sprache und die Kunst des Bogens von ihnen zu erlernen. Nach Verlauf einiger Zeit aber, da die Scythen stets auf die Jagd gingen und stets etwas mitbrachten, traf es sich einmal auch, daß sie nichts fingen; als sie nun mit leeren Händen zurückkamen, behandelte sie Cyaxares (denn er war, wie sich zeigte, jähzornig) hart und unwürdig. Diese aber, nachdem sie von Cyaxares solches erfahren, beschlossen, eben weil sie sich bewußt waren, Unwürdiges erlitten zu haben, einen von diesen Knaben, die ihnen zur Lehre übergeben waren, abzuschlachten, ihn dann zurecht zu machen, so wie sie auch das Wild zurecht zu machen gewohnt waren, und dann dem Cyaxares zu überbringen, wie ein Wild von der Jagd; wenn sie es ihm aber übergeben hätten, wollten sie schleunigst sich auf den Weg machen zu Alyattes, dem Sohne des Sadyattes, gen Sardes. Und dies geschah denn auch. Cyaxares und die anwesenden Gäste kosteten von diesem Fleische, und die Scythen kamen nach vollbrachter That als Flüchtlinge zu Alyattes.



***
74.

Da nun Alyattes dem Cyaxares auf sein Verlangen die Scythen nicht ausliefern wollte, entstand ein Krieg zwischen den Lydern und Medern fünf Jahre lang, in denen die Meder oftmals den Sieg über die Lyder gewannen, oftmals auch die Lyder über die meder; auch kämpften sie einmal miteinander in der Nacht. Während nämlich der Krieg sich in die Länge zog, ereignete es sich im sechsten Jahre ihres Zusammenstoßes, daß mitten in der Schlacht plötzlich der Tag zur Nacht wurde.[1] Diesen Wechsel hatte Thales von Milet den Ioniern in seinem Eintritt vorhergesagt und als Grenze des Eintritts das Jahr bezeichnet, in welchem dann auch die Veränderung wirklich eintrat. Als nun die Lyder und Meder sahen, daß es Nacht statt Tag wurde; ließen sie vom Kampfe ab und beeilten sich beiderseits, einen Frieden miteinander zu schließen. Es waren aber diejenigen, welche zusammentraten, Syennesis[2] , der Cilicierfürst, und Labyuetus, der König der Babylonier. Diese waren es auch, welche die Beschwörung des Friedensbündnisses beeilten und eine Ehe gegenseitig zustande brachten; denn sie bestimmten den Alyattes, seine Tochter Aryenis dem Astyages, dem Sohne des Cyaxares, zu geben, weil ohne starken Zwang solche Verbindungen nicht fest und dauerhaft zu sein pflegen. Den Bundesschwur begehen diese Völker wie die Hellenen; außerdem ritzen sie sich an dem Arme die Oberfläche der Haut auf und lecken sich gegenseitig das Blut ab.




75.-80

Diesen Astyages nun, seinen Großvater mütterlicherseits, hatte Cyrus sich unterworfen aus einer Ursache, die ich später in meiner Erzählung angeben werde. Darüber machte Krösus dem Cyrus Vorwürfe, und darum ließ er die Orakel befragen, ob er gegen die Perser zu Felde ziehen solle, und unternahm dann, selbst als ihm ein trügerischer Orakelspruch zugekommen war, im Vertrauen, derselbe sei zu seinen Gunsten, den Feldzug in das Gebiet der Perser. Als aber Krösus an den Fluß Halys kam, führte er, wie ich behaupte, über die dort befindlichen Brücken sein Heer; wie aber die meisten Hellenen behaupten, so hat Thales von Milet es ihm hinübergeführt.[1] Denn als Krösus in Verlegenheit war, wie sein Heer über den Fluß kommen solle, über welchen zu dieser Zeit noch keine Brücken vorhanden waren, so wäre, sagt man, Thales im Lager erschienen und hätte es dahin gebracht, daß der Fluß, der zur linken Seite des Heeres floh, nun zu dessen rechter Seite feinen Lauf nahm. Dies habe er auf folgende Weise veranstaltet: einen tiefen Graben ließ er, oberhalb des Lagers anfangend, graben und mondförmig weiter fortführen, damit das Lager ganz in seinen Rücken käme, der Fluß aber, der aus dem alten Bette in diesen Kanal geleitet war, an dem Lager vorbeiflösse und hernach wieder in sein altes Bett gelange, so daß man, nachdem der Fluß geteilt war, auf beiden Seiten über denselben setzen konnte. Einige behaupten auch, es sei das alte Bett gänzlich vertrocknet. Ich kann das aber nicht annehmen: denn wie hätten sie sonst bei dem Rückzuge über denselben kommen können ?


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76.

Nachdem Krösus mit seinem Heere über den Fluß gesetzt war, kam er nach der Gegend des kappadocischen Landes, welche Pteria[1] heißt; dieses Pteria ist aber der stärkste Punkt dieses Landes und liegt ungefähr bei der Stadt Sinope am Pontus Euxinus; hier schlug er sein Lager auf und verheerte die Ländereien der Syrer; auch die Stadt der Pterier eroberte er und machte die Bewohner derselben zu Sklaven, ebenso nahm er auch alle die umliegenden Städte und schleppte die Syrer weg, die ohne Schuld waren. Cyrus, der sein eigenes Heer gesammelt und alle, welche zwischen ihm und Krösus wohnten, mitgenommen hatte, zog dem Krösus entgegen; ehe er jedoch sein Heer zum Streite hinausführte, sendete er Herolde zu den Ioniern und suchte sie zum Abfall von Krösus zu bewegen. Die Jonier aber gaben ihm kein Gehör. Als demnach Cyrus angekommen war und dem Krösus gegenüber sein Lager aufgeschlagen hatte, stießen sie in dem pterischen Lande aufeinander mit aller Kraft. Nach einem heftigen Kampfe, in welchem auf beiden Seiten viele gefallen waren und keiner von beiden den Sieg gewonnen hatte, trennten sie sich, als die Nacht hereingebrochen war. Also hatten beide Heere miteinander gestritten.



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7 7.

Krösus warf die Schuld dieses Ausganges auf die Zahl seines Heeres, denn sein Heer, welches gestritten, war weit geringer als das des Cyrus; weil er also darauf die Schuld warf und Cyrus am anderen Tage keinen Versuch zum Angriff machte, so zog er heim gen Sardes, in der Absicht, an die Ägypter gemäß des Bundesvertrages eine Aufforderung ergehen zu lassen (denn er hatte mit dem Amasis, welcher König von Ägypten war, schon früher als mit den Lakedämoniern[1] ein Bündnis abgeschlossen), dann aber auch zu den Babyloniern zu schicken (denn auch mit diesen hatte er einen Waffenbund eingegangen; es herrschte aber zu dieser Zeit Labynetus[2] über die Babylonier); ebenso auch den Lakedämoniern zu entbieten, auf die bestimmte Zeit zu erscheinen; wenn er diese nun zusammengebracht und sein eigenes Heer gesammelt hätte, so gedachte er, nach Ablauf des Winters mit dem Beginn des Frühlings gegen die Perser zu Felde zu ziehen. In dieser Gesinnung nun sendete er, als er nach Sardes gekommen war, Herolde an die Bundesgenossenschaften mit der Aufforderung, auf den fünften Monat nach Sardes zusammenzukommen. Das Heer aber, das er bei sich hatte und das mit den Persern gestritten hatte, ließ er, soweit es aus Fremden bestand, ganz auseinandergehen und sich zerstreuen, weil er gar nicht dachte, es werde dem Cyrus nach einem so unentschiedenen Kampfe je einfallen, gegen Sardes zu ziehen.



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78.

Während Krösus mit diesen Gedanken umging, wurde die ganze Vorstadt mit Schlangen erfüllt, und wie sie erschienen waren, verließen die Pferde ihre Weiden, kamen herbei und fraßen dieselben auf. Als Krösus dies sah, dünkte es ihm ein Wunderzeichen zu sein, wie es denn auch ein solches war, und alsbald schickte er zu den Zeichendeutern in Telmessus[3] Gesandte. Diese jedoch konnten, als sie dort angekommen waren und von den Telmessern in Erfahrung gebracht hatten, was das Zeichen zu bedeuten habe, dem Krösus davon keine Meldung mehr machen; denn bevor sie nach Sardes zurückgeschifft waren, war Krösus gefangen. Es hatten aber die Telmesser die Erscheinung dahin gedeutet, daß Krösus in seinem Lande ein fremdes Heer zu erwarten habe, welches nach seiner Ankunft die Einheimischen unterjochen werde; die Schlange nämlich, behaupteten sie, sei ein Kind der Erde, das Pferd aber ein Feind und Fremdling. Diese Antwort gaben die Telmesser dem Krösus, der bereits in Gefangenschaft geraten war, ohne daß sie etwas von dem wußten, was mit Sardes und mit ihm selbst vorgegangen war.



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79.

Cyrus hatte, sowie Krösus nach der in der Landschaft Pteria vorgefallenen Schlacht sich zurückzog, in Erfahrung gebracht, daß Krösus nach dem Rückzuge sein Heer auseinandergehen lassen wolle, und als er sich die Sache überlegte, fand er es von seiner Seite am zuträglichsten, so schnell wie möglich gegen Sardes zu ziehen, ehe noch zum zweitenmal die Macht der Lyder dort gesammelt wäre. Und wie er dies beschlossen hatte, so führte er es auch mit Schnelligkeit aus; denn er führte sein Heer nach Lydien so, daß er selbst dem Krösus die Kunde davon zubrachte. Da geriet-Krösus in gieße Verlegenheit, weil die Sachen ganz anders gekommen waren, als er es erwartete; demungeachtet führte er die Lyder hinaus zum Kampfe. Es war aber zu dieser Zeit in Asien[1] kein Volk männlicher und tapferer, als das lydische; sie führten den Kampf zu Roß, trugen große Speere und waren gute Reiter.



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80.

So trafen beide zusammen in der Ebene, welche vor der Stadt Sardes sich befindet und groß und kahl ist[2] ; durch dieselbe fließen verschiedene Flüsse, darunter auch der Hyllus, der sich mit dem größten derselben vereinigt, welcher Hermus heißt und von dem heiligen Berge der Dindymenischen Mutter[3] kommt, dann aber sich in das Meer bei der Stadt Phokäa ergießt. Wie nun Cyrus hier die Lyder zur Schlacht gerüstet erblickte, veranstaltete er, weil er sich vor der Reiterei (der Lyder) fürchtete, auf den Rat des Harpagus, eines Meders, folgendes: alle Kamele, welche dem Heere folgten. um Getreide oder Gepäck zu tragen, brachte er zusammen, nahm ihnen die Lasten ab und setzte Männer auf dieselben, welche als Reiter gekleidet waren. In diesem Anzuge befahl er ihnen vor dem übrigen Heere gegen die Reiterei des Krösus zu rücken; dann sollte das ganze Fußvolk hinter den Kamelen folgen; hinter das Fußvolk stellte er seine ganze Reiterei auf. Wie er nun das ganze Heer geordnet hatte, ließ er den Befehl ergehen, in keiner Weise der übrigen Lyder zu schonen, sondern jeden zu töten, der ihnen in den Weg komme; den Krösus selbst aber sollten sie nicht töten, auch dann nicht, wenn er sich bei der Gefangennehmung zur Wehr setze. Diese Anordnungen traf er; die Kamele stellte er der Reiterei gegenüber aus folgendem Grunde: das Pferd fürchtet sich vor dem Kamel und vermag weder den Anblick, noch den Geruch desselben zu ertragen.[1] Deswegen aber hatte er diesen Plan ersonnen, damit Krösus von seiner Reiterei keinen Gebrauch machen könne, durch welche gerade der Lyder den Sieg zu erringen vermeinte. Als sie nun zum Kampfe zusammentrafen, da kehrten die Pferde sogleich, wie sie die Kamele zu riechen bekamen und dieselben erblickten, um, und des Krösus Hoffnung war vernichtet. Es zeigten sich zwar die Lyder darauf hin nicht feige, sondern sowie sie den Vorfall wahrnahmen, sprangen sie von den Pferden herab und kämpften zu Fuß mit den Persern. Nach einiger Zeit aber. als von beiden Seiten viele gefallen waren, ergriffen die Lyder die Flucht und wurden in die Stadt getrieben, wo sie von den Persern belagert wurden.




81.-83

So war es nun für die Lyder zur Belagerung gekommen. Krösus aber, in der Meinung, die Belagerung werde sich in die Länge ziehen, entsendete aus der Feste noch andere Boten zu seinen Bundesgenossen; denn die früher abgesendeten Boten hatten dieselben auffordern sollen, auf den fünften Monat nach Sardes zusammenzukommen; diese neuen Boten aber entsendete er mit der Bitte, sie möchten schleunigst ihm zu Hilfe eilen, weil er belagert sei.


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82.

Also entsendete er Boten nicht bloß zu den übrigen, Bundesgenossen, sondern auch nach Lakedämon. Es waren aber die Spartaner selbst gerade zu dieser Zeit in einen Streit geraten mit den Argivern wegen eines Landstriches, der Thyrea[1] heißt. Dieses Thyrea nämlich, das zum Gebiete von Orgolis gehörte, hatten die Lakedämonier weggenommen und hielten es besetzt; es gehörte aber den Argivern das Land bis Malea[2] westwärts, sowohl was auf dem Festlanee lag, als die Insel Cythere[3] und die übrigen Inseln. Als nun die Argiver zum Schutze des ihnen entrissenen Landstriches herbeigeeilt waren, kamen sie mit den Gegnern überein und trafen die Verabredung, es sollten von beiden dreihundert Mann den Kampf ausmachen, und denjenigen, welche die Oberhand behalten würden, sollte das Land gehören; die beiderseitigen Heere aber würden sich in ihre Heimat zurückriefen und nicht bei dem Kampfe gegenwärtig bleiben aus dem Grunde, damit nicht die einen, wenn sie die Niederlage der Ihrigen erblickten, diesen zu Hilfe eilen könnten. Nach dieser Verabredung entfernten sich die Heere, und die von beiden Seiten zurückgelassenen Auserwählten traten in den Kampf. In diesem Kampfe, dessen Ausgang für beide gleich war, blieben von sechshundert Männern drei übrig, von den Argivern Alkenor und Chromius, von den Lakedämoinern Othryades; diese waren, als die Nacht einbrach, übriggeblieben. Die beiden Argiver nun liefen, in der Meinung, sie wären Sieger, gen Argos; Othryades aber von Lakedämon zog den gefallenen Argivern die Rüstung aus und brachte die Waffen in sein Lager und trat in Reih' und Glied wieder ein. Am anderen Tage erschienen beide Teile und nahmen Kunde von dem Vorgefallenen. Eine Zeitlang behaupteten beide Teile, Sieger zu sein: die einen meinten, es seien von den ihrigen mehrere am Leben geblieben; die anderen aber behaupteten, dieselben wären geflohen, während der Ihrige geblieben und den Gefallenen der anderen die Rüstung abgenommen habe. Zuletzt aber kam es aus dem Streite wieder zum Kampf: in diesem Kampfe siegten die Lakedämonier, nachdem von beiden Seiten viele gefallen waren. Von dieser Zeit an scheren sich die Argiver ihre Häupter, nachdem sie vorher das Haar mussten wachsen lassen; sie machten auch ein Gesetz und legten einen Fluch darauf, daß kein Argiver sich eher das Haar sollte wachsen lassen und die Weiber keinen goldenen Schmuck tragen sollten. bis sie Thyrea wiedergewonnen hätten. Die Lakedämonier aber machten gerade das entgegengesetzte Gesetz: fürderhin die Haare wachsen zu lassen, was vorher bei ihnen der Fall nicht war. Und der eine, der übriggeblieben war von jenen dreihundert, Othryades, soll, da er sich schämte nach Sparta zurückzukehren, nachdem seine Genossen im Kampfe gefallen waren, dort bei Thyrea sich das Leben genommen haben.



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83.

So war die Lage der Dinge bei den Spartanern, als der Herold von Sardes ankam mit der Bitte, dem Krösus, welcher belagert werde, zu Hilfe zu eilen. Demungeachtet beschlossen sie, als sie vom Herolde dies erfahren hatten, Hilfe zu leisten; sie waren auch bereits gerüstet und die Schiffe zur Überfahrt stauden bereit, als eine andere Botschaft eintraf, wonach die Feste der Lyder genommen und Krösus lebendig in Gefangenschaft geraten sei. Sie empfanden darüber großes Leid und standen von dem Zuge ab.




84.-89

Sardes aber war auf folgende Weise genommen worden. Nachdem der vierzehnte Tag verflossen war, seit Krösus belagert wurde, ließ Cyrus seinem ganzen Heere durch Reiter, die er entsendete, verkündigen, er werde dem ersten, der die Feste erstiegen, Geschenke erteilen. Daraufhin wurden von seinem Heere Versuche gemacht, aber es gelang nicht; da versuchte, nachdem die anderen davon abgestanden, ein Marder[1] , welcher Hyroiades hieß, an der Seite der Burg aufzusteigen, an welcher kein Wächter aufgestellt war: denn man hatte keine Besorgnis, daß an dieser Seite die Burg eingenommen werden könnte, weil sie hier abschüssig und unzugänglich ist; au dieser Seite allein hatte Meles, der frühere König von Sardes, den Löwen, den ihm sein Kebsweib geboren, nicht herumgetragen, nachdem die telmessischen[1] Seher den Ausspruch gethan hatten, Sardes werde uneinnehmbar sein, wenn der Löwe um die Feste herumgetragen sei. Nun hatte Meles den Löwen an allen anderen Teilen der Feste herumgetragen, wo die Lage der Burg einem Angriff zugänglich war, an dieser Seite aber es vernachlässigt, weil er die Stelle für unzugänglich und abschüssig hielt: es ist dies der Teil der Stadt, der nach dem (Berge) Tmolus[2] zu liegt. Dieser Marder Hyroiades hatte gesehen, wie des Tags zuvor an dieser Stelle der Burg ein Lyder herabgestiegen war und seinen von oben heruntergefallenen Helm wiedergeholt hatte; das betrachtete er und erwog es wohl in seinem Sinne. Er stieg dann selbst hinauf, und nach ihm folgten auch andere Perser; als nun viele herangestiegen waren, ward Sardes also erobert und die ganze Stadt verheert.


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85.

Mit dem Krösus selbst erging es also; Er hatte einen Sohn, der zu allein anderen tüchtig war, aber stumm, derselbe, dessen ich auch früher schon[3] gedacht habe. In der vorausgegangenen Zeit des Glückes hatte Krösus alles für ihn gethan, er hatte an dies und jenes gedacht und unter anderem auch hinsichtlich seiner nach Delphi geschickt, um das Orakel zu befragen. Darauf gab ihm die Pythia folgende Antwort:

Lydiens Sohn und Herrscher von vielen, o törichter Krösus,
Wünsche nur nicht zu vernehmen im Haus die ersehnete Stimme
Deines, des redenden, Sohnes! Fürwahr es ist für dich besser!
Denn er wird reden zu dir am ersten Tage des Unglücks.

Wie nun die Feste genommen wurde, stürzte einer der Perser auf den Krösus zu, den er nicht kannte, um ihn zu töten. Als Krösus ihn heranstürzen sah, blieb er ganz ruhig, allzu gedrückt von dem gegenwärtigen Unglück, und machte sich nichts daraus, durch einen Schlag sein Leben zu verlieren. Wie jedoch der Sohn den Perser anlaufen sah, da brach aus Furcht und Angst seine Stimme heraus, und er rief aus: "O Mensch, töte doch nicht den Krösus" Das war das erste Wort, das er sprach; nachher aber sprach er die ganze Zeit seines Lebens.



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86.

Also kamen die Perser in den Besitz von Sardes und nahmen den Krösus, nach einer Regierung von vierzehn Jahren[1] , am vierzigsten Tage der Belagerung gefangen, nachdem er, dem Orakelspruch zufolge, sein eigenes großes Reich zerstört hatte; und die Perser, die ihn ergriffen hatten, führten ihn dann zu Cyrus. Dieser hatte einen großen Scheiterhaufen aufrichten und darauf den Krösus in Ketten gefesselt, und neben ihm zweimal sieben lydische Knaben bringen lassen, indem er die Absicht hatte, dieses Erstlingsopfer irgend einem der Götter darzu bringen, oder ein Gelübde erfüllen wollte, oder auch, weil er vernommen hatte, daß Krösus ein gottesfürchtiger Mann gewesen, so ließ er ihn deswegen auf den Scheiterhaufen steigen, um zu sehen, ob denn irgend einer der Götter ihn vor dem Schicksal bewahre, lebendig verbrannt zu werden.[2] Also nun that er; als aber Krösus auf dem Scheiterhaufen stand, da soll ihm inmitten der großen Not, in der er sich befand, das Wort, das einst Solon wie aus göttlicher Eingebung zu ihm gesprochen, eingefallen sein: daß niemand unter allen, die da leben, glücklich sei.[1] Wie ihm nun dieses Wort vor die Seele getreten, da habe er sich aufgerafft und nach einer längeren Pause aufseufzend dreimal den Namen des Solon gerufen. Als dies Cyrus hörte, habe er durch seine Dolmetscher den Krösus fragen lassen, wer der sei, den er anrufe. Die Dolmetscher hätten darauf sich an ihn mit dieser Frage gewendet; Krösus habe auf diese Frage eine Zeitlang geschwiegen, nachher aber, da man ihn drängte, also gesprochen: "Ich gäbe viel darum, wenn dieser Mann mit allen Fürsten sich unterreden könnte." Da diese Worte ihnen unverständlich waren, so fragten sie ihn aufs neue, was er damit sagen wolle; und als sie immer mehr in ihn drangen und ihm zusetzten, da erzählte er ihnen, wie einstmals Solon, der aus Athen war, zu ihm gekommen und, nachdem er allen seinen Reichtum betrachtet, diesen für nichts geachtet, und wie alles, was Solon gesprochen, bei ihm so eingetroffen, wir jener es gesagt hatte; ja, er habe dies nicht minder in Bezug auf ihn, als auf die ganze Menschheit gesagt, insbesondere auch in Bezug auf diejenigen, die sich selbst für glücklich hielten. Dieses nun erzählte Krösus; es war aber bereits der Scheiterhaufen angezündet worden, und es brannten die äußersten Teile desselben. Als jedoch Cyrus von den Dolmetschern vernahm, was Krösus gesprochen hatte, ward er anderen Sinnes und bedachte bei sich, daß er, der doch auch nur ein Mensch sei, einen anderen Menschen, der ebenso glücklich wie er gewesen, lebendig dem Feuer überautworte; zudem befürchtete er die Vergeltung, indem er erwog, daß nichts im menschlichen Leben fest stehe; er befahl daher, aufs schleunigste das brennende Feuer zu löschen und den Krösus sowie die (Knaben) mit ihm herunterzubringen; allein man konnte, ungeachtet aller Versuche, doch nicht des Feuers Herr werden.



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87.

Da nun, erzählen die Lyder; habe Krösus, als er die Sinnesänderung des Cyrus bemerkt und gesehen, wie alles Volk zum Löschen des Feuers herbeieilte, ohne desselben Meister zu werden, laut aufgeschrieen und den Apollo angerufen, er möge, wenn ihm von seiner Seite je eine angenehme Gabe dargebracht worden, ihm beistehen, und ihn aus der gegenwärtigen Gefahr erretten. Unter Thränen habe er den Gott angerufen; da hätte sich am reinen Himmel und bei ganz ruhiger Luft ein Gewölk mit einem Male zusammengezogen, ein Sturm sei losgebrochen, und ein heftiger Regenguß, welcher den brennenden Scheiterhaufen gelöscht habe. Als Cyrus auf diese Weise sich überzeugt, daß Krösus ein gottgefälliger und rechtschaffener Mann sei, habe er ihn von dem Scheiterhaufen herunter bringen lassen und folgende Frage an ihn gerichtet: Krösus! Wer unter den Menschen beredete dich, gegen mein Land zu Felde zu ziehen, und aus einem Freunde mein Feind zu werden? Er aber antwortete: Ich habe dies gethan zu deinem Glück und zu meinem Unglück: Schuld daran aber war der Gott der Hellenen, der mich antrieb, zu Felde zu ziehen. Denn niemand ist so thöricht, den Krieg dem Frieden vorzuziehen; denn in dem einen begraben die Söhne ihre Väter, in dem andern die Väter ihre Söhne. Daß es aber so gekommen ist, das haben die Götter wohl so beschlossen.



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88.

Also sprach er. Cyrus aber ließ ihm die Bande abnehmen und ihn nahe bei sich sitzen, bewies ihm auch große Teilnahme: er selbst, sowie alle um ihn, blickten mit Bewunderung auf Krösus, der in Nachdenken versunken und ruhig war; nach einiger Zeit aber wendete er sich um, und da er die Perser die Stadt plündern sah, sprach er: O König, darf ich wohl vor dir aussprechen, was ich gerade denke, oder soll ich in der gegenwärtigen Zeit schweigen? Cyrus sprach ihm Mut zu und forderte ihn auf zu sagen, was er wolle. Da frug ihn Krösus in folgender Weise: Warum ist dieser zahlreiche Haufen so eifrig beschäftigt? Cyrus antwortete darauf: er plündert deine Stadt und schleppt deine Schätze weg. Da erwiderte Krösus: Nicht meine Stadt; nicht meine Schätze plündert er; denn ich habe keinen Teil mehr daran, sondern dein Gut führen und schleppen sie hinweg.



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89.

Cyrus überlegte sich diese Worte des Krösus, und nachdem er die andern hatte weggehen lassen, frug er den Krösus, was er bei dem, was hier vor sich gehe, wohl thun solle. Da sprach Krösus: Da mich die Götter in deine Macht gegeben, so halte ich es für billig, dir auch anzugeben, wenn ich etwas, was gut für dich ist, finde. Die Perser, die von Natur übermütig sind, besitzen keine Reichtümer; wenn du sie nun diese großen Schätze wegschleppen und besitzen lässest, so hast du von ihnen zu erwarten, daß derjenige von ihnen, der zu dem größesten Besitz gelangt ist, wider dich aufsteht. Darum thue jetzt, wenn es dir recht ist, das, was ich rate: stelle an alle Thore der Stadt von deinen Lanzenträgern Wächter; welche denjenigen, die die Schätze hinaustragen, sie abnehmen und zu ihnen sagen sollen, dieselben müßten notwendig dem Zeus als Zehnten zufallen[1)] . So wirst du dich nicht mit ihnen verfeinden, wenn du ihnen mit Gewalt die Schätze wegnimmst; und diese werden es willig thun, weil sie einsehen, daß das, was du thuest, recht ist.




90.-92

Als dies Cyrus hörte, freute er sich über die Maßen, weil er dann einen guten Rat-zu erkennen glaubte. Er billigte-es vollkommen und trug seinen Lanzenträgern auf, was Krösus zu vollziehen angeraten hatte; zum Krösus aber sprach er folgendes: Krösus, du hast dich redlich in Wort und That als ein königlicher Mann erwiesen: erbitte dir daher eine Gabe, die dir alsbald von meiner Seite gewährt werden soll. Darauf sprach Krösus: O Gebieter, du wirst mir einen großen Gefallen erweisen, wenn du mir erlaubst; den Gott der Hellenen, den ich unter den Göttern am meisten geehrt habe, unter Zusendung dieser Fesseln zu befragen, ob es denn bei ihm Sitte sei, diejenigen zu täuschen, die ihm Gutes erwiesen. Da entgegnete ihm Cyrus, worin er denn über den Gott sich zu beschweren habe, weil er eine solche Bitte an ihn richte. Krösus teilte ihm darauf alle seine früheren Pläne mit, gab ihm die Antworten der Orakel an, so wie insbesondere die Weihgeschenke, und wie er im Vertrauen auf das Orakel den Feldzug wider die Perser unternommen. Mit diesen Worten verband er dann noch weiter die Bitte, ihm zu gestatten, den Gott darüber zur Rede zu stellen. Lächelnd sprach darauf Cyrus: O Krösus, das sollst du von mir erhalten, sowie jedes andere, dessen du nur bedarfst. Als dies Krösus gehört hatte, sendete er Lyder gen Delphi mit dem Auftrage, die Fesseln an der Schwelle des Tempels niederzulegen und zu fragen, ob sich der Gott gar nicht schäme, durch seine Orakel den Krösus zum Feldzuge gegen die Perser verleitet zu haben, als werde er dem Reiche des Cyrus ein Ende machen; dabei sollten sie auf die Fesseln zeigen, als die Erstlingsopfer dieses Zuges; außerdem sollten sie auch fragen, ob es denn bei den hellenischen Göttern Sitte sei, undankbar zu sein.


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91.

Als aber die Lyder ankamen und ihre Aufträge vollzogen, soll die Pythia folgendes erwidert haben: dem bestimmten Verhängnis zu entgehen, ist selbst einem Gotte nicht möglich[1)] ; Krösus aber hat die Sünde seines fünften Ahnen erfüllt, der ein Lanzenträger[2)] der Herakliden war und, dem Anschlage eines Weibes folgend, seinen Gebieter erschlug, damit aber sich eine Würde gewann, die ihm gar nicht zukam. Obgleich sich nun Loxias[3)] Mühe gab, auf daß das Unglück von Sardes zur Zeit der Kinder des Krösus eintrete und nicht auf ihn selbst falle, so war er doch nicht im stande; das Verhängnis abzuwenden: so viel aber davon nachgelassen worden, das hat er bewirkt und dem Krösus zu Gefallen gethan: denn drei Jahre lang schob er die Einnahme von Sardes hinaus: und Krösus soll es wissen, daß er erst drei Jahre später, als das Verhängnis es bestimmt, in die Gefangenschaft geraten ist. Zum andern hat der Gott ihm geholfen, als er verbrannt werden sollte. Es kann sich daher Krösus über das ihm zu Teil gewordene Orakel nicht mit Recht beschweren: denn Loxias verkündete ihm, er werde, wenn er gegen die Perser zu Felde ziehe, ein großes Reich vernichten[1)] ; demnach hätte er, wenn er sich gut beraten wollte, erst durch eine neue Gesandtschaft sollen anfragen lassen, ob der Gott darunter sein eigenes oder des Cyrus Reich verstehe. Da er nun den Spruch nicht begriffen und auch nicht wiederum angefragt hat, so soll er sich selbst die Schuld beimessen. Auch das, was ihm bei seiner letzten Anfrage Loxias sagte hinsichtlich des Maultieres[2)] , hat er nicht verstanden. Denn eben Cyrus war dieses Maultier, insofern er geboren ist von zweien, die nicht desselben Volkes sind, von einer vornehmeren Mutter und einem niederen Vater; seine Mutter nämlich war aus Medien, die Tochter des Astyages, des Königs der Bieder, sein Vater aber war ein Perser und diesem unterthan; und so in allem nachstehend, verband er sich mit seiner eigenen Gebieterin. Diese Antwort gab die Pythia den Lydern; diese aber überbrachten dieselbe nach Sardes und verkündeten sie dem Krösus, der, nachdem er sie vernommen, erkannte; daß nicht der Gott, sondern er selbst den Fehler begangen. Also verhielt es sich mit dem Reiche des Krösus und mit der ersten Unterjochung Joniens.



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92.

Von Krösus sind noch viele andere Weihgeschenke in Griechenland vorhanden und nicht bloß die oben angegebenen. So findet sich in dem böotischen Theben ein goldener Dreifuß, welchen er dem Ismenischen Apollo stiftete, zu Ephesus die goldenen Kühe und die meisten der Säulen, in dem Heiligtum der Pronäa[3)] zu Delphi ein großer goldener Schild: diese Schilde waren noch bis zu meiner Zeit vorhanden, andere derselben waren verloren gegangen. Die in dem Tempel der Branchiden[4)] zu Milet von Krösus gestifteten Gaben waren, wie ich erfahren, gleich an Gewicht und ähnlich denen Delphi. Was nun Krösus nach Delphi und in den Tempel des Amphiaraus weihte, war von seinem eigenen Hause und als Erstlingsgabe seines väterlichen Gutes dargebracht; die übrigen Weihgeschenke kamen aus dem Vermögen eines Feindes, welcher, bevor Krösus König geworden, wider ihn sich erhob, und sich alle Mühe gab, dem Pantaleon die Herrschaft über die Lyder zuzuwenden. Dieser Pantaleon war der Sohn des Alyattes und des Krösus Bruder, aber nicht von derselben Mutter. Krösus nämlich war dem Alyattes von einem karischen Weibe, Pantaleon von einer Jonierin geboren. Als nun Krösus die ihm vom Vater übergebene Regierung angetreten, ließ er den Menschen, der sein Widersacher gewesen, auf die Folter spannen und hinrichten, sein Vermögen aber, das er schon vorher den Göttern gelobt hatte; verwendete er auf die bemerkte Weise zu den angegebenen Weihgeschenken. So viel soll über die Weihgeschenke gesagt sein.




93.-94

Bewundernswürdige Gegenstände zur Aufzeichnung, wie sie wohl auch in andern Ländern vorkommen, enthält das lydische Land gerade keine, ausgenommen den Goldsand, der von dem Tmolus[1)] herabgeführt wird. Nur ein Werk findet sich daselbst, bei weitem das größeste, mit Ausnahme der ägyptischen und babylonischen Werke; dort nämlich ist das Grabmal des Alyattes, des Vaters des Krösus, dessen Grundlage aus großen Steinen besteht, der übrige Teil aber ist ein Aufwurf von Erde[2)] : es hatten dasselbe ausgeführt die Marktleute; die Säulen standen noch bis auf meine Zeit oben auf dem Grabmal und war an denselben in Schrift eingegraben, was jegliche gearbeitet hatten an dem Bau: und wenn man es ausmaß, so erschien der Teil, den die Dirnen gearbeitet, als der größeste. Bei dem Volke der Lyder geben alle die Töchter sich preis, um eine Mitgift damit zu gewinnen, und sie thun dies, bis sie sich verheiraten, indem sie sich selbst ausstatten. Der Umfang des Grabmales beträgt sechs Stadien und zwei Plethren[1)] , die Breite dreizehn Plethren: an das Grabmal stößt ein großer See, der, wie die Lyder behaupten, nie versiegt; er heißt der Gygäische. So nun verhält es sich damit.


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94.

Es haben die Lyder dieselben Gebräuche, wie die Hellenen, außer daß sie ihre Töchter Hurerei treiben lassen; sie sind aber unter allen, die wir kennen, die ersten, welche Münzen von Gold und Silber geprägt, auch sind sie die ersten Krämer gewesen; und sind die Spiele, die jetzt bei ihnen wie bei den Hellenen üblich sind, wie die Lyder selbst versichern, ihre Erfindung; und zwar wären dieselben zu der Zeit bei ihnen erfunden worden, als sie eine Kolonie nach Tyrhenien[2)] sendeten, worüber sie folgendes erzählen. Unter der Regierung des Atys, des Sohnes des Manes, sei ein großer Mangel an Getreide durch ganz Lydien entstanden: die Lyder hätten zwar eine Zeitlang ausgehalten, hernach aber als der Mangel nicht nachließ, eine Abhilfe gesucht, und sei der eine auf dies, der andere auf etwas anderes gefallen. So wäre damals das Würfelspiel und der Knöchel, sowie das Ballspiel und die verschiedenen anderen Arten von Spielen erfunden worden, mit Ausnahme des Brettspieles, dessen Erfindung sich die Lyder nicht zueignen. Sie hätten aber diese Spiele wider den Hunger erfunden, indem sie den einen ganzen Tag gespielt, um nicht ein Verlangen nach Speise zu bekommen, den andern Tag hätten sie vom Spiel gelassen und gegessen. Auf solche Weise hätten sie achtzehn Jahre lang verlebt. Als aber die Not nicht nachließ, sondern immer mehr drängte, da hätte ihr König alle Lyder in zwei Teile gesondert und sie unter einander losen lassen, so daß der eine Teil bleiben, der andere aus dem Lande ausziehen sollte; demjenigen Teile, der nach dem Lose bleiben sollte, habe der König sich selbst zugesellt, dem auswandernden Teile aber seinen Sohn, mit Namen Tyrsenos, beigegeben. Dann hätten sie gelost und der eine Teil sei aus dem Lande gezogen und ans Meer nach Smyrna gelangt, wo sie sich Schiffe verschafften, in welche sie alles brauchbare Hausgerät hineinbrachten und dann abschifften, um sich einen Lebensunterhalt und ein Land zu suchen: so fuhren sie an vielen Völkern vorbei, bis sie zu den Umbrikern[1)] kamen, wo sie Städte anlegten und bis auf diese Zeit wohnen; den Namen der Lyder änderten sie aber nach dem Sohne des Königs, der sie dahin geführt hatte, und ließen sich nun Tyrsener nennen. Die Lyder waren also von den Persern unterjocht worden.




95.

Von nun an hat meine Darstellung zu ermitteln, wer der Cyrus war, welcher des Krösus Reich zerstörte, und auf welche Weise die Perser zur Herrschaft über Asien gelangten. Wie nun einige von den Persern angeben, welche die Geschichte des Cyrus nicht ausschmücken, sondern die Wahrheit berichten wollen, so werde ich hiernach schreiben, da ich weiß, daß über Cyrus noch drei andere Erzählungen im Umlauf sind 2). Als die Assyrer über das obere Asien fünfhundertundzmanzig[1)] Jahre herrschten, begannen die Meder zuerst von ihnen abzufallen: und diese zeigten sich im Kampfe mit den Assyrern um ihre Freiheit als wackere Männer, und wurden, nachdem sie die Knechtschaft abgeschüttelt, frei; nach ihnen aber thaten auch andere Völker das Gleiche, wie die Meder. Als nun alle Völker auf dem Festlande ihre Selbständigkeit erlangt hatten, so kamen sie auf folgende Weise wiederum unter die Herrschaft.



96.-101

Unter den Medern befand sich ein kluger Mann mit Namen Dejokes, ein Sohn des Phraortes. Dieser Dejokes strebte nach der Herrschaft und that darum folgendes. Die Meder wohnten zerstreut in Dörfern; Dejokes aber; der schon früher in seinem Dorfe geachtet war, befliß sich noch weit mehr der Gerechtigkeit, und that dies um so mehr, weil viel Gesetzlosigkeit damals durch ganz Medien herrschte, er aber wohl wußte; daß dem Recht das Unrecht feindselig entgegen steht. Wie nun die Meder aus demselben Dorfe des Mannes Charakter sahen, wählten sie ihn zum Richter; er aber, eben weil er nach der Herrschaft strebte, war gerade und gerecht und erwarb sich durch diese Handlungsweise nicht geringes Lob von seiten seiner Mitbürger so daß diejenigen, welche in den andern Dörfern lebten, als sie erfuhren, daß Dejokes der einzige Mann sei, welcher nach dem Rechte entscheide, überdem sie früher manchen ungerechten Spruch erfahren hatten, nun gern an Dejokes sich wandten, um von ihm sich richten zu lassen; ja zuletzt wollten sie sich keinem andern anvertrauen.


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97.

Als so die Zahl derer, die zu ihm kamen, stets zunahm, weil sie erkannten, daß die Entscheidungen nach dem, was Recht war, ausfielen, Dejokes aber merkte, wie auf ihn alles beruhete, so wollte er nicht mehr zu Gericht sitzen da, wo er zuvor saß und Recht sprach, sondern weigerte sich, ihnen ferner Recht zu sprechen: denn es bringe ihm keinen Nutzen, seine eigenen Angelegenheiten bei Seite zu setzen und Fremden den ganzen Tag hindurch Recht zu sprechen. Da nun Raub und Ungesetzlichkeit in den Dörfern noch weit mehr als früher stattfand, so kamen die Meder zusammen und überlegten mit einander, was sie unter solchen Umständen thun sollten. Es waren aber, wie ich glaube, hauptsächlich die Freunde des Dejokes, welche also sprachen: wir sind nicht mehr im stande; wenn wir in dieser Lage bleiben, das Land zu bewohnen: wir wollen darum einen König über uns selbst erwählen; dann wird das Land in einen guten gesetzlichen Zustand kommen und wir selbst werden unseren Geschäften nachgehen, und nicht durch Gesetzlosigkeit genötigt werden, das Land zu verlassen.



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98.

Durch derartige Reden bestimmten sie die übrigen, einen König zu wählen; so wie man aber die Frage aufwarf, wen man zum Könige nehmen solle, so ward von jedermann Dejokes in Vorschlag gebracht und gelobt, bis man zuletzt einstimmig ihn zum König nahm. Er aber forderte sie auf, ihm eine der königlichen Würde angemessene Wohnung zu bauen und durch eine Wache von Lanzenträgern ihn sicher zu stellen. Das thaten auch die Meder; sie erbaueten ihm einen großen und festen Palast an der Stelle, die er selbst bezeichnet hatte, und ließen ihn aus allen Medern eine Leibwache von Lanzenträgern auswählen. Darauf, sowie er die Herrschaft erlangt hatte, zwang er die Meder, eine Stadt zu bauen, und darauf alle Sorge zu wenden, die übrigen aber weniger zu beachten. Auch darin folgten ihm die Meder; und so erbauete er eine große und starke Veste, die jetzt Agbatana[1)] heißt (mit sieben Ringmauern), von welchen eine in der andern eingeschlossen war. Es war aber diese Veste also angelegt, daß eine Ringmauer bloß um die Brustwehr höher war als die andere: daß dies aber so anging, dazu half auch die Lage des Ortes, der ein Hügel war. Es war dies auch darum so eingerichtet, weil in dem letzten dieser Mauerkreise, deren es in allem sieben 2) waren, die königliche Burg und der Schatz sich befand; es kommt aber der größeste dieser Mauerkreise an Umfang so ziemlich gleich dem Umkreise von Athen[3)] . Die Brustwehren des ersten Mauerkreises sind weiß, die des zweiten schwarz, des dritten purpurrot, des vierten blau, des fünften hellrot: so sind die Brustwehren aller Kreise mit Farben bestrichen, nur die zwei letzten haben, die eine versilberte, die andere vergoldete Brustwehren.



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99.

Diese Veste erbauete Dejokes für sich und um seine Wohnung: das übrige Volk mußte ringsherum um diese Veste wohnen. Als nun der Bau ganz vollendet war, war es Dejokes, der zuerst folgende Anordnung einführte[4)] : niemand durfte zum König eingehen, sondern durch Boten sollte alles abgemacht, und der König von niemand gesehen werden: außerdem solle vor ihm zu lachen und zu spucken bei allen für unanständig gelten. Mit diesem Glanz umgab er seine Person deswegen, damit seine Genossen, die mit ihm aufgewachsen waren, auch aus keinem geringeren Hause waren und ihm an Tapferkeit nicht nachstanden, sich nicht ärgerten bei seinem Anblick und ihm nachstellten, sondern er als ein ganz anderer Mensch ihnen erscheine, wenn sie ihn gar nicht mit den Augen erblickten.



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100.

Nachdem er diese Anordnungen getroffen und in der Herrschaft sich befestigt hatte, hielt er strenge auf die Bewahrung des Rechts: man schrieb die Klagen auf und schickte sie zu ihm hinein: er aber gab die Entscheidung über die an ihn gebrachten Klagen und schickte dieselbe heraus. So hielt er es in bezug auf das Recht: aber auch noch andere Einrichtungen traf er: wenn er von irgend einer Gewaltthat hörte, so ließ er den, der sie begangen, zu sich rufen und gab ihm sein Urteil nach dem Maß jeglicher Gewaltthat; auch hatte er überall in dem Lande, das er beherrschte, seine Späher und Horcher[1] ).



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101.

So nun unterjochte Dejokes das medische Volk allein und herrschte über dasselbe. Es gibt aber folgende Stämme der Meder: die Buser; Paretacener Struchater, Arizanter, Budier; Mager: so viele sind es der Stämme der Meder.




102.

Des Dejokes Sohn war Phraortes[2] ), welcher nach dem Tode des Dejokes, der dreiundfünfzig Jahre regiert hatte, die Herrschaft übernahm. Und als er sie übernommen hatte, genügte es ihm nicht, allein über die Meder zu herrschen, sondern er zog wider die Perser zu Felde, welche die ersten waren, die er angriff und der ,Herrschaft der Meder unterwarf; nachher aber unterwarf er sich mit diesen beiden Völkern, welche beide stark waren, Asien indem er von einem Volke zu dem andern zog; und so zog er denn auch gegen die Assyrer zu Felde, und zwar gegen diejenigen unter den Assyrern, welche Ninus im Besitz hatten und vordem über alle herrschten, damals aber von Bundesgenossen entblößt waren, insofern diese von ihnen abgefallen waren, sonst aber in einem blühenden Zustande sich befanden; gegen diese nun zog Phraortes zu Felde; aber nicht bloß er selbst erlag, nachdem er zweiundzwanzig Jahre geherrscht hatte, sondern auch der größte Teil seines Heeres.



103.-106

Nach dem Tode des Phraortes übernahm Cyaxares, dessen Sohn und Enkel des Dejokes, das Reich. Dieser soll noch weit kriegerischer gewesen sein, als seine Vorfahren; auch war er der erste, der die ihm unterworfenen Völker Asiens nach einzelnen Scharen abteilte und jegliche getrennt von einander in den Schlachtreihen aufstellte: die Lanzenträger; die Bogenschützen und die Reiter; vorher war alles auf gleiche Weise bunt durch einander gemischt. Dieser ist es, der mit den Lydern gekämpft hat, als während des Kampfes der Tag zur Nacht wurde[1)] , und der ganz Asien außerhalb des Halysflusses mit seinem Reiche verband. Alle die Völker, welche ihm unterthan waren, versammelte er dann und zog mit ihnen zu Felde gegen Nimis, ebensowohl um seinen Vater zu rächen, als um diese Stadt zu erobern. Und als er die Assyrer in einer Schlacht besiegt hatte und nun Ninus belagerte, rückte ein großes Heer der Scythen heran, unter Anführung ihres Königs Madyas, eines Sohnes des Protothyas; sie waren in Asien eingefallen, nachdem sie die Cimmerier aus Europa vertrieben hatten, und waren, diesen auf der Flucht folgend, so bis in das medische Land gedrungen.


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104.

Es ist aber von der Mäotischen See zum Phasis und zu den Kolchern für einen rüstigen Fußgänger[2)] ein Weg von dreißig Tagen; von Kolchis aus ist es nicht weit, um nach Medien über die Berge zu gelangen, nur ein Volk liegt mitten dazwischen, die Saspeiren[3)] . Ist man an diesen vorüber, so befindet man sich im Mederland Auf dieser Seite jedoch waren die Scythen nicht eingefallen, sondern sie hatten den oberen, um vieles längeren Weg eingeschlagen, und das kaukasische Gebirge rechts gelassen[1)] . Da gerieten die Meder mit diesen Scythen zusammen und verloren, von diesen in einer Schlacht besiegt, die Herrschaft: die Scythen hatten nun ganz Asien inne.



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105.

Von da zogen sie nach Ägypten, und wie sie im palästinischen Syrien[2)] sich befanden, kam ihnen Psammetich[3][)] , der König von Ägypten, entgegen und bewog sie durch Geschenke und Bitten, nicht weiter vorwärts zu ziehen. Sie kehrten darauf um, und als sie bei der Stadt Askalon[4)] in Syrien sich befanden, an welcher der größere Teil der Scythen vorüber gezogen war, ohne Schaden zu thun, so plünderten einige wenige von ihnen, die zurückgeblieben waren, den Tempel der Aphrodite Urania[5)] . Es ist dieser Tempel, wie ich infolge meiner Nachfragen vernehme, der älteste unter allen Tempeln, so viele deren diese Göttin besitzt. Denn der Tempel in Cypern stammt von hier aus, wie die Cyprier selbst angeben, und den Tempel zu Cythera[6] ) haben Phönicier, welche aus dieser syrischen Landschaft sind, gegründet. Über diejenigen Scythen nun, welche den Tempel zu Askalon geplündert hatten, und über ihre Nachkommen verhängte die Göttin eine weibliche Krankheit, so daß die Scythen selbst versichern, daher komme die Krankheit, und diejenigen, welche in das scythische Land kämen, könnten bei ihnen selbst sehen, wie es mit denen stehe, welche bei den Scythen Enareer heißen[1)] .



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106.

Achtundzwanzig Jahre[2)] lang herrschten die Scythen über Ästen: und alles ward infolge ihres Übermuts und ihrer Gewalt verheert. Denn außer dem (regelmäßigen) Tribut zogen sie von jedem ein, was sie ihm besonders auferlegten, und überdem zogen sie überall herum und raubten jedem, was er etwa hatte. Die Mehrzahl derselben erschlug Cyaxares mit seinen Medern, nachdem sie dieselben gastlich aufgenommen und trunken gemacht hatten, und so gewannen die Meder wieder die Herrschaft und behaupteten sie über dieselben Völker, die ihnen auch vorher unterthan waren. Auch eroberten sie Ninus (wie sie es eroberten, werde ich an einem andern Orte erzählen[3)] und unterwarfen sich die Assyrier, mit Ausnahme des babylonischen Anteils. Darauf starb Cyaxares, nach einer Regierung von vierzig Jahren, eingerechnet die Jahre der Herrschaft der Scythen.




107.

Es folgt in der Regierung Astyages, des Cyaxares Sohn, welcher eine Tochter hatte, der er den Namen Mandane gab. Diese erblickte Astyages im Traume, wie sie so viel Wasser von sich ließ, daß sie eine Stadt damit anfüllte, dann aber auch ganz Asien überschwemmte. Er legte darauf den Traumdeutern unter den Magiern das Traumgesicht vor, geriet aber in Schrecken, als er von ihnen alles im einzelnen erfuhr. Daher gab er diese Mandane, als sie mannbar geworden war; aus Furcht vor dem Traume, keinem unter den Medern, der seiner würdig war; zum Weibe, sondern einem Perser, mit Namen Cambyses, welchen er als Mann aus guter Familie und von ruhiger Gemütsart kannte, den er aber weit unter einen Meder aus dem Mittelstand stellte.



108.-122

Als nun Mandane diesen Cambyses heiratete, sah Astyages im ersten Jahre einen andern Traum. Es kam ihm vor, wie wenn aus dem Schoße dieser seiner Tochter ein Weinstock hervorwachse, der ganz Asien bedeckte. Auch dieses Traumgesicht legte er den Traumdeutern vor, und ließ dann aus dem Perserlande seine Tochter holen, die nahe war an der Geburt. Als sie angekommen war; ließ er sie bewachen, weil er die Absicht hatte, das, was von ihr geboren werde, umzubringen: denn die Traumdeuter unter den Magiern hatten ihm jenes Traumgesicht dahin gedeutet, daß der Sprößling seiner Tochter König werde statt seiner. Indem er nun davor sich bewahren wollte, ließ er, als Cyrus geboren war; den Harpagus rufen, einen seiner Angehörigen und einen seiner Vertrautesten unter den Medern, den er auch über all das Seine gesetzt hatte, und sprach zu ihm folgendes: Harpagus, das Geschäft, das ich dir übertrage, darfst du auf keine Weise nachlässig betreiben; auch darfst du mich nicht täuschen, oder andere dir zur Besorgung nehmen: sonst wirst du dich selbst später ins Unglück stürzen. Nimm das Knäblein, das Mandane geboren hat, bring es in deine Wohnung und töte es; nachher bestatte es, auf welche Weise du willst. Er erwiderte darauf: nie sonst hast du einen Mann, wie ich, tadelhaft gefunden, und auch in alle Zukunft werde ich mich hüten, gegen dich etwas zu verfehlen; wenn es aber wirklich dein Wille ist, daß dies also geschehe, so muß ich, was an mir liegt, mit allem Fleiße dir dienen.


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109.

Als Harpagus dies erwidert hatte und darauf ihm das Knäblein mit allem seinem Schmuck zum Tode übergeben war, eilte er weinend in seine Wohnung, und als er hier angekommen, erzählte er seiner Frau die ganze Rede die Astyages zu ihm gesprochen hatte. Diese aber erwiderte ihm: Was hast du nun jetzt im Sinne zu thun? Darauf antwortete er: Ich will es nicht so machen, wie Astyages mir aufgetragen hat, auch wenn er ganz von Sinnen kommen und noch mehr rasen wird, als es jetzt der Fall ist, ich will demungeachtet seiner Ansicht mich nicht anschließen und ihm zu einem solchen Morde nicht behilflich sein. Ich will den Knaben nicht umbringen aus gar manchen Gründen; der Knabe ist mir auch verwandt, Astyages ist alt und ohne alle männliche Nachkommenschaft. Wenn aber nach seinem Tode die Herrschaft auf diese Tochter übergehen soll, deren Sohn er jetzt durch mich umbringen läßt, was bleibt mir dann übrig? Komme ich dann nicht in die größte Gefahr? Allerdings muß um meiner Sicherheit willen der Knabe sterben, dann aber soll einer von den Leuten des Astyages ihn umbringen und nicht einer von den meinen.



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110.

So sprach er und schickte sogleich einen Boten an einen von den Rinderhirten des Astyages, von dem er wußte, daß er seine Weiden an einem sehr gelegenen Platze und in den wildesten Gebirgen habe; Mitradates hieß er und lebte dort mit seiner Frau, die auch eine Sklavin war; ihr Name war Kyno nach der Hellenen Sprache, nach der medischen Spako: denn die Meder nennen den Hund Spaka[1)] . Die Abhänge der Gebirge, wo dieser Rinderhirt seine Weiden für die Herden hatte, befinden sich nordwärts von Agbatana und dem Pontus Euxinus: denn an dieser Seite ist das medische Land gegen die Spitze der Saspeiren[2)] hin sehr gebirgig, hochliegend und mit Waldung bedeckt; das übrige medische Land ist ganz eben. Als nun der eilig berufene Rinderhirt ankam, sprach Harpagus zu ihm: Astyages befiehlt dir; dieses Knäblein zu nehmen und an den ödesten Ort des Gebirges auszusetzen, damit es sobald als möglich zu Grunde gehe; auch hat er mir aufgetragen, dir zu sagen, daß du, wenn du das Knäblein nicht tötest, sondern auf irgend eine Weise am Leben erhältst, des schwersten Todes sterben wirst: ich aber bin beauftragt, nach dem ausgesetzten Knaben zu sehen.



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111.

Als der Rinderhirt dies gehört, nahm er das Knäblein und machte sich auf demselben Wege wieder heim, wo er in seiner Hütte ankam. Sein Weib aber, das jeden Tag die Geburt erwartete, kam gerade während der Zeit, in welcher der Hirt nach der Stadt gegangen, wie durch göttliche Fügung nieder. Beide waren in Sorge um einander: der Mann in Furcht wegen der Niederkunft der Frau, diese aber; weil Harpagus wider Gewohnheit ihren Mann hatte zu sich rufen lassen. Als nun der Mann zurückgekehrt zu ihr trat, so fragte sie, als sie den Mann ganz unverhofft erblickt hatte, zuerst, warum denn Harpagus ihn so angelegentlich zu sich habe rufen lassen. Er aber sprach: "O Weib, als ich in die Stadt gekommen, sah ich und hörte ich, was ich nie hätte sehen und was nie über unsere Gebieter hätte kommen sollen. Das ganze Haus des Harpagus erschallte von Wehklagen: erschrocken trat ich ein; so wie ich hereinkam, sah ich ein Knäblein vor mir liegen, welches zappelte und schrie, geschmückt mit Gold und buntem Gewand. Als Harpagus mich erblickte, gebot er mir schleunigst das Knäblein zu nehmen, mit demselben wegzugehen und es an der ödesten Stelle des Gebirges auszusetzen; Astyages, fügte er hinzu, habe es so angeordnet: und dabei stieß er arge Drohungen aus, wenn ich es nicht thun würde. So nahm ich das Kind mit, in dem Glauben, es sei von einem der Diener, denn ich konnte mir nicht denken, woher es war; ich staunte jedoch über das Gold und die Gewänder womit ich es geschmückt sah, dann auch über den Jammer, der in des Harpagus Haus sich erhob. Und sofort auf dem Wege erfuhr ich den ganzen Vorfall von einem Diener, der mich aus der Stadt geleitete und mir das Knäblein eingehändigt hatte, es sei nämlich der Sohn der Mandane, der Tochter des Astyages, und des Kambyses, des Sohnes des Cyrus, und Astyages habe befohlen, ihn umzubringen, und nun siehe, da ist er!"



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112.

Zugleich mit diesen Worten enthüllte er das Knäblein und zeigte es seinem Weibe, welche, als sie das große und schöne Kind erblickte, unter Thränen die Kniee ihres Mannes umfaßte und ihn bat, auf keine Weise das Kind auszusetzen. Er aber erklärte, er könne nicht anders handeln, denn es würden Leute von seiten des Harpagus kommen, um nachzusehen; ihn aber würde der härteste Tod treffen, wenn er es nicht thun würde. Als sie nun ihren Mann nicht bereden konnte, nahm sie zum andern Male das Wort und sprach: "Da ich dich also wirklich nicht bereden kann, das Kind nicht auszusetzen, so mache es folgendermaßen, wenn es nun einmal durchaus nötig ist, daß man das Kind ausgesetzt sieht. Ich habe ebenfalls ein Kind geboren, aber ein totes: dieses nimm und setze es aus; das Kind der Tochter des Astyages aber wollen wir aufziehen, wie wenn es unser Kind wäre: so wird man dich auf keinem Fehltritte wider deine Gebieter ertappen, und auch wir werden dann nicht übel beraten sein: denn das tote Kind wird eine königliche Bestattung erhalten und das lebendige sein Leben nicht verlieren.



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113.

Der Rinderhirt fand im Hinblick auf die gegenwärtigen Umstände die Worte des Weibes ganz vernünftig, und er that sogleich also; den Knaben, den er mitgebracht, um ihn umzubringen, übergab er seinem Weibe, seinen Knaben aber, der tot war nahm er und legte ihn in die Wanne, in der er den andern getragen, schmückte ihn dann mit all dem Schmucke des andern Knaben und setzte ihn an der ödesten Stelle des Gebirges aus. Und nachdem drei Tage seit der Aussetzung des Knäbleins verflossen waren, begab sich der Rinderhirt in die Stadt, nachdem er einen der Diener als Wächter zurückgelassen hatte. Er trat in das Haus des Harpagus und erklärte sich bereit; den Leichnam des Knäbleins zu zeigen. Da sandte Harpagus die getreuesten unter seinen Lanzenträgern und ließ durch diese nachsehen und dann das Knäblein des Rinderhirten beerdigen. So war das eine Knäblein beerdigt; den Knaben aber, der nachher den Namen Cyrus erhielt, nahm das Weib des Rinderhirten zu sich und zog ihn auf, indem sie ihm irgend einen andern Namen und nicht den Namen Cyrus gab.



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114.

Als nun der Knabe zehn Jahre alt war; trug sich folgender Vorfall mit ihm zu, der ihn kenntlich machte. Er spielte in dem Dorfe, bei dem auch diese Rinderhirten sich befanden und spielte mit andern Kameraden auf dem Wege. Die spielenden Knaben aber erwählten ihn, den Sohn des Rinderhirten, unter diesem seinem Namen, zum König.[1] Er aber ordnete sie dann, die einen sollten Häuser bauen, die andern bestellte er zu seinen Lanzenträgern, ein anderer von ihnen sollte das Auge des Königs sein[2] , einem anderen verlieh er das Amt, die Botschaften hereinzubringen; so bestimmte er einem jeglichen sein Geschäft. Einer nun von diesen Knaben, welcher mitspielte, der Sohn des Artembares, eines angesehenen Mannes unter den Medern, that das nicht, was ihm von Cyrus geboten war, und dieser ließ ihn darauf durch die anderen Knaben ergreifen. Die Knaben gehorchten, und Cyrus behandelte ihn sehr hart mit Schlägen. So wie er aber losgelassen war, ward er noch mehr erbost, weil er glaubte, Unwürdiges erlitten zu haben; er kehrte in die Stadt zurück und jammerte bei seinem Vater über das, was ihm von Cyrus widerfahren war, wobei er nicht den Cyrus nannte, denn diesen Namen hatte er ja nicht, sondern den Sohn des Rinderhirten des Astyages angab. Artembares eilte im Zorn, wie er war, zu dem Astyages, und indem er zugleich seinen Knaben mit sich nahm, beschwerte er sich, Unwürdiges erlitten zu haben, und sprach: "O König, von deinem Sklaven, dem Sohne des Rinderhirten, sind wir in solcher Weise mißhandelt worden", wobei er auf die Schultern des Knaben hinwies.



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115.

Wie dies Astyages sah und hörte, wollte er dem Knaben, um der Ehre des Artembares willen, Genugthuung geben und ließ den Rinderhirten und dessen Sohn zu sich rufen. Als beide erschienen, wandte sich Astyages mit einem Blicke an Cyrus und sprach: "Du also, der du der Sohn eines solchen Mannes bist, hast dir herausgenommen, den Sohn dieses Mannes, der bei mir einer der ersten ist, so schmählich zu behandeln?" Er aber erwiderte also: "O Gebieter, ich habe ihm dies mit Recht angethan, denn die Knaben des Dorfes, unter welchen auch er sich befand, wählten im Spiele mich zu ihrem König, weil ich ihnen dazu am geeignetsten erschien: die andern Knaben nun thaten, was ihnen anbefohlen war, dieser aber war ungehorsam und kümmerte sich um nichts, bis daß er seine Strafe empfing. Wenn ich nun deswegen irgend eine Strafe verdiene, siehe, hier stehe ich vor dir!"



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116.

Bei diesen Worten des Knaben kam es mit einem Male den Astyages an, als erkenne er den Knaben wieder: es schien ihm der Ausdruck des Gesichtes dem seinigen ähnlich zu sein und die Antwort ganz eines Freien würdig; die Zeit der Aussetzung aber schien ihm mit dem Alter des Knaben zusammenzufallen. Erschrocken darüber blieb er eine Zeitlang sprachlos; kaum aber war er wieder etwas zu sich gekommen, so sprach er zu Artembares, den er entlassen wollte, um den Rinderhirlen allein vorzunehmen und auszuforschen: "Artembares, ich werde es schon einrichten, daß du und dein Sohn dich über mich nicht zu beschweren hast." Also entläßt er den Artembares; den Cyrus aber brachten auf Geheiß des Astyages die Diener herein (in das Innere des Palastes). Als nun der Rinderhirt allein zurückgeblieben war, so wandte sich Astyages an ihn mit der Frage, woher er den Knaben erhalten habe und wer der sei, der ihm denselben übergeben? Dieser versicherte, er wäre von ihm gezeugt, und die, die ihn geboren, sei noch bei ihm. Astyages aber sagte ihm, er sei übel beraten, wenn es ihn so sehr verlange, auf eine harte Folter zu kommen: und mit diesen Worten gab er den Lanzenträgern plötzlich ein Zeichen, ihn zu ergreifen. Als er darauf auf die Folter geführt wurde, da entdeckte er die ganze Sache und erzählte alles von Anfang an bis zu Ende, streng nach der Wahrheit; zuletzt verlegte er sich aufs Bitten und ging den Astyages an, ihm Verzeihung zu gewähren.



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117.

Astyages aber legte dem Rinderhirten, der ihm die Wahrheit enthüllt hatte, schon weniger Schuld bei: aber dem Harpagus nahm er es sehr übel und ließ ihn sogleich durch seine Lanzenträger rufen. So wie Harpagus erschien, frug ihn Astyages: "Harpagus, auf welche Weise hast du denn das Kind, das von meiner Tochter geboren war und das ich dir übergeben habe, ums Leben gebracht?" Dieser, da er den Rinderhirt im Innern gewahr wurde, verlegte sich nicht auf den Weg der Lüge, damit er nicht auf der Unwahrheit ertappt würde, sondern sprach folgendes: "O König! als ich den Knaben empfangen hatte, ging ich bei mir zu rate, wie ich nach deinem Sinne handeln und ohne Schuld wider dich, weder vor deiner Tochter, noch vor dir als ein Mörder erscheinen würde. Ich that demnach also. Ich rief diesen Rinderhirten, übergab ihm das Knäblein mit der Erklärung, du habest befohlen, dasselbe zu töten. Und mit diesen Worten beging ich keine Unwahrheit: denn du trugst es mir also auf. Jedoch übergab ich ihm das Kind in der Weise, daß ich ihm austrug, es auf ödem Gebirge auszusetzen und dabei so lange zu bleiben und zu wachen, bis es tot sei; ich fügte auch mancherlei Drohungen gegen ihn bei, wenn er dies nicht vollziehen würde; er that auch, was ihm befohlen war, und als das Knäblein gestorben war, sandte ich die Verläßlichsten der Eunuchen dahin und ließ durch sie nachsehen, sowie das Kind bestatten. So, o König, verhält es sich mit dieser Sache: auf eine solche Weise kam das Kind um."



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118.

Harpagus nun eröffnete ihm die Sache der Wahrheit gemäß; Astyages aber verbarg den Zorn, den er wegen des Vorkommnisses gefaßt hatte, und erzählte hinwiederum zuerst dem Harpagus den Vorfall in der Weise, wie er ihn von dem Hirten vernommen hatte; hernach aber, als er es ihm nochmals erzählte, kam er zuletzt dahin, zu versichern, daß der Knabe noch am Leben sei, und daß es so ganz gut gekommen. "Denn", setzte er hinzu, "es that mir sehr wehe, was mit dem Knaben geschehen war, und ich konnte es nicht verschmerzen, meine Tochter so sehr verletzt zu haben. Da nun die Sache sich glücklich gewendet, so schicke deinen Sohn zu unserem neuen Ankömmling; du aber komme dann zu meiner Tafel, denn ich gedenke ein Dankopfer für die Erhaltung des Knaben denjenigen Göttern darzubringen, welchen dies zukommt.[1]



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119.

Als Harpagus diese Worte vernommen, warf er sich vor ihm nieder und rechnete es hoch an, daß sein Versehen so günstig für ihn ausgeschlagen, und daß er bei einer so glücklichen Wendung zum Mahle geladen sei; dann eilte er in seine Wohnung, und so wie er eingetreten, entsendet er sogleich seinen Sohn — er hatte nämlich nur diesen einzigen Sohn, etwa dreizehn Jahre alt — und befiehlt ihm, zu Astyages zu gehen und, was ihm derselbe aufgeben würde, zu thun; er selbst voll Freude erzählte seinem Weibe, was sich zugetragen. Astyages aber ließ den Sohn des Harpagus, als er zu ihm gekommen war, abschlachten, in Stücke zerschneiden und dann das Fleisch zum Teil braten, zum Teil kochen. So ließ er alles wohl zubereiten und hielt es in Bereitschaft. Als aber die Stunde des Mahles gekommen war, erschienen die übrigen Gäste, sowie Harpagus: den übrigen Gästen nun und dem Astyages selbst wurden Tische[1] vorgesetzt, voll von Schaffleisch, dem Harpagus aber ein Tisch mit dem Fleische seines eigenen Sohnes, mit Ausnahme des Kopfes und der Spitzen der Hände und Füße alles andere: diese Teile lagen besonders in einem Korbe verhüllt. Als nun Harpagus an Speise gesättigt erschien, frug ihn Astyages, ob er an dem Schmause auch Freude habe. Und als derselbe es bejahte und seine volle Freude aussprach, da brachten die Leute, die dazu befehligt waren, den Kopf des Kindes zugedeckt und die Hände und Füße: da traten sie vor den Harpagus und forderten ihn auf, den Korb zu enthüllen und sich daraus zu nehmen, was er wollte. Harpagus gehorchte, und wie er aufdeckte, erblickte er die Reste seines Sohnes: indessen entsetzte er sich nicht über diesen Anblick, sondern behielt seine Fassung; und als ihn Astyages frug, ob er wohl wisse, von wessen Tiere Fleisch er gegessen, so gab er zur Antwort, er wisse es, und alles, was der König thue, sei wohlgethan. Nach dieser Antwort nahm er den Rest des Fleisches und eilte damit in seine Wohnung; hier gedachte er, wie ich glaube, alles zu sammeln und zu beerdigen.



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120.

Dem Harpagus hatte Astyages diese Strafe auferlegt. Hinsichtlich des Cyrus aber ging er zu rate und berief dieselben Magier, die ihm das Traumgesicht auf diese Weise ausgelegt hatten: sie sprachen sich in derselben Weise aus, indem sie erklärten, der Sohn müsse König werden, wenn er am Leben geblieben und nicht vorher gestorben wäre. Darauf erwiderte ihnen Astyages also: "Der Sohn ist da und am Leben erhalten; und es haben ihn die Knaben aus dem Dorfe, unter denen er auf dem Lande verweilte, zum König erwählt: als solcher hat er alles so angeordnet, wie es in der That die wirklichen Könige machen: er hat nämlich Lanzenträger, Thürwächter, Botschaftenträger und alles übrige, der Reihe nach, angeordnet. Worauf scheint euch nun jetzt das zu gehen?" Es erwiderten darauf die Magier: "Wenn der Knabe am Leben erhalten und nicht infolge einer absichtlichen Veranstaltung König gewesen ist, so fasse Mut und gib dich deshalb zufrieden: denn er wird nicht mehr zum zweitenmal herrschen. Schon manche unserer Sprüche haben einen so unbedeutenden Ausgang genommen, und solche, die mit Träumen zusammenhängen, gehen vollends oft ganz unbedeutend aus." Darauf erwiderte Astyages: "Auch ich, ihr Magier, bin selbst durchaus der Meinung, daß der Traum in Erfüllung gegangen, da der Knabe König gewesen ist, daher ich von seiten des Knaben nichts mehr zu fürchten habe. Gebt mir jedoch einen Rat und erwägt wohl, was für mein Haus und für euch am sichersten sein wird. Darauf sprachen die Magier: "O König, auch uns selbst liegt viel daran, daß deine Herrschaft feststehe: denn wenn sie auf diesen Knaben übergeht, der ein Perser ist, gelangt sie in fremde Hände: und wir, die wir Meder sind, werden wieder den Persern unterthan und von ihnen für nichts geachtet, als Fremdlinge; so lange du aber als König dastehst, haben wir ungern Teil an der Herrschaft und genießen hohe Ehren von dir, der du unser Mitbürger bist. Darum haben wir ebenso gut Fürsorge zu treffen für uns, wie für dich und deine Herrschaft; wir würden dir daher auch, wenn wir etwas für dich zu fürchten sähen, alles vorausgesagt haben; jetzt aber, da das Traumgesicht einen so winzigen Ausgang genommen hat, fassen wir selbst Mut und raten auch dir ein Gleiches an: schicke diesen Knaben weg aus deinen Augen zu den Persern und zu seinen Eltern."



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121.

Als Astyages diese Worte gehört hatte, freute er sich, ließ den Cyrus rufen und sprach zu ihm folgendes: "O Sohn, ich habe dir um eines nichtigen Traumgesichtes willen Unrecht gethan, durch dein eigenes Glück bist du aber am Leben erhalten worden: jetzt nun eile zufrieden zu den Persern zurück; ich will dich dahin geleiten lassen; bist du dort angekommen, so wirst du einen anderen Vater und eine andere Mutter finden, als den Rinderhirten Mitradates und sein Weib."



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122.

Nach diesen Worten entließ Astyages den Cyrus, welcher in das Haus des Kambyses zurückkehrte, wo ihn seine Eltern aufnahmen und, als sie nach dem Empfange alles vernommen hatten, herzlich begrüßten, weil sie ja des Glaubens waren, er sei damals sogleich ums Leben gekommen; sie befragten ihn daher, auf welche Weise er am Leben erhalten worden sei; er aber erzählte ihnen, wie er selbst vordem nichts gewußt, sondern in dem größten Irrtume geschwebt, nun aber auf dem Wege sein ganzes Schicksal erfahren habe. Denn er sei des Glaubens gewesen, er wäre der Sohn eines Rinderhirten des Astyages; auf dem Wege von dort aber habe er von seinem Begleiter die ganze Geschichte vernommen; er erzählte dann, wie er von dem Weibe des Rinderhirten erzogen worden und erging sich in allem Lobe über dieselben: immer war die Kyno in seinem Munde. Die Eltern aber nahmen diesen Namen auf, damit die Erhaltung ihres Sohnes den Persern als ein besonderes Werk der Gottheit erscheine, und verbreiteten die Sage, daß ein Hund den ausgesetzten Cyrus ernährt habe.[1] Daher nun ist die ganze Sage gekommen.




123.-130

Als aber Cyrus zum Manne herangewachsen war und unter seinen Altersgenossen der wackerste und beliebteste war, lag ihm Harpagus an und schickte ihm Geschenke, weil er an Astyages Rache zu nehmen wünschte. Denn er sah wohl ein, daß von seiner Seite, da er ein Privatmann war, über den Astyages keine Rache kommen werde: wie er aber den Cyrus heranwachsen sah, so suchte er in ihm einen Verbündeten, indem er des Cyrus Schicksal mit dem seinigen gleichstellte; schon vorher aber hatte er folgendes bewerkstelligt: da Astyages hart gegen die Meder war, so ließ er sich mit jedem der ersten Meder einzeln ein und suchte sie zu bereden, den Cyrus an die Spitze zu stellen und der Regierung des Astyages ein Ende zu machen. Als ihm dies gelungen war und alles in Bereitschaft stand, da erst gedachte er dem Cyrus, der im Perserlande sich aufhielt, seinen Plan zu eröffnen, aber es war ihm durchaus unmöglich, weil die Wege bewacht wurden; da ersann er folgende List. Er nahm einen Hasen, schlitzte ihm den Bauch auf, ließ ihn aber sonst, wie er war, ohne etwas von den Haaren wegzunehmen, und legte dann einen Brief hinein, in welchem er seine Absicht geschrieben hatte, dann nähte er den Bauch des Hasen wieder zu und übergab ihn in einem Jagdnetze dem getreuesten seiner Sklaven, wie wenn er ein Jäger wäre, und entsendete ihn so nach Persien mit dem mündlichen Auftrage, den Hasen dem Cyrus zu übergeben und diesem dabei zu bemerken, er möge mit eigener Hand den Hasen aufschneiden und, während er dies thue, dürfe niemand dabei sein.[2]


***
124.

Dieses ward nun also ausgeführt: Cyrus empfing den Hasen und schlitzte ihn auf. Darin fand er den Brief, den er nahm und las. Der Brief aber lautete also: "O Sohn des Kambyses! Die Götter sehen auf dich: denn sonst wärest du nicht so glücklich gewesen: nimm jetzt Rache an Astyages, deinem Mörder. Denn nach dessen Willen bist du gestorben, aber durch der Götter Fügung und durch mich bist du am Leben erhalten. Das alles hast du, wie ich glaube, schon längst erfahren, sowie auch, wie es mir ergangen ist und was ich von Astyages erlitten habe, weil ich dich nicht getötet, sondern dem Rinderhirten übergeben habe. Wenn du nun mir folgen willst, so wirst du über das ganze Land herrschen, über welches Astyages herrscht. Berede die Perser zum Abfall und ziehe dann mit Heeresmacht gegen die Meder: werde ich dann von Astyages zum Feldherrn ernannt dir gegenüber oder irgend ein anderer angesehener Meder, in jedem Falle wird geschehen, was du wünschest. Denn die Meder werden von ihm abfallen und dann, wenn sie auf deine Seite getreten sind, versuchen, den Astyages zu stürzen. Hier ist alles schon in Bereitschaft: darum handle danach und thue es bald."



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125.

Als Cyrus dies vernommen, überlegt er, wie er es am klügsten anfange, um die Perser zum Abfall zu bringen; bei dieser überlegung fand er, daß es also am geeignetsten wäre: und das that er sogleich. Er schrieb in einen Brief, was er wollte, und veranstaltete dann eine Versammlung der Perser: nachher entfaltete er den Brief, las ihn und versicherte, Astyages ernenne ihn zum Feldherrn der Perser. "Jetzt, o Perser", fuhr er dann fort, "befehle ich euch, daß ein jeder mit einer Sichel erscheine." Dieses Gebot erließ Cyrus. Es sind aber zahlreiche Stämme der Perser; diejenigen derselben, welche Cyrus versammelt hatte und zum Abfall von den Medern bewog, sind folgende, und von ihnen sind alle übrigen Perser abhängig: die Pasargaden, die Maraphier, die Maspier; von diesen sind die Pasargaden die vornehmsten, zu ihnen gehört auch das Geschlecht der Achämeniden, welchen die Könige der Perser entstammen.[1] Andere Perserstamme sind folgende: die Panthialäer, Derusiäer, Germanier[1] , diese sind alle Ackerbauer; die übrigen sind Nomaden: die Daer, Marder, Dropiker, Sagartier.



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126.

Als nun alle mit der Sichel erschienen, wie es befohlen war, da bezeichnete ihnen Cyrus eine Stätte im Perserlande, welche ganz voll von Dornen war, etwa achtzehn oder zwanzig Stadien nach jeder Seite hin: diese sollten sie an einem Tage ausroden. Als die Perser die ihnen auferlegte Arbeit vollendet hatten, gebot er ihnen zum andern Male, sie sollten an dem folgenden Tage erscheinen, nachdem sie ein Bad genommen. Darauf brachte Cyrus alle Ziegen, Schafe und Rinder seines Vaters an einem Ort zusammen, ließ sie schlachten und zurecht machen, um damit das Heer der Perser zu bewirten und außerdem noch mit Wein und angemessenen Speisen. Als dann am anderen Tage die Perser ankamen, ließ er sie auf einer Wiese lagern und bewirtete sie; nach der Mahlzeit aber stellte er an sie die Frage, ob ihnen das, was sie des Tags zuvor gehabt oder das, was sie jetzt hätten, besser gefiele. Diese aber erklärten, hier sei ein großer Unterschied: denn am Tage zuvor hätten sie es in allem schlimm gehabt, an dem heutigen aber sei es ihnen ganz gut ergangen. Dieses Wort nahm Cyrus auf, enthüllte ihnen seinen ganzen Plan und sprach: Perser, mit euch steht es also. Wenn ihr mir folgen wollt, so werden euch diese und unzählige andere Güter zu teil, ohm daß ihr irgend eine Arbeit dabei habt, wie sie für Knechte gehört: wollt ihr mir aber nicht folgen, so warten eurer unzählige Mühen, ähnlich den gestrigen. Folgt darum nur jetzt, ihr werdet frei. Denn ich selbst glaube durch göttliche Fügung geboren zu sein, um dieses in meine Hände zu nehmen: ich bin auch überzeugt, daß ihr eben so wackere Männer seid, wie die Meder, nicht bloß in allem anderen, sondern auch im Kriege. Wenn nun dem also ist, so fallet alsbald ab von Astyages."



***
127.

Die Perser hatten nun einen Führer erlangt und wollten gern frei sein, da sie schon längst über die Herrschaft der Meder ärgerlich waren. Als aber Astyages ersehen hatte, daß Cyrus mit solchen Dingen umgehe, so sandte er einen Boten und ließ ihn rufen. Cyrus aber ließ ihm durch den Boten zurücksagen, er werde eher zu ihm kommen, als Astyages selbst es wünsche. Auf diese Nachricht hin ließ Astyages alle Meder unter die Waffen treten und ernannte zum Feldherrn derselben, wie wenn ihm Gott den Verstand genommen, den Harpagus, wobei er ganz vergaß, was er demselben angethan hatte. Und als die Meder ausgerückt waren und mit den Persern zusammentrafen, kämpfte nur ein Teil derselben, welcher von der Verabredung nichts wußte, ein anderer Teil trat zu den Persern über, die meisten aber zeigten sich feige und ergriffen die Flucht.



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128.

So löste sich das Heer der Meder in schimpflicher Flucht auf. Astyages aber, sobald er davon Nachricht erhalten hatte, erklärte drohend dem Cyrus: Auch so soll Cyrus der Sache nicht froh werden." Nach diesen Worten ließ er zuerst die Traumdeuter unter den Magiern, die ihn beredet hatten, den Cyrus zu entlassen, an Pfählen aufspießen[1] , nachher aber bewaffnete er die Meder; die in der Stadt zurückgeblieben waren, jung und alt, führte sie heraus zum Kampfe mit den Persern, unterlag aber und ward selbst gefangen; auch verlor er die Meder, die er herausgeführt hatte.



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129.

Als nun Astyages ein Gefangener war, trat Harpagus vor ihn, verlachte und verspottete ihn, nicht bloß mit anderen ihn schmerzenden Worten, sondern auch durch die Frage, die er an ihn in bezug auf jenes Mahl stellte, an welchem er ihn mit dem Fleische seines Sohnes bewirtet hatte, ob ihm denn jetzt seine Knechtschaft besser zusage, als seine Herrschaft. Astyages blickte ihn an und erhob die Gegenfrage, ob er das Werk des Cyrus für das seine ansehe. Allerdings, erwiderte Harpagus, denn er habe den Brief geschrieben, es sei daher mit Recht sein Werk. Da wies ihm Astyages nach, wie er der einfältigste und ungerechteste Mensch auf der Welt sei, der einfältigste, insofern er, wenn anders die Sache wirklich sein Werk wäre, selbst hätte König werden können und einem anderen die Macht zugewendet, der ungerechteste, weil er um jenes Mahles willen die Meder in Sklaverei gebracht habe. Denn wenn die Königswürde durchaus an einen anderen hätte übergehen und er selbst nicht im Besitze derselben bleiben sollen, so sei es doch dem Rechte entsprechender gewesen, dieses Gut irgend einem Meder zuzuwenden, als einem Perser. So seien jetzt die Meder, die an allem dem keine Schuld trügen, aus Herren Sklaven geworden; die Perser aber, die vordem Sklaven der Meder gewesen, seien jetzt deren Herren geworden.



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130.

Also ward Astyages, nachdem er fünfunddreißig Jahre König gewesen, von seiner Herrschaft gestürzt; die Meder aber unterwarfen sich, um der Härte desselben willen, den Persern, nachdem sie über Asien oberhalb des Halyssiusses[1] hundertundachtundzwanzig Jahre geherrscht[2] hatten, ausgenommen die Dauer der skythischen Herrschaft. In späterer Zeit jedoch bereuten sie dies gethan zu haben und fielen von Darius[3] ab, wurden aber nach ihrem Abfall wieder unterjocht, nachdem sie in einer Schlacht besiegt worden waren. Von dieser Zeit an herrschten Cyrus und die Perser, welche damals unter des Astyages Herrschaft gegen die Meder aufgestanden waren, über Asien. Dem Astyages aber that Cyrus wieder kein Leid an, sondern behielt ihn bei sich bis an fein Lebensende. So ward Cyrus geboren und erzogen, und so ward er König: später erst unterjochte er den Krösus, der ihm zuerst Unrecht gethan hatte, wie es von mir früher berichtet worden ist.[4] Mit der Unterjochung desselben gelangte Cyrus also zur Herrschaft über ganz Asien.




131.-140

Die Perser haben meines Wissens folgende Gebräuche: Götterbilder, Tempel und Altäre aufzurichten, ist bei ihnen nicht Sitte, sondern denen, welche dies thun, werfen sie sogar Thorheit vor, weil sie nämlich, wie es mich bedünkt, nicht glauben, daß die Götter eine menschliche Gestalt haben, wie es die Hellenen glauben.[1] Sie pflegen auf die höchsten Berge zu gehen und daselbst dem Zeug Opfer zu bringen, indem sie den gesamten Kreis des Himmels[2] mit dem Namen Zeus bezeichnen: dann bringen sie Opfer der Sonne, dem Mond, der Erde, dem Feuer, dem Wasser und den Winden[3] : diesen Göttern allein opfern sie von Anfang an: sie haben aber noch dazu gelernt, und zwar von den Assyrern und Arabern, der Urania[4] zu opfern; es nennen die Assyrer die Aphrodite Mylitta, die Araber Alitta, die Perser Mitra.[5]


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132.

Das Opfer bringen die Perser für die genannten Gottheiten in folgender Weise dar: sie errichten, wenn sie ein Opfer zu bringen gedenken, weder Altäre, noch zünden sie Feuer an; sie haben auch keine Trankopfer; noch Flötenspiel, noch Binden, noch geröstete Gerste[6] dabei. Will einer sein Opfer darbringen, so führt er das Vieh an eine reine Stätte, ruft die Gottheit an, meist bekränzt mit Myrten zweigen um seine Tiara. Dem, welcher opfert, ist es nicht verstattet, für sich allein Gutes zu erflehen: er betet vielmehr, daß es allen Persern und dem Könige wohlergehe: denn in der Gesamtheit der Perser ist er selbst einbegriffen. Wenn er dann das Opfertier in Stücke zerschnitten und das Fleisch gekocht hat, so streut er das weichste Gras, meistenteils Klee, unter und legt darauf all das (gekochte) Fleisch. Ist dies geschehen, so tritt ein Magier herzu und singt dann das Lied von der Göttererzeugung[1] , wie sie es nennen: denn ohne einen Magier ist es nicht üblich, ein Opfer zu veranstalten. Nach einer nicht langen Zeit trägt der, welcher das Opfer dargebracht hat, das Fleisch weg und verwendet es zu beliebigem Gebrauch.



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133.

Unter allen Tagen feiern sie, der Sitte gemäß, am meisten denjenigen Tag, an welchem ein jeder geboren ist.[2] An diesem Tage halten sie es für angemessen, ein reichlicheres Mahl, als an anderen Tagen aufzutragen; die Reichen unter ihnen lassen einen Ochsen, ein Pferd, ein Kamel und einen Esel auftragen, welche ganz im Ofen gebraten sind; die Armen von ihnen lassen kleineres Vieh[3] auftragen. Sie haben wenig Geringe, aber vielerlei zum Nachtisch, was sie aber nicht auf einmal auftragen. Deswegen sagen auch die Perser, die Hellenen stünden hungrig vom Tische auf, weil nach der Mahlzeit nichts der Rede Wertes ihnen vorgesetzt wird: wenn man ihnen nur etwas vorsetzen würde, so würden sie nicht aufhören zu essen. Dem Weine sind sie sehr ergeben[4] ; in Gegenwart eines anderen auszuspucken oder sein Wasser zu lassen[1] , ist nicht erlaubt, und darauf wird mit aller Strenge gesehen. Wenn sie trunken sind, pflegen sie über die wichtigsten Angelegenheiten sich zu beraten; wofür sie sich bei dieser Beratung entscheiden, das legt ihnen am anderen Tage, wenn sie nüchtern sind, der Herr des Hauses, in welchem sie die Beratung gepflogen, wieder vor; und wenn es ihnen dann, wo sie nüchtern sind, zusagt, nehmen sie es an, andernfalls lassen sie es gehen.[2] Was sie zuerst nüchtern beraten haben, das nehmen sie, wenn sie trunken sind, noch einmal vor.



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134.

Wenn sie einander auf dem Wege begegnen, so kann man bald ersehen, ob die, welche einander begegnen, gleichen Standes sind; statt nämlich einander zu begrüßen, küssen sie sich mit dem Munde; ist nun der eine nur wenig an Stand niedriger; als der andere, so küssen sie sich die Wangen; ist er aber von viel niederer Geburt, so fällt er vor dem anderen nieder[3] und bezeugt ihm auf diese Weise seine Verehrung. Unter allen ehren sie diejenigen, die ihnen zunächst wohnen, nach sich selbst am meisten, dann die, welche weiter wohnen, und so fort nach Verhältnis immer weiter: denen, die von ihnen am entferntesten wohnen, erweisen sie am wenigsten Ehre, weil sie glauben, sie seien bei weitem unter allen Menschen die vorzüglichsten, die übrigen aber hätten nur nach dem angegebenen Verhältnis Anteil an diesen ihren Vorzügen, diejenigen aber, welche am entferntesten von ihnen wohnen, seien die schlechtesten. Zu der Zeit, in welcher die Meder herrschten, herrschte auch ein Volk über das andere, die Meder aber über alle zusammen, sowie über die, welche ihnen zunächst wohnten: diese herrschten dann über ihre Nachbarn, und diese wieder über diejenigen, welche an sie grenzten. Nach demselben Verhältnis erwiesen auch die Perser anderen ihre Achtung; denn (in gleicher Weise, wie die Meder) ist dieses Volk herrschend und gebietend immer weiter vorgeschritten.



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135.

Fremde Gebräuche nehmen die Perser unter allen Völkern am ersten an; sie tragen daher auch die medische Tracht[1] , weil sie glauben, sie sei schöner als die ihrige, und im Kriege die ägyptischen Panzer.[2] Ebenso gehen sie allen möglichen Genüssen nach, von denen sie hören, sogar die Knabenliebe, die sie von den Hellenen gelernt, treiben sie. Ein jeder von ihnen heiratet mehrere ordentliche Weiber, dann aber nehmen sie noch viel mehr Kebsweiber.



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136.

Nach der Tüchtigkeit im Kampfe gilt es für ein Zeichen männlicher Tüchtigkeit, wenn einer viele Kinder aufzuweisen hat; demjenigen, der die meisten aufzuweisen hat, schickt der König alljährlich Geschenke; sie setzen nämlich die Stärke in die Menge. Ihre Kinder erziehen sie, vom fünften Jahre bis zum zwanzigsten, bloß in drei Gegenständen: Reiten, Bogenschießen und die Wahrheit sagen,[3] Bevor der Knabe fünf Jahre alt ist, bekommt er nicht seinen Vater zu sehen, sondern verweilt bei den Weibern. Man thut dies deswegen, damit, wenn der Knabe während der Zeit seiner Erziehung stirbt, es dem Vater keinen Kummer verursache.



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137.

Ich billige nun diese Sitte: ich billige auch die Sitte, daß um eines einzigen Vergehens willen selbst der König niemand umbringen darf, und daß auch von den übrigen Persern niemand einem seiner Sklaven um eines einzigen Vergehens willen ein unheilbares Übel zufügen darf; sondern erst dann, wenn er nach reiflicher Erwägung findet, daß die Vergehungen zahlreicher und bedeutender sind, als die geleisteten Dienste, läßt er seinem Zorn freien Lauf. Nie, behaupten sie, habe ein Perser seinen Vater oder seine Mutter umgebracht, sondern alle die Fälle der Art, welche vorgekommen, seien bei näherer Untersuchung durchaus von solchen ausgegangen, welche entweder untergeschoben oder im Ehebruch erzeugt gewesen: denn sie halten es für etwas Unmögliches, daß der wirkliche Vater durch seinen eigenen Sohn ums Leben komme.



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138.

Was ihnen zu thun nicht erlaubt ist, das ist ihnen auch nicht erlaubt auszusprechen; für die größte Schande aber gilt bei ihnen das Lügen, dann das Schuldenmachen, und zwar aus verschiedenen anderen Ursachen, insbesondere aber deshalb, weil sie behaupten, daß der, welcher Schulden mache, notwendig auch eine Lüge begehe. Wenn einer von den Bürgern den Aussatz oder Ausschlag hat, so kommt er nicht in die Stadt und hat keinen Verkehr mit den übrigen Persern[1] , denn er hat, behaupten sie, dieses Leiden, weil er sich an der Sonne irgendwie versündigt hat. Wird ein Fremder von einem solchen Übel befallen, so treiben sie ihn aus dem Lande hinaus, ebenso auch die weißen[2] Tauben, und zwar aus demselben Grunde. In einen Fluß harnen sie nicht und spucken sie nicht[3] , waschen sich auch die Hände nicht darin und erlauben dies keinem anderen, sondern erweisen den Flüssen die größte Verehrung.



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139.

Auch kommt bei ihnen noch folgendes vor, was die Perser zwar nicht beachten, wir aber wohl. Ihre Namen, welche ihrem Körper und ihrer Würde entsprechen, gehen alle auf denselben Buchstaben aus, welchen die Dorier Sau, die Jonier Sigma nennen. Wer dem nachforschen will, der wird finden, daß die persischen Namen diesen Ausgang haben und zwar nicht bloß die einen und die anderen nicht, sondern alle auf gleiche Weise.[1]



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140.

kann dies mit Bestimmtheit von ihnen angeben, weil ich es weiß. Folgendes jedoch wird über ihre Toten wie ein Geheimnis angegeben und nicht mit Bestimmtheit; es wird nämlich der Leichnam eines Persers nicht eher bestattet, bevor er von einem Vogel oder Hunde zerfleischt ist; ich weiß mit Bestimmtheit, daß die Magier dies thun: denn sie thun es ganz offen. Nun erst überziehen sie den Leichnam mit Wachs und bringen ihn unter die Erde.[2] Es sind aber die Magier sehr verschieden von den übrigen Menschen, wie von den ägyptischen Priestern. Denn diese halten sich rein von dem Morde eines lebendigen Wesens, außer, was sie opfern; die Magier aber töten alles mit eigener Hand, ausgenommen einen Hund und einen Menschen; ja, sie setzen ihre Hauptaufgabe darein, auf gleiche Weise Ameisen und Schlangen und was sonst noch kriecht und fliegt, zu töten. In bezug auf diese Sitte mag es also bleiben, wie es von Anfang an herkömmlich war; ich aber kehre nun zurück zu der früheren Erzählung.[3]




141.-143

Sobald also die Lyder von den Persern unterworfen waren, sandten die Jonier und Äolier Boten gen Sardes zu Cyrus und erklärten ihre Bereitwilligkeit sich unter denselben Bedingungen zu unterwerfen, unter welchen sie auch dem Krösus unterthan waren. Als Cyrus ihre Anträge vernommen, gab er ihnen folgendes Gleichnis und sprach: Ein Pfeifer erblickte Fische in dem Meere, und da er pfiff, glaubte er; es würden die Fische an das Land kommen: als er sich aber in seiner Hoffnung getäuscht sah, nahm er ein Netz und sing dann eine große Menge Fische, die er herauszog. Wie er sie dann zappeln sah, sprach er zu ihnen: "Hört jetzt auf zu tanzen, da ihr ja auch nicht auf mein Pfeifen herauskommen und tanzen wolltet." Cyrus erzählte den Ioniern und Äoliern dieses Gleichnis aus dem Grunde, weil die Jonier früher dem Cyrus, als er sie durch Boten auffordern ließ, von Krösus abzufallen, keine Folge geleistet: dann aber, als die Sache zu Ende geführt war, waren sie bereit, dem Cyrus sich anzuschließen. Also antwortete Cyrus, von Jom ergriffen, den Ioniern. Als dies den Ioniern in ihre Städte gemeldet ward, so versahen sich jegliche mit Mauern und versammelten sich nach Panionium, alle, mit Ausnahme der Milesier; mit diesen allein hatte Cyrus einen Vertrag abgeschlossen auf dieselben Bedingungen, wie der lydische König; die übrigen Jonier beschlossen aber einmütig, Boten nach Sparta zu senden und um Hilfe für die Jonier zu bitten. Diese Jonier; denen auch Panionium[1] gehört, haben unter allen Menschen, die wir kennen, ihre Städte unter dem schönsten Himmelsstriche und dem herrlichsten Wechsel der Jahreszeiten angelegt.[2] Denn weder die Gegenden, welche oberhalb dieses Landstriches liegen, sind Jonien gleich, noch diejenigen, welche unterhalb desselben liegen, weder die, welche gegen Osten, noch die, welche gegen Westen liegen, weil sie teils an Kälte und Feuchtigkeit, teils an Wärme und Trockenheit leiden. Es haben aber die Jonier nicht dieselbe Sprache im Gebrauch, sondern sie sprechen vier verschiedene Mundarten. Unter diesen Städten ist Milet die erste nach Mittag zu, dann kommt Myus und Priëne; diese liegen in Karien und ihre Bewohner reden unter einander dieselbe Sprache. Folgende Städte aber befinden sich Lydien: Ephesus, Kolophon, Lebedos, Teos, Klazomenä, Phokäa: diese Städte reden mit den zuvor genannten keineswegs dieselbe Sprache, unter sich aber reden sie dieselbe. Von den drei noch übrigen Städten der Jonier liegen zwei auf Inseln: Samos und Chios, eine aber, Erythrä, auf dem festen Lande. Die Chier und Erythräer nun reden die gleiche Sprache, die Samier aber eine besondere für sich allein. Dies sind die vier verschiedenen Mundarten.


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143.

Von diesen Ioniern nun waren die Milesier ohne Besorgnis, geschützt durch das Bündnis, das sie gemacht hatten; auch diejenigen, welche Inseln wohnten, hatten miss fürchten, denn die Phönizier waren noch nicht den Persern unterthan, die Perser selbst aber keine Seeleute. Es hatten sich aber diese [in Asien wohnenden] Jonier von den übrigen Ioniern [in Hellas] getrennt aus keinem anderen Grunde, als weil das gesamte Hellenenvolk damals schwach war, bei weitem am schwächsten darunter und am unbedeutendsten aber der ionische Stamm: denn mit Ausnahme von Athen besaß er keine andere Stadt von Bedeutung; die übrigen Jonier nun und die Athener vermieden den Namen und wollten nicht Jonier genannt sein: selbst jetzt noch schämen sich, wie es mir scheint, die meisten dieses Namens; aber jene zwölf Städte waren stets stolz auf diesen Namen und hatten auch für sich ein Heiligtum gegründet, dem sie den Namen Panionium gaben; und es sollten auch nach ihren Beschlüssen keine anderen Jonier daran Anteil haben: es hatten aber auch keine um Teilnahme gebeten, außer die Smyrnäer.




144.-148

Gerade so sehen auch die Dorier aus der Landschaft, welche jetzt Pentapolis [Fünfsadt] heißt und früher Hexapolis [Sechsstadt] hieß, darauf, daß sie keine von den anwohnenden Doriern zu dem triopischen Heiligtum[1] zulassen, ja sie haben sogar diejenigen von ihnen selbst, welche an dem Heiligtume sich vergangen hatten, von der Teilnahme ausgeschlossen. In dem Kampfspiele des triopischen Apollo nämlich hatten sie vor alters eherne Dreifüße den Siegern ausgesetzt: es durften aber diejenigen, welche dieselben empfingen, sie nicht aus dem Tempel heraustragen, sondern sie mußten sie daselbst dem Gotte weihen. Dieses Gesetz nun übertrat ein Mann aus Halikarnassos, mit Namen Agasikles, als er Sieger geworden: er brachte den Dreifuß in sein eigenes Haus und hing ihn daselbst an der Wand auf. Aus dieser Ursache schlossen die fünf Städte: Lindos, Jalyssos, Kamiros 2 , Kos und Knidos die sechste Stadt Halikarnassos von der Teilnahme aus, und legten ihren Bewohnern diese Strafe auf.


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145.

Es haben aber, wie ich glaube, die Jonier zwölf Städte gegründet und nicht mehrere aufnehmen wollen aus dem Grunde, weil sie, als sie im Peloponnes wohnten, ebenfalls aus zwölf Teilen bestanden, ebenso wie auch die Achäer, von welchen die Jonier vertrieben wurden, jetzt zwölf Teile bilden: zuerst Pellene in der Richtung gen Sikyon, dann Ägira und Ägä, wo der unversiegbare Fluß Krathis sich befindet, nach welchem auch der Fluß in Italien seinen Namen erhalten hat, Bura und Helike, in welches die Jonier flohen, als sie im Kampfe von den Achäern besiegt worden waren, Ägion, Rhypes, Patreis, Pharä, Olenos, wo der große Fluß Peiros sich befindet, Dyme, Tritäa, deren Bewohner allein im Binnenlande wohnen.



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146.

Dies sind die zwölf Teile der Achäer, wie sie damals auch die Jonier hatten; deswegen haben auch die Jonier zwölf Städte gegründet; denn zu behaupten, daß diese (asiatischen Jonier) viel mehr Jonier seien, als die übrigen, und daß sie von edlerer Abkunft wären, würde eine große Thorheit sein, da unter ihnen nicht der geringste Teil Abantier sind aus Euböa, welche mit Jonien gar nichts, nicht einmal den Namen gemein haben; desgleichen sind ihnen beigemischt Minyer von Orchomenos, Kadmeer, Dryoper, eine Abteilung Phoker, Molosser, pelasgische Arkadier und Dorier von Epidaurus, sowie viele andere Völker, die sich ihnen zugesellten. Von diesen nun brachten diejenigen, welche von dem Prytaneum der Athener ausgezogen waren und sich für die edelsten unter den Ioniern ihrer Abkunft nach halten, keine Weiber in die Niederlassung mit, sondern nahmen karische Weiber, deren Eltern sie getötet hatten. Um dieses Mordes willen machten diese Weiber unter sich das Gesetz und legten sich selbst einen Schwur auf, den sie auch auf ihre Töchter fortpflanzten, nie mit ihren Männern zusammen zu essen, nie mit dem Namen ihren Mann zu nennen. aus dem Grunde, weil sie ihre Väter. Männer und Söhne ermordeten und nach einer solchen That doch mit ihnen zusammen lebten. Das geschah zu Miletus.



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147.

Zu Königen aber bestellten sie einesteils Lykier, Nachkommen des Glaukus[1] , des Sohnes des Hippolochus, andernteils pylische Kaukonen, die von Kodrus, dem Sohne des Melanthus, abstammten, andere nahmen sie auch aus beiden Geschlechtern: denn sie (die Jonier in Asien hängen mehr als die übrigen Jonier an diesem Namen; sie mögen auch Jonier von reiner Abkunft sein; indessen sind doch alle diejenigen als Jonier zu betrachten, welche von Athen stammen und das Fest der Apaturien[2] begehen: es begehen aber alle dieses Fest, mit Ausnahme der Ephesier und Kolophonier, welche allein unter den Ioniern keine Apaturien feiern, indem sie einen Mord vorschützen.



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148.

Das Panionium ist eine heilige Stätte auf Mykale, nach Norden gelegen und gemeinsam von den Ioniern für den helikonischen Poseidon[1] gestiftet; Mykale aber ist ein Vorgebirge des festen Landes, welches in westlicher Richtung nach Samos hin sich erstreckt[2] : dorthin versammeln sich die Jonier aus ihren Städten und begehen ein Fest, dem sie den Namen Panionia[3] gegeben. Nicht bloß bei diesem ionischen Feste, sondern auch bei allen helle nischen Festen findet es sich auf gleiche Weise, daß sie alle auf denselben Buchstaben ausgehen, wie die persischen Namen.[4] Dieses nun sind die Städte der Jonier.




149.-162

Folgendes sind die äolischen Städte: Kyme, die Sogenannte Phrikonis, Larissä, Neonteichos, Temnos, Killa, Notium, Ägiroessa, Pitane, Agäa, Myrina, Grinea: dies sind die elf Städte der Äolier: eine nämlich dieser (zwölf) Städte ward von den Ioniern ihnen entrissen, Smyrna; und diese zwölf lagen sämtlich auf dem festen Lande. Diese Äolier hatten sich in einem noch besseren Lande als die Jonier niedergelassen, nur in bezug auf die Jahreszeiten steht es jenem nicht gleich.


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150.

Smyrna aber verloren die Äolier auf folgende Weise: In Smyrna waren einige Kolophonier, die in einem Aufstande unterlagen und aus dem Vaterlande vertrieben waren, aufgenommen worden. Nachher aber nahmen diese kolophonischen Flüchtlinge die Zeit wahr, wo die Smyrnäer außerhalb der Stadt dem Dionysos ein Fest feierten, verschlossen die Thore und nahmen Besitz von der Stadt. Als darauf alle Äolier zur Hilfe der Smyrnäer herbeieilten, kam es zu einem Vergleich, wonach die Jonier das Hausgerät herausgeben, die Äolier aber Smyrna verlassen sollten. Als die Smyrnäer dies thaten, so verteilten die elf Städte sie unter sich und machten sie zu ihren Bürgern.



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151.

Dieses nun sind die Städte der Äolier auf dem festen Lande, außer den an dem Berge Ida liegenden: denn diese sind getrennt für sich. Von denen, welche auf den Inseln liegen, sind fünf auf Lesbos; denn die sechste, die auf Lesbos lag, Arisba, brachten die Methymnäer in Sklaverei, obwohl es ihre Blutsverwandte waren: noch eine Stadt liegt auf Tenedos und eine andere auf den sogenannten Hekaton Nesoi [Hundertinseln[1] ]. Die Bewohner von Lesbos und Tenedos, sowie diejenigen Jonier, welche auf den Inseln wohnten, hatten nun nichts zu befürchten: die übrigen Städte beschlossen gemeinsam den Ioniern zu folgen, wohin nur immer diese sie führen würden.



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152.

Als aber die Boten der Jonier und Äolier nach Sparta gekommen waren — denn es wurde dies mit aller Schnelligkeit betrieben — wählten sie zu ihrem Sprecher vor allen den Boten aus Phokäa, dessen Name Pythermos war. Dieser legte ein purpurnes Gewand[2] an, damit die Spartaner, wenn sie es hörten, recht zahlreich zusammenkommen möchten und trat vor ihnen mit einer langen Rede auf, in der er sie bat, ihnen Hilfe zu leisten. Die Lakedämonier wollten jedoch davon nichts hören, sondern beschlossen, den Ioniern keinen Beistand zu leisten. So entfernten sich die Boten: die Lakedämonier aber, nachdem sie die Boten der Jonier abgewiesen hatten, sandten dennoch auf einem Fünfzigruderer Männer ab, die, wie es scheint, Kundschaft einziehen sollten über die Lage des Cyrus, wie über die Lage von Jonien. Diese kamen auch nach Phokäa und entsandten nach Sardes den Angesehensten unter ihnen, mit Namen Lakrines, auf daß er dem Cyrus verkünde den Spruch der Lakedämonier, an keiner Stadt im Lande Hellas sich zu vergreifen, indem sie es nicht zugeben würden.



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153.

Als der Herold dieses gesprochen hatte, soll Cyrus die um ihn befindlichen Hellenen gefragt haben, was für Leute denn die Lakedämonier wären und wie zahlreich, daß sie an ihn ein solches Gebot ergehen ließen; und als er es erfahren, soll er zu dem Herolde der Spartaner gesagt haben: Ich habe noch nie mich vor solchen Männern gefürchtet, welche einen Platz mitten in der Stadt abgesteckt haben, wo sie sich versammeln und einander durch Schwüre betrügen; bleibe ich gesund, so werden sie nicht mehr von den Leiden der Jonier unter einander zu reden haben, sondern von ihren eigenen." Cyrus dachte, als er diese Worte hinwarf, an alle Hellenen, weil sie Märkte haben, wo sie Kauf und Verkauf treiben. Denn die Perser selbst sind nicht gewöhnt, Marktgeschäfte zu treiben und haben überhaupt gar keinen Markt. Nach diesem Vorfall übergab Cyrus dem Tabalus, einem Perser, die Stadt Sardes, das Gold aber, das des Krösus wie das der übrigen Lyder, sollte Paktyes, ein Lyder, abführen; er selbst zog fort nach Aghatana und nahm den Krösus mit sich, da er die Jonier nicht für so bedeutend hielt, um mit ihnen zuerst anzufangen. Denn es stand ihm Babylon im Wege, sowie das Volk der Baktrer, Saken und Ägyptier, gegen welche er selbst zu Felde zu ziehen gedachte; gegen die Jonier wollte er einen andern Feldherrn senden.




154.

Als aber Cyrus von Sardes abgezogen war, bewog Paktyes die Lyder zum Abfall von Tabalus und Cyrus: er begab sich an das Meer, warb mit all dem Golde von Sardes, das er hatte, Hilfsvölker und suchte auch die am Meere Wohnenden zu bereden, mit ihm zu Felde zu ziehen: so zog er denn gegen Sardes und begann den in der Burg eingeschlossenen Tabalus zu belagern.


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155.

Als Cyrus dies auf dem Wege erfuhr, sprach er zu Krösus folgendes: "Krösus, was für ein Ende werden denn diese Dinge für mich nehmen? Die Lyder, wie es scheint, wollen nicht aufhören, mir und sich selbst schaffen zu machen. Ich denke, es wird am besten sein, sie zu Sklaven zu machen: denn es scheint mir, daß ich jetzt nicht anders gehandelt habe, wie einer, der den Vater tötet, aber seiner Kinder schont. So habe ich dich, der du doch noch etwas mehr als ein Vater der Lyder bist, weggenommen und fähre dich mit mir; den Lydern selbst aber habe ich die Stadt gelassen: wie kann ich mich wundern, wenn sie von mir abfallen." Cyrus sprach damit aus, was er wirklich dachte; Krösus aber voll Furcht, er möge Sardes ganz zerstören, erwiderte darauf folgendes: "O König, was du gesprochen, ist ganz richtig: gib dich jedoch nicht in allem dem Zorne hin und zerstöre nicht eine alte Stadt, die ohne Schuld ist sowohl an dem, was früher vorgefallen, als an dem, was jetzt geschehen ist. Denn das, was früher geschehen, habe ich gethan und büße dafür mit meinem Haupte, was aber jetzt geschehen, das hat Paktyes verschuldet, dem du Sardes anvertraut hast. Dieser soll demnach dafür Strafe leiden; den Lydern aber verzeihe und lege ihnen, damit sie weder abfallen noch irgendwie von dir zu fürchten sind, folgendes auf. Sende zu ihnen und laß ihnen den Besitz kriegerischer Waffen untersagen, gebiete ihnen, Leibröcke unter den Mänteln zu tragen und hohe Schuhe anzulegen; befiehl ihnen weiter, ihre Knaben im Cithern und Harfenspiel, sowie in der Krämerei zu unterrichten. Da wirst du setzen, o König, wie sie alsbald Weiber aus Männern geworden sind, und dann hast du nicht mehr von ihnen einen Abfall zu befürchten."



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156.

Diesen Rat gab ihm Krösus aus dem Grunde, weil er fand, daß dies doch für die Lyder immer noch besser sei, als zu Sklaven gemacht und verkauft zu werden; auch wußte er wohl, daß er, wenn er nicht einen hinreichenden Grund vorbrachte, den Cyrus nicht zu einer Sinnesänderung bewegen würde; endlich befürchtete er; es möchten die Lyder, wenn sie auch der gegenwärtigen Gefahr entgangen wären, später wieder von den Persern abfallen und dann zu grunde gehen. Cyrus war über diesen Rat erfreut; er ließ von seinem Zorne ab und versprach ihm zu folgen. Darauf ließ er den Mazares, einen Meder, zu sich rufen und trug ihm auf, den Lydern das anzubefehlen, was Krösus ihm geraten; alle anderen aber, welche mit den Lydern gegen Sardes gezogen, solle er zu Sklaven machen, den Paktyes selbst aber auf jede Weise lebendig zu ihm bringen.



***
15 7.

Nachdem Cyrus diese Aufträge vom Wege aus erteilt hatte, setzte er seinen Weg ins Perserland fort; Paktyes aber, als er vernahm, daß ein Heer, das gegen ihn heranziehe, nahe sei, ergriff aus Furcht eilends die Flucht nach Kyme. Mazares aber, der Meder, zog gegen Sardes mit einer Abteilung von dem Heere des Cyrus, so groß sie auch sein mochte, und als er den Paktyes mit seinen Scharen nicht mehr bei Sardes fand, so nötigte er zuerst die Lyder, die Austrage des Cyrus zu vollziehen; also änderten nach dem Gebote desselben die Lyder ihre ganze Lebensweise. Mazares schickte hernach Boten nach Kyme und verlangte die Auslieferung des Paktyes. Die Kymäer aber beschlossen hinsichtlich des von ihnen zu ergreifenden Entschlusses an den Gott zu den Branchiden[1] sich zu wenden: denn es war dort von alters her ein Orakel gegründet, welches alle Jonier und Äolier zu befragen gewöhnt waren: es liegt dieser Ort im Gebiete von Milet über dem Hafen Panormus.



***
158.

Es sandten nun die Kymäer zu den Branchiden Abgeordnete und ließen über Paktyes fragen, was sie wohl thun sollten, um den Göttern sich gefällig zu erweisen. Auf diese Anfrage wurde ihnen das Orakel zu teil, sie sollten den Paktyes den Persern ausliefern. Wie die Kymäer diese Antwort vernahmen, waren sie zur Auslieferung geneigt. Und als die Menge daran gehen wollte, hielt Aristodikus, des Heraklides Sohn, einer der angesehenen Bürger, die Kymäer von dieser Handlung ab, da er dem Orakelspruch nicht traute und der Meinung war, die Abgeordneten hätten nicht wahr berichtet: bis endlich, um hinsichtlich des Paktyes noch einmal anzufragen, andere Gesandte sich auf den Weg machten, unter welchen auch Aristodikus sich befand.



***
159.

Als sie zu den Branchiden gekommen waren, trat aus ihrer Mitte Aristodikus hervor mit folgender Anfrage an das Orakel: "O König! Paktyes, der Lyder, ist um Schutz flehend zu uns gekommen, um einem gewaltsamen Tode von seiten der Perser zu entrinnen; diese verlangen ihn und fordern die Kymäer auf, ihn herauszugeben; wir aber, obwohl wir uns vor der Macht der Perser fürchten, haben es bis jetzt nicht gewagt, den Schutzflehenden auszuliefern, bevor es uns von dir bestimmt angegeben ist, was wir thun sollen." So lautete die Anfrage; der Gott aber verkündete ihnen wieder dasselbe Orakel, indem er die Auslieferung des Paktyes an die Perser befahl. Darauf that Aristodikus vorsätzlich folgendes. Er ging rings um den Tempel herum und nahm die Sperlinge und alle anderen Arten von Vögeln, die in dem Tempel sich eingenistet hatten, heraus. Während er aber dies that, kam, wie man sagt, eine Stimme aus dem Heiligtum, die sich an den Aristodikus mit folgenden Worten wandte: "Du Gottlosester unter den Menschen, was unterfängst du dich, dieses zu thun ? Meine Schützlinge raubst du aus meinem Tempel!" Aristodikus aber, ohne in Verlegenheit zu geraten, erwiderte darauf: "O König, du selbst stehst auf diese Weise deinen Schützlingen hilfreich bei: den Kymäern aber gebietest du, ihren Schützling auszuliefern!" Darauf habe der Gott hinwiederum folgendes geantwortet: "Ja, ich befehle es euch, damit ihr um eures Frevels willen desto schneller zu grunde geht und fürderhin nicht mehr an das Orakel euch wegen der Auslieferung eines Schützlings wendet."



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160.

Als die Kymäer diese Antwort vernahmen, so schickten sie den Paktyes nach Mytilene fort, weil sie nicht Lust hatten, zu grunde zu gehen, wenn sie ihn nicht auslieferten, noch einer Belagerung sich auszusetzen, wenn sie ihn bei sich behielten. Die Mytilenäer aber, zu welchen Mazares Boten sandte, welche die Auslieferung des Paktyes verlangten, waren dazu um einen beliebigen Lohn bereit: denn genau kann ich es nicht angeben, da die Sache gar nicht zu Ende kam. Als nämlich die Kymäer erfuhren, was von den Mytilenäern beabsichtigt ward, schickten sie ein Fahrzeug nach Lesbos und ließen den Paktyes nach Chios bringen. Von dort aber ward er aus dem Tempel der Athene Poliuchos[1] von den Chiern mit Gewalt weggebracht und ausgeliefert. Die Auslieferung geschah aber von den Chiern um den Preis des Gebietes von Atarneus[2] : es ist dies ein Ort in Mysien, gegenüber von Lesbos. So empfingen die Perser den Paktyes und hielten ihn in Gewahrsam, weil sie ihn vor den Cyrus bringen wollten. Es ist aber eine geraume Zeit verstrichen, da kein Chier aus dem atarnischen Gebiete Gerstenkörner entnahm, die er für irgend einen Gott streute[3] . , oder Opferkuchen bereitete aus der daselbst gewachsenen Frucht, sondern man enthielt sich bei allen Opfern alles dessen, was aus dieser Gegend kam.



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161.

Also lieferten die Chier den Paktyes aus. Mazares aber zog hernach wider die zu Felde, welche an der Belagerung des Tabalus teilgenommen hatten. Von diesen machte er zuerst die Prieneer zu Sklaven, dann durchzog er verheerend die ganze Ebene des Mäander und überließ die Beute seinem Heere: ebenso machte er es mit Magnesia. Bald darauf aber ward er krank und starb.




162.-167

Nach dessen Tode kam Harpagus als Nachfolger zur Führung des Heeres; er war von Geburt selbst ein Meder, welchen Astyages mit dem gottlosen Mahle bewirtet hatte, derselbe, der auch dem Cyrus zum Königtum verholfen hatte.[1] Dieser ward damals von Cyrus zum Feldherrn ernannt und suchte, als er nach Jonien gekommen war, die Städte durch Erdwälle einzunehmen; sowie er innerhalb der Mauern die Bewohner eingeschlossen hatte, ließ er Erdwälle gegen die Mauern aufführen und begann die Belagerung. Zuerst in Jonien griff er Phokäa an.


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163.

Diese Phokäer waren die ersten unter den Hellenen, welche weite Schiffahrten gemacht haben: sie sind es, welche Adria[2] , Tyrrhemen, Iberien und Tartessus entdeckt haben; auch führten sie diese Seefahrten nicht mit runden[3] Schiffen aus, sondern mit Fünfzigruderern. Als sie nach Tartessus gekommen waren, wurden sie bei dem Könige der Tartessier, dessen Name Arganthonius[4] war beliebt: dieser herrschte über Tartessus achtzig Jahre und lebte in allem hundertundzwanzig. Bei diesem Manne wurden die Phokäer so beliebt, daß er sie anfangs aufforderte, Jonien zu verlassen und in seinem Lande da, wo sie wollten, zu wohnen; nachher aber, als er die Phokäer dazu nicht bewegen konnte, aber durch sie von dem Wachstum des Meders[1] erfuhr, gab er ihnen Mittel, um ihre Stadt mit einer Mauer ringsherum zu versehen: er gab ihnen reichlich, denn der Umfang der Mauer beträgt nicht wenige Stadien, und dieselbe besteht ganz und gar aus großen, wohl zusammengefügten Quadern.



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164.

Auf eine solche Weise kam die Mauer der Phokäer zu stande. Harpagus aber rückte heran und begann die Belagerung, wobei er ihnen erklärte, er würde zufrieden sein, wenn die Phokäer nur eine einzige Brustwehr der Mauer niederreißen und ein Gebäude (dem Könige) heiligen wollten. Die Phokäer, welche der Sklaverei durchaus abgeneigt waren, verlangten nur einen Tag Frist, um sich die Sache zu überlegen, dann wollten sie ihm antworten; während der Zeit ihrer Beratung aber sollte er sein Heer von der Mauer wegführen. Darauf erklärte Harpagus, er wisse wohl, was sie zu thun gedächten, aber dessenungeachtet wolle er ihnen gestatten, sich mit einander zu beraten. Während der Zeit nun, in welcher Harpagus sein Heer von der Mauer weggeführt hatte, zogen die Phokäer ihre Fünfzigruderer ins Wasser, brachten ihre Kinder, Weiber und alle Gerätschaften an Bord der Schiffe, außerdem auch die Götterbilder aus den Tempeln und alle Weihgeschenke, ausgenommen, was Erz oder Stein oder Malerei[2] war: alles übrige brachten sie in die Schiffe; stiegen dann selbst hinein und segelten ab in der Richtung nach Chios: das von Menschen verlassene Phokäa nahmen dann die Perser in Besitz.



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165.

Als aber die Chier den Phokäern die sogenannten Önussischen[3] Inseln käuflich nicht überlassen wollten, aus Furcht, es möchte daselbst ein Handelsplatz entstehen, und ihre eigene Insel dann vom Handel ausgeschlossen werden, so machten sich darauf die Phokäer auf den Weg nach Cyrnus.[1] Denn auf Cyrnus hatten sie zwanzig Jahre zuvor infolge eines Götterspruches eine Stadt aufgebaut, deren Namen war Alalia. Arganthonius war damals bereits gestorben. Auf dieser Fahrt nach Cyrnus schifften sie zuerst noch einmal nach Phokäa zurück und machten die persische Besatzung nieder, welcher von Harpagus die Bewachung der Stadt übergeben war. Hernach, als sie dieses ausgeführt hatten, legten sie gewaltige Schwüre auf denjenigen von ihnen, der von dem Zuge zurückbleiben würde, versenkten überdem einen Klumpen von Eisen[2] und verschwuren sich, nicht eher nach Phokäa zurückzukehren, als bis dieser Eisenklumpen wieder zum Vorschein gekommen wäre. Als sie nun von da nach Cyrnus weiter schiffen wollten, erfaßte über die Hälfte der Bürger ein Verlangen und ein Jammer nach ihrer Stadt und ihren Wohnsitzen, so daß sie des Eidschwures nicht achteten und zurück nach Phokäa schifften; der andere Teil von ihnen aber hielt seinen Eid und schiffte von den Önussen dann weiter fort.



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166.

Als sie nach Cyrnus gekommen waren, wohnten sie gemeinsam mit den früher dort Angekommenen fünf Jahre lang und bauten Tempel auf. Weil sie aber fortwährend alle, die um sie herum wohnten, mit Raub und Plünderung heimsuchten, so zogen, infolge einer gemeinsamen Übereinkunft, die Tyrrhener und Karthager gegen sie aus, jedes Volk mit sechzig Schiffen. Die Phokäer bemannten ihrerseits auch ihre Schiffe, deren es sechzig an Zahl waren, und eilten ihnen entgegen in das sogenannte Sardonische[3] Meer, wo es zu einer Seeschlacht kam, in welcher den Phokäern ein kadmeischer[1] Sieg zu teil ward. Denn vierzig ihrer Schiffe wurden zu grunde gerichtet und die zwanzig noch erhaltenen waren unbrauchbar, weil sie ihre Schnäbel verloren hatten. So schifften sie nach Alalia zurück, nahmen Kinder und Weiber und alles andere Besitztum, das die Schiffe zu fassen im stande waren, an Bord, verließen dann Cyrnus und steuerten gen Rhegium.



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167.

Von der Mannschaft der zu grunde gegangenen Schiffe hatten die Karthager und Tyrrhener bei weitem den größeren Teil in ihre Gewalt bekommen, den sie dann abführten und steinigten. Hernach aber ward den Agylläern[2] alles, was an dieser Stelle, wo die gesteinigten Phokäer lagen, vorbeiging, verrenkt, verstümmelt und vom Schlage getroffen, auf gleiche Weise Kleinvieh, Jugvieh und Menschen. Da sendeten die Agylläer nach Delphi, weil sie die Sünde wieder gut machen wollten. Die Pythia gebot ihnen darauf das zu thun, was die Agylläer auch noch jetzt vollziehen: sie bringen nämlich den Phokäern große Totenopfer und feiern Turnspiele wie Wettkämpfe zu Roß. Dieser Teil der Phokäer erlitt also einen solchen Tod. Die- jenigen aber von ihnen, welche nach Rhegium geflohen waren, machten sich von da wieder auf und gründeten in dem önotrischen Lande die Stadt, welche jetzt Hyele[3] heißt; sie gründeten aber diese Stadt, nachdem sie von einem Manne aus Posidonia[4] erfahren hatten, daß die Pythia in ihrem Spruche, Cyrnus zu gründen, nicht die Insel, sondern den dortigen Heros gemeint habe. Also verhielt es sich mit der Stadt Phokäa in Jonien.




168.

Ebenso wie diese machten es auch die Teier.[1] Als nämlich Harpagus durch einen Erdwall[2] ihre Mauer in seine Gewalt bekommen, stiegen sie alle in ihre Schiffe und segelten in der Richtung nach Thrakien ab, wo sie die Stadt Abdera gründeten, welche zwar vor ihnen schon Timesius aus Klazomenä gegründet hatte, ohne jedoch davon einen Nutzen zu gewinnen: denn er ward von den Thrakiern vertrieben und wird jetzt von den Teiern, die zu Abdera wohnen, wie ein Heros verehrt.



169.

Diese waren die einzigen unter den Ioniern, welche, weil sie die Knechtschaft nicht ertragen wollten, ihr Vaterland verließen. Die übrigen Jonier, mit Ausnahme der Milesier, gerieten gleich denen, welche ihr Vaterland verlassen hatten, in Kampf mit Harpagus und zeigten sich, da jeder sein Vaterland stritt, als tapfere Männer: aber sie wurden besiegt und gefangen, blieben jedoch in ihrem Lande und leisteten, was ihnen auferlegt ward von den Persern. Die Milesier, wie ich es schon früher bemerkt habe, hatten mit dem Cyrus einen Bund geschlossen und blieben in Ruhe. So kam Jonien zum zweiten Male in Knechtschaft. Die auf den Inseln wohnenden Jonier ergaben sich, nachdem Harpagus die auf dem Festlande befindlichen unterworfen hatte, aus Furcht vor dem Cyrus.



170.

Die Jonier versammelten sich in dieser Bedrängnis nichtsdestoweniger nach Panionium[3] wo, wie ich höre, Bias[4] aus Priene den Ioniern einen höchst nützlichen Rat gab, dem sie nur hätten folgen sollen: sie wären dann die glücklichsten unter den Hellenen geworden. Er meinte nämlich, es sollten die Jonier gemeinsam sich aufgiebt machen und nach Sardo[1] schiffen, dann auf dieser Insel einen einzigen Staat aller Jonier gründen: sie würden so aller Knechtschaft entgehen und im Besitze der größten Insel glücklich leben und über andere herrschen; würden sie aber in Jonien bleiben, so sähe er nicht ein, wie sie noch frei bleiben würden. Das war der Rat, den Vias aus Priene den Ioniern erteilte, als sie bereits ins Unglück geraten waren. Nützlich war auch der Rat des Thales von Meilet, bevor Jonien unterjocht war. Dieser, der ursprünglich von phönizischer Abkunft war, riet ihnen, einen gemeinsamen Rat zu bestellen und zwar zu Teos, denn Teos sei in der Mitte von Jonien: die übrigen von ihnen bewohnten Städte sollten darum nicht weniger ihre Einrichtungen beibehalten, wie wenn sie besondere Gemeinden[2] wären. Solche Vorschläge also hatten beide den Ioniern gemacht.



171.

Nach der Unterwerfung Joniens begann Harpagus einen Feldzug wider die Karer, Kaunier und Lykier, wobei er Jonier und Äolier in seinem Heere führte. Von diesen Völkern sind die Karier aus den Inseln auf das Festland Asien gekommen. Denn vor alters waren sie dem Minos unterthan und hatten unter dem Namen Leleger die Inseln inne, ohne jedoch, soweit ich es habe rückwärts in Erfahrung bringen können, einen Tribut zu entrichten: so oft es jedoch Minos verlangte, stellten sie Mannschaft für seine Schiffe. Da nun Minos sich vieles Land unterworfen hatte, und im Kriege glücklich war, stand das karische Volk unter allen Völkern zu jener Zeit bei weitem am meisten in Ansehen. Auch kommen ihnen drei Erfindungen zu, von welchen die Hellenen Gebrauch gemacht haben: die Karer nämlich sind es, welche eingeführt haben, Federbüsche auf die Helme zu setzen und Abzeichen auf die Schilde zu machen; ebenso sind sie die ersten, welche Handhaben an die Schilde gemacht haben; bis dahin trugen alle, welche gewohnt waren, einen Schild zu führen, die Schilde ohne Handhaben, indem sie dieselben durch lederne Riemen, die sie um den Hals und die linke Schulter hängen hatten, leiteten. Nachher aber, in weit späterer Zeit, wurden die Karer von den Doriern und Ioniern aus den Inseln vertrieben und gelangten auf diese Weise nach dem Festlande. So nämlich, behaupten die Kreter, sei es den Karern gegangen; die Karer selbst stimmen jedoch damit keineswegs überein: sie glauben vielmehr, sie seien ureingeborene Bewohner des Festlandes und hätten stets denselben Namen gehabt, den sie auch jetzt haben; sie führen auch ein altes Heiligtum des karischen Zeug im Gebiete der Mylaser an, an welchem Myser und Lyder, als Brüder der Karer, Anteil haben; Lydus nämlich und Mysus, behaupten sie, wären Brüder des Kar gewesen. Diese also haben Anteil daran; alle diejenigen aber, welche von einem andern Volke sind, aber eine gleiche Sprache mit den Karern reden, haben keinen Anteil.



172.

Die Kaunier dagegen sind nach meiner Meinung Ureinwohner; sie selbst jedoch behaupten aus Kreta zu stammen. In ihrer Mundart kommen sie dem karischen Volke nahe oder umgekehrt die Karer dem kaunischen Stamme; denn dieses kann ich nicht bestimmt entscheiden; dagegen weichen sie in ihren Sitten sehr von den übrigen Menschen wie von den Karern ab; denn es gilt bei ihnen ganz anständig, nach Alter und Freundschaft zu Trinkgelagen haufenweise zusammenzukommen, und zwar Männer sowohl wie Frauen und Kinder. Es waren bei ihnen Tempel ausländischer Götter errichtet worden: nachher aber gefiel ihnen das nicht mehr, indem sie bloß ihren vaterländischen Göttern dienen wollten: da griff die ganze junge Mannschaft der Kaunier zu den Waffen, schlug mit den Schilden in die Luft und setzte dies fort bis zu den Kalyndischen Gebirgen, wobei sie erklärten, sie trieben die fremden / Götter hinaus. Solche Gebräuche haben diese Kaunier.



173.

Die Lykier stammen von alters her aus Kreta; denn ganz Kreta hatte in alter Zeit barbarische Völker inne. Als aber Sarpedon und Minos, die Söhne der Europa, in Kreta über die Herrschaft entzweit waren und Minos mit seinem Anhange den Sieg davontrug, vertrieb er den Sarpedon selbst und dessen An hänger; diese, aus der Heimat verstoßen, kamen dann nach dem Lande Milyas in Asien: denn das Land, welches jetzt die Lykier besitzen, war vor alters Milyas; die Milyer wurden dazumal Solymer[1] genannt; so lange nun Sarpedon über sie herrschte, wurden die Lykier mit dem Namen genannt, den sie mitgebracht hatten, und werden auch noch jetzt von den Ureinwohnern Termiten[2] genannt. Als aber aus Athen Lykus, des Pandion Sohn, der ebenfalls von seinem Bruder Ägeus vertrieben worden war, in das Land der Termilen zu Sarpedon kam, wurden sie nach dem Namen des Lykus im Laufe der Zeit Lykier genannt. Ihre Sitten sind teils kretisch, teils karisch: nur die Eigentümlichkeit haben sie in ihren Sitten, und darin stimmen sie mit keinem Volke auf der Welt überein, daß sie sich nach ihren Müttern benennen und nicht nach den Vätern.[3] Wenn daher einer den Nächsten fragt, wer er sei, so würde er seinen mütterlichen Namen nennen und die Mütter seiner Mutter angeben. Und wenn eine Bürgerin einen Sklaven ehelicht, so sind die Kinder für ebenbürtig angesehen; ist aber der Mann ein Bürger, und wäre er auch der erste unter ihnen, so gelten die Kinder, wenn er ein fremdes Weib oder eine Sklavin nimmt, für unehelich.



174.-176

Die Karer nun wurden, ohne daß sie irgend eine glänzende That vollbrachten, von Harpagus unterjocht; und weder die Karer, noch alle Hellenen, welche in diesem Lande wohnen, haben sich so tapfer gehalten; es wohnen nämlich auch andere daselbst, und zwar Knidier, Kolonisten von Lakedämon, deren Land nach dem Meere zu liegt und Triopium[4] genannt wird; es fängt aber das Gebiet der Knidier bei der Bubassischen Landzunge an und ist, mit Ausnahme einer kleinen Strecke, ganz vom Meere umflossen; denn den gegen Norden liegenden Teil schließt der Keramische Meerbusen ab, den südlichen das Meer beide und Rhodus; diese kleine Strecke nun, die etwa fünf Stadien beträgt, suchten die Knidier, während Harpagus mit der Unterwerfung von Jonien beschäftigt war, zu durchgraben, indem sie ihr Land zur Insel machen wollten; da nämlich, wo das Gebiet von Knidus nach dem Festlande zu aufhört, befindet sich die Landenge, welche sie abzugraben suchten. Als die Knidier nun auch mit allen Kräften daran arbeiteten, fühlten sich in auffallender Weise, wie durch göttliche Fügung, die Arbeiter an allen Teilen ihres Körpers verwundet, zumal an den Augen, bei dem Sprengen des Felsens: da sandten sie Abgeordnete gen Delphi, um zu befragen, was denn ihnen entgegen sei. Die Pythia erteilte ihnen darauf, wie die Knidier selbst angeben, folgenden Spruch in sechsfüßigen Versen:

Setzet nicht Thurm' an die Enge, noch ziehet hindurch einen Graben,
Hätte dies Zeug gewollt, er hätt' eine Insel geschaffen.

Auf diesen Spruch der Pythia hin standen die Knidier von dem Graben ab und übergaben sich selbst ohne Schwertstreich dem Harpagus, als er mit seinem Heere anrückte.


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175.

Oberhalb Halikarnassos, im Binnenlande, wohnen die Pedaleer: so oft sie, wie ihre Nachbarn, ein Mißgeschick treffen soll, bekommt die Priesterin der Athene einen großen Bart. Dies ist bei ihnen dreimal vorgekommen. Diese waren die einzigen in ganz Karien, welche dem Harpagus eine Zeitlang Widerstand leisteten und sehr viele Mühe machten, da sie um einen Berg, welcher den Namen Lyde hat, eine Mauer gezogen hatten. Indessen mit der Zeit wurden auch die Pedaseer überwältigt.



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176.

Die Lykier aber zogen dem Harpagus, als er sein Heer in die Xanthische Ebene geführt hatte, aus der Stadt [Xanthus[1] ] entgegen und hielten sich, obwohl ihrer wenige gegen viele stritten, im Kampfe recht tapfer: als sie dann überwunden in die Stadt zurückgedrängt waren, brachten sie ihre Weiber und Kinder, ihre Habe und ihre Sklaven in die Burg zusammen, und legten dann Feuer an, so daß die ganze Burg von den Flammen verzehrt war; nachdem sie dies vollbracht und durch fürchterliche Eidschwure sich gegenseitig verschworen hatten, machten sie einen Ausfall wider die Perser und kamen alle im Kampfe um. Von den jetzigen Lykiern nun, welche vorgeben, Xanthier zu sein, ist die Mehrzahl, mit Ausnahme von achtzig Familien, eingewandert; jene achtzig Familien befanden sich damals gerade außerhalb der Stadt und wurden auf diese Weise erhalten. So kam Harpagus in den Besitz von Xanthus: auf ähnliche Weise auch gewann er die Stadt Kaunos[1] : denn die Kaunier machten es in den meisten Stücken wie die Lykier.




177.

Also unterwarf Harpagus die nach dem Meere zu gelegenen Landstriche Asiens[2] ; Cyrus selbst aber die oberen landeinwärts gelegenen Striche Asiens[3] , indem er ein jedes Volk unterjochte und keines übersah. Die meisten von diesen wollen wir nun übergehen; derjenigen jedoch, die ihm die meiste Mühe machten und vor anderen eine Erwähnung verdienen, will ich gedenken.



178.-180

Nachdem Cyrus alle Völker des Festlandes sich unterthänig gemacht hatte; machte er sich an die Assyrer. Im Lande Assyrien befinden sich viele andere große Städte: die berühmteste und wichtigste aber, wo auch nach der Zerstörung von Ninus[4] die königliche Residenz sich befand, war Babylon, eine Stadt, welche ungefähr folgende Beschaffenheit hat. Sie liegt in einer großen Ebene und hat eine Größe von hundertundzwanzig Stadien auf jeder Seite, da sie ein Viereck bildet: es beträgt also der Gesamtumfang der Stadt an vierhundertachtzig Stadien.[1] So verhält es sich nun mit der Größe der Stadt Babylon; gebaut war sie aber, wie keine andere Stadt unter allen, die wir kennen. Vorerst läuft um dieselbe herum ein tiefer und breiter, mit Wasser angefüllter Graben; nachher kommt die Mauer, welche eine Breite von fünfzig königlichen Ellen und eine Höhe von zweihundert Ellen[2] hat. Die königliche Elle ist aber um drei Finger größer, als die gewöhnliche Elle.


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179.

Ich muß nun hier noch weiter angeben, wozu die Erde aus dem Graben verwandt ward und auf welche Weise die Mauer gebaut worden war. Während sie den Graben gruben, fertigten sie zugleich Ziegel aus der Erde; die aus dem Graben geworfen ward; und nachdem sie eine hinreichende Zahl von Ziegeln gestrichen hatten, brannten sie dieselben in Öfen. Nachher aber nahmen sie als Mörtel heißes Erdpech und stopften zwischen je dreißig Schichten von Ziegeln eine Lage von Rohrgeflecht[3] , und so bauten sie zuerst den Rand des Grabens und nachher die Mauer selbst auf dieselbe Weise; oben auf der Mauer, längs der äußersten Seiten, erbauten sie Häuser von einem Stock, welche einander gegenüberstanden: den mittleren Raum zwischen diesen Häuschen ließen sie zum Herumfahren für ein Viergespann frei. Thore befanden sich ringsherum an der Mauer hundert, alle von Erz[1] , und ebenso Pfosten und Schwellen oberhalb der Thore. Acht Tagereisen Weges von Babylon entfernt liegt eine andere Stadt, welche den Namen Is[2] führt; hier befindet sich ein kleiner Fluß, der auch denselben Namen Is hat; er ergießt sich in den Euphrat. Dieser Fluß Is nun treibt zugleich mit dem Wasser viele Klumpen Erdpech empor, und von hier wurde das Erdpech zu der Mauer in Babylon geholt.



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180.

Auf solche Weise war die Mauer von Babylon gebaut worden; die Stadt besteht aber aus zwei Teilen, die ein Fluß, der mitten hindurch fließt und den Namen Euphrat hat, von einander trennt. Derselbe kommt aus Armenien[3] , ist groß und tief und reißend; er ergießt sich dann in das Rote Meer.[4] Die Mauer nun ist auf beiden Seiten mit ihren Biegungen bis an den Fluß geführt, und von hier an zieht sich am Rande des Flusses auf beiden Seiten eine Mauer von gebrannten Ziegeln den Fluß entlang hin. Die Stadt selbst, welche voll von Häusern von drei und vier Stockwerken ist, wird von geraden Straßen durchschnitten, sowohl nach dem Flusse hin querlaufenden, als den übrigen; bei einer jeden Straße befanden sich an der längs des Flusses hinziehenden Backsteinmauer Pförtchen und zwar an Zahl ebenso viele, als es Straßen waren; auch diese Pforten waren von Erz und zogen sich ebenfalls gerade nach dem Fluß.




181.183

Diese Mauer nun ist gleichsam ein Panzer der Stadt. Von innen aber läuft noch eine andere Mauer herum, die um nicht viel schwächer ist, als die andere, aber etwas enger. In jedem der beiden Teile der Stadt befindet sich in der Mitte, in dem einen Teile[1] die königliche Burg innerhalb einer großen und starken Umfassungsmauer, in dem andern[2] das Heiligtum des Zeus Belus mit ehernen Thoren: dieses war noch bis zu meiner Zeit vorhanden, ein Viereck im Umfang von zwei Stadien auf jeder Seite; in der Mitte des Heiligtums ist ein Turm gebaut, fest von Stein, in der Länge und Breite eines Stadiums: auf diesem Turm erhebt sich ein anderer Turm, auf diesem wieder ein anderer, bis zu acht Türmen; man steigt auf einer Treppe hinauf, welche von außen ringsherum um alle diese Türme angebracht ist. In der Mitte ungefähr beim Hinaufsteigen ist ein Ruhepunkt mit Sitzen zum Ausruhen, auf welchen die Aufsteigenden sich niederlassen, um auszuruhen; in dem letzten Turm ist ein großer Tempel: in diesem Tempel befindet sich eine große wohl gebettete Lagerstätte und daneben steht ein goldener Tisch: ein Götterbild ist aber dorten nicht aufgerichtet, auch verweilt kein Mensch darin des Nachts, außer ein Weib, eine von den eingeborenen, welche der Gott sich aus allen erwählt hat[3] , wie die Chaldäer versichern, welche Priester dieses Gottes sind.


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182.

Ebendieselben behaupten auch, wovon sie jedoch mich nicht überzeugt haben, daß der Gott selbst in den Tempel komme und auf dem Lager ruhe, gerade wie in dem ägyptischen Theben auf dieselbe Weise, nach Angabe der Ägyptier: denn auch dort schläft in dem Tempel des thebanischen Zeus ein Weib: diese beiden pflegen, wie man sagt, mit keinem Manne Umgang: ebenso auch verhält es sich in dem lykischen Patara mit der Priesterin des Gottes[1] zur Zeit der Orakelung: denn es findet diese nicht immer daselbst statt; wenn sie aber stattfindet, so wird sie dann die Nächte hindurch mit dem Gotte in den Tempel eingeschlossen.



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183.

In dem babylonischen Heiligtume befindet sich unten noch ein anderer Tempel, wo sich eine große Bildsäule des Gottes, in sitzender Stellung und ganz von Gold, befindet und neben ihr ein großer Tisch von Gold, wie denn auch der Fußschemel und der Stuhl von Gold sind: wie die Chaldäer angeben, ist es aus achthundert Talenten[2] Gold gefertigt worden; außerhalb des Tempels aber ist ein goldener Altar; es befindet sich auch ein anderer großer Altar daselbst, wo ausgewachsenes Kleinvieh geopfert wird: denn auf dem goldenen Altare ist es nicht erlaubt zu opfern, ausgenommen solche Tiere, welche noch Milch saugen. Auf dem größeren Altare aber verbrennen die Chaldäer, wann sie diesem Gotte das Fest feiern, alljährlich tausend Talente Weihrauch. Es befand sich auch in diesem geheiligten Raume zu jener Zeit noch eine zwölf Ellen[3] hohe Bildsäule, ganz von gediegenem Gold: ich sah sie zwar nicht; ich berichte nur das, was von den Chaldäern angegeben wird. Auf diese Bildsäule hatte Darius es abgesehen, er wagte sie aber nicht wegzunehmen; Xerxes dagegen, des Darius Sohn, nahm sie weg und erschlug den Priester, der ihm untersagte, die Bildsäule von der Stelle zu rücken. Mit solcher Pracht war dieses Heiligtum angelegt, in welchem auch noch manche andere Weihgeschenke sich befanden.




184.

wer dieses Babylon haben viele andere Könige geherrscht, deren ich in den assyrischen Geschichten[4] gedenken werde, die auch die Mauern und die Tempel erbaut haben, dann aber auch zwei Frauen; die eine, welche zuerst herrschte, und fünf Menschenalter früher als die andere lebte, hatte den Namen Semiramis[1] : sie führte Dämme in der Ebene auf, welche sehenswert sind; denn früher pflegte der Fluß die ganze Ebene zu überschwemmen.



185.-187

Die andere, welche Königin nach dieser war, hieß Nitokris[2] und war noch verständiger als diejenige, welche früher geherrscht hatte; einerseits hinterließ sie Denkmäler, die ich noch anführen werde, andererseits aber, als sie sah, wie die Herrschaft der Meder groß war und keine Rast hielt, vielmehr manche Städte von ihnen erobert wurden, insbesondere auch Ninus[3] , traf sie alle möglichen Vorkehrungen zu ihrem Schutze. Erstens gab sie dem früher ganz gerade fließenden Euphratstrom, der da mitten durch die Stadt floß, mittelst Kanälen, die sie von oben herab graben ließ, einen so gekrümmten Lauf, daß er auf seinem Laufe dreimal an einen der Flecken im Lande Assyrien kommt. Dieses Dorf, zu welchem der Euphrat kommt, hat den Namen Arderikka.[4] Auch jetzt noch kommen alle diejenigen, welche von diesem (Mittelländischen) Meer nach Babylon sich begeben, auf ihrer Fahrt den Euphrat herunter dreimal an dasselbe Dorf und in drei Tagen. So war das Werk, das sie ausführte. Dann führte sie an beiderseitigem Rande des Flusses (Euphrat) einen Damm auf, der in bezug auf seine Größe und Höhe bewundernswürdig zu sehen ist, wie irgend etwas. Unterhalb Babylon aber grub sie ein Bett für einen See aus, indem sie in geringer Entfernung von dem Flusse so lange fort in die Tiefe graben ließ, bis man auf Wasser stieß, in der Breite aber ihm einen Umfang von vierhundertundzwanzig Stadien[1] gab; die Erde, welche daraus herausgegraben war, verwandte sie dann zu einem Damm, den sie an den beiden Rändern des Flusses aufschütten ließ; und als die Ausgrabung beendigt war, ließ sie Steine herbeischaffen und rings um den See herum eine Einfassungsmauer aufführen. Diese beiden Unternehmungen, die Krümmung des Flusses und die Ausgrabung des ganzen Sees, veranstaltete sie aus dem Grunde, damit der in vielen Krümmungen sich brechende Fluß langsamer flösse und die Fahrt nach Babylon ebenfalls gekrümmt sei, auf die Fahrt aber ein weiter Umweg um den See folge; auch bewerkstelligte sie dies an der Seite des Landes, wo die Eingänge in dasselbe waren und der kürzeste Weg aus Medien, damit die Meder nicht in Verkehr mit ihnen kämen und dadurch mit ihren Verhältnissen bekannt würden.


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186.

Das waren also die aus der Tiefe des Grabens hervorgegangenen Werke, mit welchen sie sich zu ihrem Schutze umgab: und dazu kam nachher noch ein anderes Werk, das sie aufführte. Da die Stadt aus zwei Teilen bestand und der Fluß sich in der Mitte hindurchzog, so mußte man zur Zeit der früheren Könige, wenn man aus dem einen Teile in den andern sich begeben wollte, auf einem Schiffe hinüberfahren. Und dies war, wie ich mir denke, lästig. Aber die Königin sorgte auch dafür: nachdem sie nämlich das Bett für den See hatte graben lassen, so schuf sie aus demselben Werke noch ein anderes, das sie als Denkmal hinterließ. Sie ließ dazu Steine von sehr großer Länge brechen und dann, als die Steine bereitlagen und der Platz ausgegraben war, leitete sie die gesamte Wassermasse des Flusses in den ausgegrabenen Raum, und während dieser sich füllte und das alte Flußbett trocken ward, führte sie längs den Ufern des Flusses bei der Stadt und den Treppen, welche von den Thoren aus um den Fluß führten, eine Mauer von Backsteinen in derselben Weise wie die Stadtmauer auf, und dann erbaute sie so ziemlich im Mittelpunkte der Stadt mit den Steinen, die sie hatte ausgraben lassen, eine Brücke, indem sie die Steine mit Eisen und Blei verband. Wenn es nun Tag war, legte sie viereckige Balken darauf, auf welchen die Babylonier hinübergingen, während der Nacht aber nahm man dieselben aus dem Grunde hinweg, damit jene nicht des Nachts darübergingen und einander bestehlen könnten. Als nun der ausgegrabene Raum durch den Fluß zu einem See angefüllt und der ganze Brückenbau ausgeführt war, leitete sie den Fluß Euphrat aus dem See wieder heraus in sein altes Bett; der ausgegrabene See ward aber auf diese Weise zu einem Sumpf, der für die Sicherheit der Stadt ganz zuträglich schien, und die Bürger hatten eine Brücke bekommen.



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187.

Ebendieselbe Königin ersann auch noch folgende List. über dem am meisten besuchten Thore der Stadt ließ sie ein Grabmal für sich selbst errichten, hoch über dem Thore in der Luft, und an dieses Grabmal folgende Inschrift eingraben: "Wenn einer von den Königen Babylons, so nach mir sein werden, in Geldnot ist, so soll er das Grab öffnen und sich so viel Geld nehmen, als er will; er soll es aber ja nicht öffnen, wenn er nicht in Not sich befindet, denn es würde für ihn nicht gut sein." Dieses Grabmal blieb unangetastet, bis das Königreich an Darius kam. Darius nämlich konnte es nicht überwinden, dieses Thor nicht zu benutzen und das Geld, das dann läge und selbst ihn auffordere, nicht wegzunehmen; er wollte aber darum dieses Thor nicht benutzen, weil er bei dem Hindurchziehen den Leichnam über seinem Haupte hätte. Als er darauf das Grab geöffnet hatte, fand er .darin keineswegs Schätze, sondern nur den Leichnam und eine Inschrift, welche folgendes besagte: "Wärest du nicht unersättlich nach Schätzen und schnödem Gewinn, so würdest du nicht die Ruhestätte der Toten geöffnet haben." Solchen Sinnes und von solcher That soll diese Königin gewesen sein.




188.

Gegen den Sohn dieses Weibes, welcher denselben Namen Labynetus[1] hatte, wie sein Vater, und König über Assyrien[1] war, zog nun Cyrus zu Felde. Es zieht aber der Großkönig zu Felde wohl versehen mit Lebensmitteln von Haus aus und mit Kleinvieh; auch Wasser von dem Flusse Choaspes[2] , der bei Susa fließt, wird mitgeführt, weil von diesem allein und von keinem andern der König trinkt; daher folgen dem Könige, wohin er nur zieht, sehr viele vierrädrige Wagen[3] , mit Maultieren bespannt, welche in silbernen Krügen abgekochtes Wasser des Choaspes mit sich führen.



189.

Auf diesem Zuge gegen Babylon war Cyrus an dem Flusse Gyndes angelangt, dessen Quellen im Gebirge der Matiener[4] sind, von wo er dann weiter durch das Land der Dardaner[5] fließt und sich in einen andern Fluß ergießt, den Tigris, welcher bei der Stadt Opis[6] vorbeifließt und in das Rote Meer[7] fällt; als nun Cyrus diesen Fluß Gyndes, über den man mit Schiffen zu fahren pflegt, zu überschreiten versuchte, da warf sich eines der weißen heiligen Rosse[8] aus übermut in den Fluß und suchte hinüber zu kommen: aber der Strom riß es mit sich fort in die Tiefe und führte es weg. Da ward Cyrus sehr ergrimmt über den Übermut des Flusses und drohte ihm, er werde ihn so schwach machen, daß fürderhin sogar Weiber ihn leicht durchschreiten könnten, ohne das Knie zu befeuchten. Nach dieser Drohung ließ er von dem Feldzuge gegen Babylon ab, verteilte sein Heer in zwei Teile, und nachdem er diese Teilung gemacht hatte, ließ er durch schnurgerade laufende Seile hundertundachtzig Kanäle auf jedem der beiden Ufer abstecken, in gerader Richtung nach dem Flusse zu: dann beorderte er sein Heer und ließ graben; und weil viel Volks daran arbeitete, so kam das Werk zu Stande, jedoch brachten sie über der Arbeit den ganzen Sommer daselbst zu.



190.-191

Als auf diese Weise Cyrus an dem Fluß Gyndes Rache genommen, indem er ihn in dreihundertundsechzig Kanäle verteilt hatte, und der Frühling zum andern Mal anbrach, zog er nun erst gegen Babylon; die Babylonier aber waren aus der Stadt ausgezogen und erwarteten ihn. Als er dann auf seinem Zuge nahe bei der Stadt angekommen war, gerieten die Babylonier mit ihm in Kampf, wurden besiegt und in die Stadt zurückgedrängt. Sie hatten aber, eben weil sie schon früher wußten, daß Cyrus keine Ruhe hatte, sondern, wie man sah, ein Volk nach dem andern auf gleiche Weise überfiel, sich schon vorher mit Lebensmitteln auf sehr viele Jahre versehen. So kümmerten sie sich wenig um die Belagerung; Cyrus aber war in Verlegenheit, weil viel Zeit darüber hinging und sein Unternehmen in keiner Weise vorwärts kommen wollte.


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191.

Endlich nun, sei es, daß ein anderer dem Cyrus in seiner Verlegenheit den Rat gab oder daß er selbst erkannt hatte, was er zu thun habe, veranstaltete er folgendes. Er stellte sein ganzes Heer, den einen Teil an der Stelle, wo der Fluß in die Stadt tritt, auf, und den andern Teil hinwiederum hinter der Stadt, da, wo der Fluß aus der Stadt heraustritt, dann befahl er seinem Heere, wenn man wahrgenommen, daß das Flußbett zu durchschreiten sei, an dieser Stelle in die Stadt einzudringen. Nachdem er also sein Heer aufgestellt und demgemäß die nötigen Befehle erteilt hatte, zog er selbst mit dem minder brauchbaren Teil seines Heeres ab, und als er an den See gekommen war, unternahm er etwas ganz Ähnliches dem, was die Königin der Babylonier mit dem Flusse und dem See gemacht hatte. Er führte nämlich mittels eines Kanals den Fluß in den See, der ein Sumpf war; und bewirkte auf diese Weise, daß man durch das alte Bett des Flusses, der zurückgetreten war, hindurchgehen konnte. Als dies auf solche Weise bewirkt worden war, drangen die Perser, welche an eben dieser Stelle bei dem Bette des Flusses Euphrat, welcher so weit zurückgetreten war, daß er einem Manne bis etwa an die Hüfte reichte, aufgestellt waren, an diesem Punkte in die Stadt Babylon ein. Hätten nun die Babylonier vorher davon Kunde gehabt oder das, was von seiten des Cyrus geschah, bemerkt, so würden sie die Perser nicht leicht in die Stadt haben kommen lassen, sondern sie schmählich zu grunde gerichtet haben. Hätten sie nämlich nur alle Thore, die an den Fluß führten, geschlossen, und wären sie selbst auf die Backsteinmauer, die längs dem Ufer des Flusses hin geführt war, gestiegen, so würden sie die Perser wie in einem Netze gefangen haben. Jetzt aber fielen die Perser über sie ganz unvermutet her. Denn bei der Größe der Stadt waren, wie von denen, die dort wohnen, versichert wird, die äußersten Teile der Stadt bereits erobert, ehe die im Innern der Stadt wohnenden Babylonier etwas davon merkten, sondern, da sie gerade ein Fest feierten, in der ganzen Zeit tanzten und in Freuden lebten, bis sie alsbald nur zu sehr die Sache inne wurden. Auf diese Weise also ward Babylon damals zum ersten Mal erobert.[1]




192.-193

Wie bedeutend aber die Macht der Babylonier ist, kann ich aus vielem anderen, insbesondere aber auch aus Folgendem nachweisen. Dem Großkönig ist zu seiner und seines Heeres Unterhaltung das ganze Land, über das er herrscht, außer dem Tribute, zugeteilt[2] ; von den zwölf Monaten nun, die auf das Jahr gehen, gibt ihm vier Monate lang[3] Babylon den Unterhalt, acht Monate aber das gesamte übrige Asien So ist also das Land Assyrien[1] seinen Kräften nach der dritte Teil des übrigen Asiens; und die Verwaltung dieses Landes, was die Perser eine Satrapie[2] nennen, ist unter allen bei weitem die bedeutendste, insofern dem Tritantaichmes , dem Sohne des Artabazus, der über diese Provinz vom Könige gesetzt war, jeden Tag eine Artabe, soll von Silber, einging. Die Artabe ist ein persisches Maß und hält drei attische Chöniken mehr als ein attischer Medimnus. 3 Außer den Kriegsrossen hatte er noch besondere Rosse, achthundert an Zahl, als Beschäler der weiblichen; der letzteren waren es sechzehntausend; denn jeder von diesen Hengsten belegt zwanzig Stuten. Von indischen Hunden[4] wurde aber eine solche Menge gehalten, daß vier große Dörfer in der Ebene, welche von allen anderen Abgaben frei waren, die Bestimmung hatten, diesen Hunden Lebensmittel zu liefern. So war die Stellung des jeweiligen Statthalters in Babylon beschaffen.


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193.

Das Land der Assyrer wird nur wenig beregnet; was die Wurzel des Getreides ernährt, ist folgendes. Das Saatfeld wächst durch Bewässerung aus dem Flusse, und das Getreide wird reif, nicht wie in Ägypten, wo der Fluß selbst auf die Felder austritt, sondern es wird durch der Hände und der Pumpen Arbeit bewässert. Denn das ganze Land Babylonien ist ebenso wie Ägypten von Kanälen durchschnitten, von welchen der größte selbst mit Schiffen zu befahren ist[5] ; er liegt nach der Wintersonne zu und läuft vom Euphrat aus in einen andern Fluß, den Tigris, an welchem die Stadt Ninus erbaut war. Es ist aber unter allen Ländern, die wir kennen, bei weitem das beste für den Anbau des Getreides.[1] Denn sonstige Bäume vermag es überhaupt gar nicht zu tragen, weder einen Feigenbaum, noch einen Weinstock, noch einen Ölbaum: dagegen ist es den Bau des Getreides so geeignet, daß es überhaupt zweihundertfältig trägt und, wenn es recht gut trägt, sogar dreihundertfältig. Die Blätter des Weizens und der Gerste erreichen dort leicht eine Breite von vier Fingern; bis zu welcher Baumhöhe aber die Hirse und Sesamstaude sich erhebt, will ich, obwohl ich es genau weiß, hier gar nicht anführen, weil ich wohl weiß, daß diejenigen, die nicht in das babylonische Land gekommen sind, selbst dasjenige, was von dem Getreide eben bemerkt worden ist, für ganz unglaublich halten. Sie haben kein Öl, sondern bereiten es sich aus Sesam; Palmbäume aber sind von ihnen durch die ganze Ebene gepflanzt, von welchen die Mehrzahl Frucht trägt, woraus man Brot und Wein und Honig bereitet; man behandelt diese Bäume im übrigen gerade wie die Feigenbäume, und bindet die Frucht von denjenigen Palmen, welche die Hellenen männliche nennen, an die Datteln tragenden Palmen, damit die Gallwespe in die Dattel hineinkrieche, sie zur Reife bringe und die Frucht des Palmbaumes nicht abfalle. Die männlichen nämlich haben in der Frucht Gallwespen, gerade wie die wilden Feigen.




194.-200

Was mir aber nach der Stadt als das größte Wunder dort unter allein erscheint, will ich nun angeben. Sie haben Fahrzeuge[2] , welche den Fluß herunter nach Babylon gehen, von runder Gestalt von Leder lauf folgende Weise gemachte. Im Lande der Armenier nämlich, welches oberhalb Assyrien liegt, werden Weiden abgeschnitten und daraus die Rippen gefertigt, dann spannt man Felle darüber; zur Bedeckung von außen, gleichsam als einen Boden, ohne jedoch ein Hinterteil abzusondern oder vorn in einen Schiffsschnabel es zusammenzuziehen, sondern man macht alles ganz rund, wie einen Schild, füllt es dann mit Schilfrohr und läßt darauf das mit Waren beladene Fahrzeug den Fluß hinabtreiben; sie führen meistens Fässer von Palmenholz, die mit Wein angefüllt sind. Gelenkt wird das Fahrzeug von zwei Rudern und zwei aufrecht stehenden Männern, von welchen der eine das Ruder anzieht, der andere es abstößt. Es werden aber derartige Fahrzeuge zum Teil von ansehnlicher Größe gemacht, zum Teil aber auch kleinere; die größten von ihnen tragen eine Last sogar von fünftausend Talenten. In jeglichem Fahrzeug befindet sich ein lebendiger Esel, in den größeren sogar mehrere. Wenn sie nun auf ihrer Fahrt nach Babylon gekommen sind und ihre Ladung ausgesetzt haben, bieten sie dann die Rippen des Schiffes und alles Schilfrohr zum Verkauf öffentlich aus, die Felle aber laden sie auf die Esel und ziehen so heim nach Armenien. Denn wegen des reißenden Stromes ist es in der That nicht möglich, auf irgend eine Weise stromaufwärts zu schiffen; deswegen machen sie auch die Fahrzeuge nicht aus Holz, sondern aus Fellen; und wenn sie mit ihren Eseln wieder in Armenien angelangt sind, machen sie wieder andere Fahrzeuge auf dieselbe Weise. Also sind ihre Fahrzeuge beschaffen.


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195.

Sie tragen folgende Kleidung: einen linnenen Leibrock[1] , der bis auf die Füße geht, und über diesem einen andern Leibrock von Wolle; darüber werfen sie noch einen kleinen weißen Mantel; ihre Fußbekleidung ist die in diesem Lande übliche, welche den böotischen Schuhen[2] ähnlich ist. Die Haare auf dem Haupte lassen sie wachsen und befestigen sie mit Binden, auch sind sie am ganzen Körper mit Myrrhen gesalbt. Ein jeder trägt einen Siegelring und einen von Menschenhand gefertigten Stock: auf jedem Stock ist oben ein Apfel, eine Rose, eine Lilie, ein Adler oder sonst etwas derart angebracht. Denn einen Stock ohne ein solches Abzeichen zu tragen, ist bei ihnen nicht Sitte. Also verhält es sich mit ihrem Anzuge am Leibe.



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196.

Es bestehen bei ihnen folgende Gebräuche. Der weiseste darunter ist nach meiner Meinung der folgende, der sich, wie ich höre, auch in Illynen bei den Enetern[1] findet. In jedem Dorfe pflegte einmal im Jahre folgendes zu geschehen. Wenn die Jungfrauen mannbar geworden, so brachte man sie zusammen und führte sie dann allzumal an einen Platz: um sie herum stand eine Schar von Männern. Der Herold ließ dann eine Jungfrau nach der andern aufstehen und bot sie zum Kaufe aus, zuerst die schönste von allen, hernach, wenn diese um eine große Summe erstanden war, rief er eine andere aus, die nach jener die schönste war; sie wurden aber auf die Heirat hin verkauft. Die heiratslustigen Babylonier nun, welche reich waren, überboten einander und suchten diejenigen zu kaufen, welche die schönsten waren; die Leute von dem gemeinen Volke aber, die heiraten wollten und nach einer schönen Gestalt kein Verlangen hatten, empfingen das Geld und die häßlichen Jungfrauen. Denn wenn der Herold mit dem Verkaufe der schönsten Jungfrauen fertig war, ließ er dann die häßlichste vortreten oder eine, die etwa verkrüppelt war und bot sie zum Kauf aus, damit, wer da wolle, sie mit der geringsten Summe Geld in die Ehe nehme, bis sie an denjenigen kam, der sich zur geringsten Summe verstand: es kam aber dieses Geld von den schönen Jungfrauen; und aus diese Weise waren es die schönen, welche die häßlichen und mißgestalteten an den Mann brachten. Es war aber niemand verstattet, seine Tochter dem Manne zu geben, den er wollte, und derjenige, der die Jungfrau gekauft hatte, durfte sie nicht ohne Bürgen heimführen, sondern er mußte Bürgen stellen, daß er sie wirklich heiraten wolle[2] , und dann konnte er sie heimführen; verstanden sie sich dann aber nicht mit einander, so verlangte das Gesetz die Zurückgabe des Geldes. Es stand auch einem jeden, wer wollte, aus einem anderen Dorfe frei, zu kommen und sich an dem Kauf zu beteiligen. Das war nun bei ihnen ein sehr schönes Gesetz; es blieb jedoch auf die Dauer nicht in Geltung. Dagegen sind sie neuerdings auf etwas anderes verfallen, damit den Töchtern kein Leid geschehe und sie nicht in eine andere Stadt geführt würden; seit sie nämlich nach der Eroberung von Babylon in Not gerieten und alles verloren, lassen nun die gemeinen Leute, aus Mangel an Lebensunterhalt, ihre Töchter Hurerei treiben.



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197.

Noch ein anderes, ebenso weises Gesetz besteht bei ihnen; sie bringen nämlich die Kranken aus ihren Wohnungen auf den Markt, denn sie haben keine Ärzte. Hier nun naht sich ein jeder, der etwa eine ähnliche Krankheit, wie die des Kranken, selbst gehabt oder einen andern daran leiden gesehen, und gibt hinsichtlich der Krankheit seinen Rat. So kommt also ein jeder mit seinem Rat und mit seiner Anweisung über das Mittel, durch dessen Anwendung er einer ähnlichen Krankheit entronnen oder einen andern entrinnen sah. Still an einem solchen Kranken vorüberzugehen ist nicht erlaubt, ehe man an ihn die Frage gerichtet, an welcher Krankheit er leide.



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198.

Die Bestattung der Toten geschieht in Honig[1] : die Trauer ist der in Ägypten ähnlich. So oft ein Babylonier mit seiner Frau Umgang gepflogen, zündet er Weihrauch an und setzt sich daneben, und seine Frau an der anderen Seite thut dasselbe; so wie es aber Morgen geworden, baden sich auch beide[2] : denn sie berühren kein Gefäß, ehe sie sich gebadet. Eben dasselbe thun auch die Araber.



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199.

Die häßlichste Sitte bei den Babyloniern ist aber die folgende. Eine jede Frau des Landes muß, im Tempel der Aphrodite sitzend, einmal in ihrem Leben sich einem Fremden preisgeben.[3] Viele Frauen nun, die es unter ihrer Würde halten, sich unter die übrigen zu mengen, weil sie sich auf ihren Reichtum etwas zu gute thun, lassen sich in bedeckten Wagen nach dem Heiligtume fahren und verweilen daselbst; im Gefolge haben sie eine zahlreiche Dienerschaft. Die Mehrzahl aber macht es auf folgende Weise: sie setzen sich in dem heiligen Hain der Aphrodite mit einem Kranz von Schnüren um das Haupt, und es sind der Weiber viele: denn die einen kommen herzu, während die anderen weggehen. Nach allen Seiten hin ziehen sich durch die Frauen schnurgerade Durchgänge, durch welche Gänge die Fremden gehen und ihre Wahl treffen. Wenn sich nämlich eine Frau hier gesetzt hat, so entfernt sie sich nicht eher in ihre Wohnung, als bis einer der Fremden ihr ein Stück Silber in den Schoß geworfen und dann außerhalb der geheiligten Stätte mit ihr Umgang gepflogen hat. Bei dem Zuwerfen des Geldes hat er nur so viel zu sagen: "Fürwahr, ich rufe die Göttin Mylitta an!" Mylitta aber nennen die Assyrer die Aphrodite. Das Silberstück mag so groß sein, wie es will, denn man darf es nicht von sich weisen; dies wäre unerlaubt, weil das Silber ein geweihtes ist. Die Frau folgt dem, der ihr zuerst zugeworfen, und darf keinen verschmähen. Wenn sie aber Umgang gepflogen und auf diese Weise mit der Göttin sich abgefunden hat, kehrt sie in ihre Wohnung zurück, und von dieser Zeit an wird man ihr noch so viel bieten können, sie wird sich nicht mehr dazu hergeben. Alle diejenigen nun, welche auf Schönheit und Größe Anspruch machen, kommen schnell weg; diejenigen aber unter ihnen, welche häßlich sind, haben lange Zeit zu warten, bis sie das Gesetz zu erfüllen im stande sind: manche warten drei und vier Jahre lang. An einigen Orten in Cypern besteht eine ähnliche Sitte.



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200.

Diese Gesetze bestehen bei den Babyloniern. Unter ihnen sind auch drei Stämme, welche nichts essen, als bloß Fische, die sie, wenn sie sie gefangen haben, an der Sonne trocknen; und dann thun sie folgendes. Sie werfen dieselben in einen Mörser, zermalmen sie mit Keulen und seihen sie durch ein Linnen, und wer von ihnen will, der knetet sich daraus einen Teig oder er bückt es, wie Brot.




201.

Als aber Cyrus auch dieses Volk[1] unterworfen hatte; gelüstete es ihn, die Massageten[2] sich unterthänig zu machen. Dieses Volk, das ein großes und tapferes sein soll, wohnt gegen Osten und Sonnenaufgang, jenseit des Flusses Araxes und gegenüber den Issedonen[1] ; einige behaupten auch, es sei dieses Volk ein skythisches.



202.

Der Araxes soll größer und (nach anderen) kleiner sein als der Ister, und es sollen sich in ihm zahlreiche Inseln, an Größe Lesbos gleich, befinden. Auf diesen Inseln sollen Menschen wohnen, welche im Sommer sich von mancherlei Wurzeln nähren, die sie aus der Erde graben; die Früchte aber, die sie von Bäumen bekommen, bewahren sie sich, wenn sie reif geworden, zur Nahrung auf und verzehren sie in der Winterzeit. Auch andere Bäume sollen sich bei ihnen befinden, welche eine eigene Art von Frucht trugen: wenn sie nämlich scharenweise zusammengekommen sind und ein Feuer angezündet haben, so setzen sie sich im Kreise um dasselbe herum und werfen von der Frucht in das Feuer; und wenn sie dann an der brennenden Frucht, welche hingeworfen ist, riechen, so werden sie berauscht von dem Geruche, gerade wie die Hellenen vom Weine.[2] Je mehr nun von der Frucht darauf geworfen wird, desto mehr berauscht werden sie, bis sie zum Tanzen sich erheben und zu singen anfangen. Solcher Art soll die Lebensweise dieser Menschen sein. Der Fluß Araxes kommt aus dem Lande der Matiener[3] , woher auch der Gyndes[4] kommt, den Cyrus in die dreihundertundsechzig Kanäle verteilt hatte; er ergießt sich dann in vierzig Mündungen 5 , welche alle, mit Ausnahme einer einzigen, in Sümpfe und Lachen ausgehen: dort sollen Menschen wohnen, welche rohe Fische essen und als Bekleidung Seehundsfelle zu tragen pflegen. Jene eine Mündung des Araxes fließt durch reines[1] Land in das Kaspische Meer. Es besteht aber das Kaspische Meer für sich, ohne mit dem anderen Meere in Verbindung zu sein: denn das ganze Meer, das die Hellenen mit Schiffen befahren, und das Meer außerhalb der Säulen [des Herkuless], das sogenannte Atlantische, sowie das Rote Meer[2] , ist eben nur ein einziges.[3]



203.

Das Kaspische Meer aber ist ein anderes sich und hat für ein Ruderschiff eine Länge von fünfzehn Tagfahrten und da, wo es am breitesten ist, eine Breite von acht Tagen.[4] An der westlichen Seite dieses Meeres zieht sich der Kaukasus hin, welcher unter allen Gebirgen das größte ist an Ausdehnung und das höchste an Größe. Viele und mannigfache Völkerschaften hausen auf dem Kaukasus, welche meistens von wilden Bäumen leben. Auch sollen sich dort Bäume befinden, deren Blätter von einer solchen Beschaffenheit sind, daß man sie zerreibt, dann mit Wasser vermischt und sich damit Figuren auf die Kleidung matt; diese Figuren verlieren sich nicht durch das Waschen, sondern altern mit der übrigen Wolle, wie wenn sie von Anfang an eingewebt worden wären. Der Beischlaf dieser Menschen, sagt man, geschieht ganz öffentlich, gerade wie bei dem Kleinvieh.



204.

Nach Westen also schließt der Kaukasus das sogenannte Kaspische Meer ab, nach Osten und Sonnenaufgang folgt eine unbegrenzte, unabsehbare Fläche, und von dieser großen Ebene[1] haben die Massageten, gegen welche Cyrus zu Felde zu ziehen gedachte, nicht den geringsten Teil inne: denn viele und wichtige Gründe waren es, welche den Cyrus dazu antrieben und anreizten: zuvörderst seine Geburt, wonach es ihn bedünkte, mehr wie ein Mensch zu sein, dann das Glück, das ihn auf seinen Kriegen begleitete[2] ; denn wohin sich nur Cyrus mit seinem Heere gewendet hatte, es war jenem Volke unmöglich ihm zu entgehen.



205.-206

Es war aber ein Weib Königin der Massageten, nachdem ihr Mann gestorben war; ihr Name war Tomyris. Zu dieser sandte Cyrus und warb um sie, dem Vorgeben nach, wie wenn er sie zu seinem Weibe haben wollte. Die Tomyris aber, welche wohl merkte, daß er nicht um sie werbe, sondern um das Königtum der Massageten, wies seinen Antrag ab. Darauf rückte Cyrus, als ihm die List nicht geglückt war, an den Araxes und begann nun ganz offen einen Feldzug wider die Massageten, indem er eine Brücke über den Fluß anlegte zum übersetzen seines Heeres, und auf den Schiffen; die über den Fluß führen, Türme bauen ließ.


***
206.

Als er nun mit dieser Arbeit beschäftigt war, schickte die Tomyris einen Herold und ließ ihm folgendes sagen: "O König der Meder, laß ab von dem, was du jetzt so eifrig betreibst, denn du kannst nicht wissen, ob es dir wirklich zum Nutzen enden wird. Laß ab und beherrsche dein Volk und sieh ruhig zu, daß wir über die herrschen, über die wir gebieten. Du wirst nun wohl diesem Rate nicht folgen, sondern alles eher thun wollen, als in Ruhe bleiben. Wenn dich aber so sehr gelüstet, es mit den Massageten zu versuchen, wohlan, so entschlage dich der Mühe, die du hast; über den Fluß eine Brücke zu schlagen; gehe herüber in unser Land, nachdem wir von dem Fluß eine Strecke von drei Tagereisen zurückgegangen sind; willst du aber lieber uns in dem Lande aufnehmen, so thue du desgleichen." Als Cyrus dies gehört hatte, berief er die Ersten unter den Persern zusammen und legte ihnen dann, nachdem er sie versammelt hatte, die Sache vor, um mit ihnen zu beraten, was er thun solle. Die Ansichten derselben fielen aber einstimmig dahin aus, daß sie ihm anrieten, die Tomyris und ihr Heer in seinem Lande zu erwarten.




207.

Aber Krösus, der Lydier, welcher zugegen war, mißbilligte diese Ansicht und legte eine andere, dieser entgegengesetzte, in folgenden Worten vor: "O König! Ich habe schon früher dir versprochen, da Zeus mich in deine Hände gegeben hat, alles Schlimme, was deinem Hause droht, wenn ich es gewahr werde, nach Kräften von dir abzuwenden. Mein Leiden, so bitter es auch war, ist mir zur Lehre geworden. Wenn du ein Unsterblicher zu sein glaubst und über ein solches Heer zu gebieten wähnst, so wäre es wohl nicht nötig, meine Ansicht dir darzulegen. Hast du aber erkannt, daß auch du ein Mensch bist und über solche herrschest, die auch Menschen sind, so erkenne vor allem auch, daß ein Kreislauf der menschlichen Dinge besteht, welcher in seinem Vollzuge nicht dieselben Menschen stets des Glückes genießen läßt. Nun habe ich über die vorliegende Sache gerade die umgekehrte Ansicht als diese Perser. Wollen wir nämlich die Gegner in unserem Lande abwarten, so liegt darin für dich die Gefahr, daß du im Falle einer Niederlage auch noch dazu deine ganze Herrschaft verlierst. Denn es ist offenbar, daß die Massageten als Sieger nicht zurückfliehen, sondern gegen deine Länder ziehen werden. Bist du dagegen Sieger, so ist der Sieg nicht einmal so groß, als er im Fall eines Überganges über den Fluß sein wird, wenn du als Sieger über die Massageten ihnen auf der Flucht folgst: denn ich nehme hier gleichmäßig dasselbe an, wie in jenem Falle, daß du nämlich nach einem Siege über die Gegner geradezu auf die Herrschaft der Tomyris losgehst. Aber auch außer dem eben Bemerkten wäre es schmählich und unerträglich, daß ein Cyrus, des Kambyses Sohn, einem Weibe weiche und vor ihm aus dem Lande sich zurückziehe. Meine Ansicht geht nun dahin, daß wir über den Fluß setzen und so weit vorrücken, als jene etwa zurückweichen und daß wir dann über jene Herr zu werden versuchen, indem wir es also anfangen. Wie ich erfahre, sind die Massageten der persischen Güter unkundig und haben von all den Herrlichkeiten noch nichts gekostet. Laß also viele Schafe abschlachten und zurecht machen, ohne zu sparen, und laß solchen Männern in unserem Lager ein Mahl vorsetzen, laß überdies auch Krüge mit ungemischtem Wein und mancherlei Speisen reichlich herbeischaffen. Ist dies geschehen, so laß den schwächsten Teil des Heeres dort zurück und ziehe mit den übrigen Truppen wieder an den Fluß zurück. Denn wenn ich in meiner Ansicht mich nicht irre, so werden jene, wenn sie die vielen guten Dinge erblickt, sich denselben zuwenden, und uns wird es dann nicht fehlen, große Thaten zu vollbringen."



208.-214

Diese Meinungen nun standen einander gegenüber. Cyrus aber ließ die frühere Ansicht fallen und entschied sich für die des Krösus; er forderte die Tomyris auf, sich zurückzuziehen, da er über den Fluß gegen sie rücken werde. Diese nun zog sich zurück, wie sie anfangs versprochen hatte. Cyrus aber befahl den Krösus in die Hände seines Sohnes Kambyses, desselben, dem er das Königtum übergab, und gebot ihm dringend, den Krösus zu ehren und gut zu behandeln, wenn der Übergang wider die Massageten nicht glücklich ausfiele. Mit diesem Auftrage schickte er beide nach Persien zurück und überschritt den Fluß, er selbst und sein Heer.


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209.

Als er nun über den Araxes gegangen und die Nacht hereingebrochen war; sah er, während er im Lande der Massageten schlief, folgenden Traum. Cyrus glaubte im Traume den ältesten der Söhne des Hystaspes zu erblicken mit Flügeln an seinen Schultern: mit dem einen derselben überschattete er Asien, mit dem andern Europa. Unter den Söhnen des Hystaspes, des Sohnes des Arfames aus dem Stamme der Achämeniden, war aber Darius der älteste, welcher damals in einem Alter von etwa zwanzig Jahren stand und in Persien zurückgeblieben war, weil er das Alter noch nicht hatte, um mit ins Feld zu ziehen. Als nun Cyrus erwacht war; dachte er bei sich über den Traum nach, und da ihm derselbe von Bedeutung zu sein schien, so ließ er den Hystaspes rufen, nahm ihn allein beiseite und sprach: "Hystaspes, dein Sohn ist in bösen Anschlägen wider mich und meine Herrschaft ertappt worden; ich weiß dies bestimmt und will es dir angeben. Für mich sorgen die Götter und zeigen mir alles vorher an, was mir widerfahren soll. In der vorausgegangenen Nacht sah ich im Schlafe den ältesten deiner Söhne, der hatte an seinen Schultern Flügel und überschattete mit dem einen Asien mit dem andern Europa. Nach diesem Traumgesicht nun ist es gar nicht anders möglich, als daß er mit Anschlägen wider mich umgeht. Darum begib dich aufs schnellste zurück nach Persien und sorge, daß du, wenn ich nach Unterwerfung dieses Volkes dorthin zurückgekehrt bin, deinen Sohn mir zur Untersuchung stellst."



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210.

Diese Worte sprach Cyrus, in dem Glauben, Darius stelle ihm nach, während die Gottheit ihm offenbaren wollte, daß er selbst an eben dieser Stelle sterben und sein Königreich an den Darius übergehen werde. Hystaspes erwiderte darauf folgendes: "Möchte doch kein Perser geboren sein, der mit Anschlägen wider dich umgeht! Wenn es aber einen solchen gibt, so möge er alsbald des Todes sein; denn du hast die Perser aus Sklaven zu freien Männern gemacht, so daß sie nun über alle herrschen, statt von anderen beherrscht zu werden. Wenn aber ein Traumgesicht dir verkündet, daß mein Sohn wider dich Aufruhr stiften will, so übergebe ich ihn dir, damit du mit ihm machst, was du willst." Nach dieser Antwort ging Hystaspes über den Araxes zurück in das Land der Perser, um seinen Sohn Darius dem Cyrus zu bewachen.



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211.

Cyrus aber rückte von dem Araxes eine Tagereise vorwärts und that nach dem Rate des Krösus. Darauf zog er mit dem rüstigen Teile seines Heeres wieder den Araxes zurück und ließ den unbrauchbaren Teil zurück, gegen welchen der dritte Teil des Heeres der Massageten heranrückte und die von dem Heere des Cyrus zurückgelassenen, ungeachtet der Gegenwehr, erschlug; und als sie dann das Mahl vor sich bereitet sahen, so ließen sie sich nach der Besiegung der Gegner nieder und schmausten; dann, von Speise und Wein gesättigt, gerieten sie in Schlaf. Da fielen die Perser über sie her und töteten viele von ihnen, noch mehrere aber nahmen sie lebendig gefangen, darunter außer anderen auch den Sohn der Königin Tomyris, welcher Spargapises hieß und der Massageten Feldherr war.



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212.

Als die Königin erfuhr, wie es ihrem Heere und ihrem Sohne ergangen, sandte sie einen Herold zu Cyrus und ließ ihm sagen: "Cyrus, unersättlich an Blut, erhebe dich nicht zu sehr über diesen Vorfall, insofern du durch die Frucht der Rebe, mit der ihr angefüllt so raset, daß, ist einmal der Wein in euren Leib gedrungen, böse Worte euch gegen uns entströmen, mittels eines solchen Giftes meines Sohnes dich bemächtigt hast, aber nicht im Kampfe durch der Waffen Gewalt. Nun gebe ich dir einen guten Rat, und nimm du meinen Vorschlag an: gib mir meinen Sohn zurück und ziehe dann heim aus diesem Lande ohne Schaden, nachdem du mit dem dritten Teile des Heeres der Massageten so arg verfahren bist. Willst du dies aber nicht thun, so schwöre ich dir bei dem Sonnengotte, dem Herrn der Massageten: Ich will dich, so unersättlich du auch bist, mit Blut sättigen."



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213.

Als dem Cyrus diese Worte hinterbracht wurden, nahm er darauf gar keine Rücksicht; Spargapises aber, der Sohn der Königin Tomyris erlangte, als ihn der Wein verlassen und er erkannt hatte, in welcher schlimmen Lage er sich befand, von Cyrus auf seine Bitte die Befreiung aus seinen Banden: so wie er aber seiner Bande ledig und Herr seiner Hände geworden war, nahm er sich selbst das Leben und endete auf eine solche Weise.



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214.

Tomyris aber sammelte, als Cyrus ihr kein Gehör gegeben, ihre ganze Streitmacht und führte sie wider Cyrus zu einer Schlacht, die, von allen, die je unter Barbaren stattgefunden, nach meinem Urteil die gewaltigste war und, wie ich höre, sich also zugetragen hat. Anfangs nämlich, heißt es, wären die Heere in einiger Entfernung von einander gestanden und hätten mit Bogen auf einander geschossen; hernach aber, als sie die Pfeile verschossen hatten, stürzten sie auf einander und stritten mit Speeren und Dolchen: lange Zeit auch hielten beide Stand in dem Kampf, da kein Teil fliehen wollte: endlich jedoch gewannen die Massageten die Oberhand. Hier ging der größere Teil des persischen Heeres zu grunde, und Cyrus selbst endete, nach einer Regierung von neunundzwanzig Jahren in allem. 1 Da ließ Tomyris einen Schlauch mit Menschenblut füllen und den Leichnam des Cyrus unter den gefallenen Persern aussuchen: wie sie ihn dann gefunden, steckte sie sein Haupt in den Schlauch, und, den Leichnam auf diese Weise schmähend, sprach sie die folgenden Worte: "Du hast mich, da ich noch lebe und Sieger bin über dich, zu grunde gerichtet dadurch, daß du meinen Sohn mit List gefangen. Ich aber will dich nun, wie ich angedroht habe, mit Blut sättigen." Unter den vielen Angaben nun, die über das Ende des Cyrus verbreitet sind[1] , ist diese Angabe, als die glaubwürdigste, von mir berichtet.




215.-216

Die Massageten tragen eine der skythischen ähnliche Kleidung und führen eine gleiche Lebensweise; sie kämpfen zu Pferde wie zu Fuß: denn beides kommt bei ihnen vor; sie führen Bogen und haben Speere, auch tragen sie Streitäxte; Gold und Erz ist bei ihnen im Gebrauch[2] , zu den Spitzen der Speere und der Pfeile, Sowie zu den Streitäxten nehmen sie überhaupt Erz; was aber zum Haupt, zum Gürtel und zu dem Leibgurt gehört, das schmücken sie mit Gold. Ebenso legen sie den Pferden an der Brust eherne Panzer an, hingegen was an den Zügeln, dem Munde und dem Kopfschmucke sich befindet, ist von Gold. Eisen gebrauchen sie ebensowenig wie Silber, da beides sich gar nicht in ihrem Lande befindet, während Erz und Gold in großer Menge vorhanden sind.


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216.

Sie haben folgende Gebräuche. Ein jeder heiratet zwar ein Weib, aber sonst herrscht Weibergemeinschaft; denn was nach Angabe der Hellenen die Skythen thun, das thun nicht die Skythen, sondern die Massageten. Gelüstet es einen Massageten nach einem Weibe, so läßt er seinen Köcher vor seinem Wagen herabhängen und pflegt dann mit ihr ungescheut Umgang. Dem Lebensalter haben sie sonst keine andere Grenze gesteckt; wenn aber einer sehr alt geworden ist, so kommen alle seine Anverwandten zusammen und schlachten ihn, zugleich mit ihm aber auch noch anderes Kleinvieh; dann kochen sie das Fleisch und halten einen Schmaus. Dies gilt bei ihnen für das glücklichste Ende. Wer aber an einer Krankheit geendet hat, den essen sie nicht, sondern begraben ihn unter die Erde und beklagen es, daß es mit ihm nicht bis zum Schlachten gekommen ist. Sie säen nichts, sondern leben von Vieh und Fischen, die ihnen aus dem Flusse Araxes reichlich zukommen. Von Göttern verehren sie bloß die Sonne, der sie Pferde schlachten[1] : es hat aber diese Sitte des Opfers darin ihren Grund; daß man dem schnellsten Gotte das schnellste unter allen Tieren zuweist.